AN EINEM SAMSTAG (Russland 2011)


Passend zur Fukushima Reaktorkatastrophe in Anlehnung an den zeitkritischen Film “Die Wolke” Regie Gregor Schnitzler nach einem Roman von Gudrun Pausewang, der sich ebenfalls das Szenario nach einem Reaktorunglück ausmalt.

NFP-md.de/dvd    

Ton: Dolby Digital 5.1, Dolby Digital 2.0
Sprachen: Deutsch, Russisch
Untertitel: Deutsch
Bild: 16:9 (1,78:1)
Länge: 95 Min.
FSK: 12

Samstag, 26. April 1986: Im Atomkraftwerk Tschernobyl ist ein Reaktorblock explodiert. Die Parteileitung wiegelt ab. Aber Valerij Kabysh, früher Schlagzeuger, inzwischen junger loyaler Parteifunktionär, beobachtet die Panik der Verantwortlichen und begreift, dass jede Sekunde zählt. Dies ist die Geschichte seiner missglückten Flucht. Zusammen mit seiner Geliebten und seinen Musikerfreunden versucht Valerij die Stadt zu verlassen. Aber das Leben lässt ihn nicht los.

Es ist Samstag, die Menschen gehen spazieren, machen Einkäufe, feiern Hochzeiten; Kinder spielen im Freien. In diesem sorglosen Trubel bleibt jeder Versuch zu entkommen ohne Erfolg. Die Katastrophe spielt eine allgegenwärtige, aber unsichtbare Rolle in dieser Geschichte. Als wären da Handschellen, die nicht zu öffnen sind. Ein verlorener Pass, ein gebrochener Schuhabsatz, ein verpasster Zug. Eine Hochzeit, auf der zuende gespielt werden muss. Vera singt mit ihrer Band, die früher auch Valerijs Band war, und Valerij springt für den betrunkenen Drummer ein. Lebensgefahr? Tödliche Strahlung? Selbst als Valerijs Band weiß, was wirklich vor sich geht, feiern sie – noch einen Wodka, noch eine Flasche Wein! Für sie bleibt nur weiterzumachen und glücklich zu werden für den einen Moment. Es ist Samstag, die Sonne scheint und das Gras ist grün, noch grün… Es ist ein Samstag der Unschuld und die Menschen sind erbarmungslos ihrem Schicksal überlassen.

Zum Trailer: www.aneinemsamstag-derfilm.de

Besetzung Valerij Kabysh – Anton Shagin Vera Svetlana – Smirnova-Marcinkevich Gitarrist – Stanislav Rjadinskij Pianist – Vasilij Guzov Bass – Aleksej Demidov Karabas – Vjacheslav Petkun Petro – Sergej Gromov Lara – Uljana Fomicheva Parteisekretär – Aleksej Shljamin Malovichko – Aleksej Galushko Gorelik – Georgij Volynskij

Stab Buch und Regie: Alexander Mindadze Produzenten: Alexander Rodnyansky, Sergej Melkumov, Matthias Esche, Philipp Kreuzer, Alexander Mindadze, Dmitrij Efremov, Oleg Kohan Kamera: Oleg Mutu R.S.C. Schnitt: Dasha Danilova, Ivan Lebedev Produktion: Design Denis Bauer Kostüm Design Irina Grazdankina, Ekaterina Himicheva Hair & Make-Up: Olga Miroshnichenko Musik Mihail Kovalev Casting: Elena Potlova Redaktion: ARTE, Barbara Häbe / MDR, Rainer Männel Herstellungsleitung: Gilbert Möhler Assoc. Producers Simone Baumann, Jan S. Kaiser, Almuth Hammer

Technische Angaben Russland / Ukraine / Deutschland Länge: 99 Min. | 35mm | Farbe | 1:2,35 | Dolby Digital

Russischer Originaltitel: V Subbotu


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Anton Shagin Tschernobyl ist für mich nicht einfach nur ein Wort. Ich bin in der Stadt Karachev geboren und aufgewachsen – einer Zone, die von der Katastrophe betroffen war. Ich erinnere mich, wie mir Erwachsene von dem radioaktiven Regen erzählten, durch den Menschen ihre Haare verloren haben, so wie viele meiner Mitschüler, die sich in der Schule in einer separaten Schlange in der Kantine anstellen mussten.

Oleg Mutu In der Zeit nach der Katastrophe war ich zusammen mit dem Schulorchester in dem größten Pionierlager der Sowjetunion „ARTEK“ in Kishinev. Mit uns waren viele Kinder aus Weißrussland und der Ukraine dort. Ich war 14 Jahre alt und habe nicht darüber nachgedacht, warum diese ganzen Kinder dort waren.

Alexander Mindadze Am 26. April 1986 war ich auf dem Dach eines Hauses in Minsk und habe zusammen mit dem Regisseur Vadim Abdrashitov und dem Kameramann Georgij Rerberg den Film „Plumbum, ein gefährliches Spiel“ gedreht. Wir haben nicht darüber nachgedacht, woraus die Wolken über uns bestehen, sondern haben uns einfach nur gefreut, dass sie ein seltenes, sehr kinematografisches Licht von sich geben.

Philipp Kreuzer Am 26. April 1986 war ich mit meiner Familie in Paris und wähnte mich dort weit weg von der radioaktiven Wolke. Erst zurück in München, als mein Physiklehrer einen Geigerzähler an den Schuh eines Mitschülers hielt und dieser knisterte, wurde mir klar, was da eigentlich geschehen war. Dieses surreale Gefühl einer unsichtbaren Gefahr, das wir alle während dieser schönen Frühlingstage nach dem kontaminierten Regen erlebten, kommt immer zurück, wenn ich Bilder von damals sehe.

Matthias Esche Zu dieser Zeit lebte ich in einer ländlichen Idylle, inmitten der Natur. Es war Frühling, die Zeit im Jahr, in der Blüten und Pflanzen so üppig hervorbrechen, dass man ihnen beim Wachsen beinahe zusehen kann, besonders dann, wenn es frisch geregnet hat. Doch von einer Stunde zur anderen war der Regen plötzlich ein Feind und das satte Grün signalisierte Gefahr. Und als in den Medien dann von „Atomangst“ die Rede war, geriet eine ganze Nation in Panik. Unser Verhältnis zur Atomkraft und insbesondere das Vertrauen in die Beherrschbarkeit von Risiken hat sich von da an fundamental verändert.

Alexander Rodnyansky Als das Reaktorunglück in Tschernobyl passierte, brachten die Nachrichten keinerlei Berichte darüber. Dass irgendetwas schrecklich schief lief, merkte ich zum ersten Mal, als Familien von Regierungsmitgliedern mitten in der Nacht überstürzt das nahegelegene Appartmenthaus mit Reisegepäck verließen. In dieser Zeit lebte ich in Kiew, nur zwei Autostunden von Tschernobyl entfernt. Sicherheitshalber schickte ich auf diese Beobachtung hin meine Frau und meinen Sohn ans Meer, nach Odessa – für den Fall der Fälle. Tags darauf kamen dann Gerüchte über den Unfall auf. Zu dieser Zeit arbeitete ich als Dokumentarfilmregisseur. Mein Team und ich waren in kürzester Zeit vor Ort. Wir filmten den Tag unmittelbar nach dem Unfall – und die ersten Opfer. Und die ganze Zeit über tranken wir Rotwein – Unmengen Rotwein. Es war ein allgemein verbreiteter Volksglaube, dass Rotwein die radioaktive Strahlung im menschlichen Körper neutralisieren könne.

 

Interview mit den Produzenten

In Japan reagieren die Menschen mit bewundernswerter, fast schon unheimlicher Disziplin auf die Katastrophe von Fukushima. In Alexander Mindadzes Film gibt es dagegen eine ausgelassene Party und am Ende ein großes Besäufnis. Ist das eine Frage der Mentalität?

Die Menschen in unserem Film, die am 26. April 1986 eine Dreifach-Hochzeit feiern, ahnen zu diesem Zeitpunkt nichts von dem nächtlichen SuperGAU – die Bevölkerung wurde ja erst 36 Stunden später evakuiert. Und die Musiker, die davon erfahren haben, trinken deswegen soviel Rotwein wie möglich, weil der einem Volksglauben zufolge die Strahlung dekontaminiert. Genauso Petro, der Bräutigam: Als er kapiert, was es unter diesen Umständen bedeutet, dass seine Braut schwanger ist, stürzt er zum Buffet und schaufelt wahllos Essen in sich hinein, weil er glaubt, dass er dadurch die Strahlung neutralisieren kann. So, als könne er damit auch das Baby schützen…

Aber das Feiern und das Trinkgelage nehmen im Film doch eine recht große Rolle ein. Worum geht es den Menschen im Film – und was will der Regisseur damit zeigen?

Was wir im Film erleben, ist eine Mischung aus der verzweifelten Hoffnung, dass doch alles nicht so schlimm sein kann – man sieht die Strahlung ja auch nicht –, und der fatalistischen Erkenntnis, dass es für eine Rettung schon zu spät sein wird. Deswegen versuchen die Menschen, einen möglichst langen letzten Augenblick des Glücks zu erhaschen. Und zugleich wenden sie sich in dieser Ausnahmesituation ungelösten, teilweise fast aberwitzigen Fragen zu: Die Musiker stürzen sich auf das ergatterte Trinkgeld und gehen mit dem Argument, dass sie ja nicht pleite aus der Stadt fliehen können, sogar nochmal auf die Bühne, anstatt abzuhauen. Sie rechnen aber auch mit ihrem Freund Valerij ab, der sie für seine Parteikarriere im Stich gelassen hat. Hatte er sie nicht angezeigt, weil sie westliche Songs gespielt haben? Und jetzt singt er selber auf einmal Englisch! Sollen sie sich freuen, dass er wieder bei ihnen ist, oder hat er sie damals unverzeihbar verraten? Solidarität ist ein großes Thema in diesem Film: immer wieder dreht es sich um die Frage, ob man seine Freunde hängen lassen darf – das betrifft auch den besoffenen Drummer, ohne den die Musiker nicht fliehen wollen.

Aus Zuschauersicht ist es kaum zu ertragen, dass Valerij, obwohl er um die tödliche Strahlung weiß, die Stadt nicht verlässt. Es gibt doch immer wieder die Gelegenheit dazu!

Valerijs missglückte Fluchtversuche sind immer eine Mischung aus Schicksal und eigener Entscheidung: Zuerst ist es Veras Absatz, der abbricht, sodass die beiden den Zug verpassen. Valerij hätte natürlich auch ohne sie weiterrennen können und den Zug noch erreicht, aber er bleibt bei ihr. Später springt er auf einen Lastwagen auf, aber die Arbeiter fahren zum Landwirtschaftseinsatz – ein, wie Valerij weiß, jetzt völlig sinnloses Unterfangen, das ihn der Gefahr nur näher bringen würde. Auch in der Nacht darauf, als Valerij von der später so genannten „Brücke des Todes“ aus zusammen mit anderen den brennenden Reaktor sieht, rennt er nochmal zum Bahnhof. Ein Pärchen springt vor ihm auf einen vorbeirollenden Güterzug – Valerij selbst schafft es nicht mit seinen Rotweinflaschen unter dem Arm, die er für die Freunde organisiert hat. Weil er die Freunde nicht im Stich lassen will, oder weil ihm gerade durch das Paar vor ihm bewusst wird, dass er, wenn er flieht, zwar vielleicht in Sicherheit wäre, aber allein. Und so führt ihn der Weg hinaus aus der Stadt stattdessen ins Zentrum der Katastrophe.

Genauso schwer ist aus heutiger Perspektive zu verstehen, warum Valerij die Leute auf der Hochzeit nicht warnt, warum er sie nicht dazu drängt, die Stadt zu verlassen?

Das hat in der Tat mit der Mentalität bzw. mit der damaligen politischen Situation der Menschen in der Sowjetunion zu tun. Valerij hat sicher noch am wenigsten Angst davor, als Panikmacher erschossen zu werden, wie einer der Freunde mutmaßt. Wichtiger ist, dass er zuvor, in der Kommandozentrale „bei seinem Parteibuch“ Stillschweigen geschworen hat. Aber vor allem muss man sich vor Augen führen, dass in diesem Regime ein völlig anderes Denken herrschte. Auch Valerijs Parteisekretär spricht ja – obwohl schon von der Strahlung gezeichnet – als erstes davon, dass nun in der Partei das große Stühlerücken beginnt und rechnet sich Aufstiegschancen aus. Eine freie Wahl, eine freie Entscheidung so großen Ausmaßes zu treffen, das sind die Leute dort nicht gewohnt. Und so suchen sie stattdessen ihr eigenes kleines Glück – erst recht, wenn es nur noch einen letzten Tag dauern könnte.

Alexander Mindadze sagt, AN EINEM SAMSTAG sei eine „filmische Metapher“ über Tschernobyl. Wie ist das zu verstehen?

Die politischen Botschaften des Films sind subtil. In der kommunistischen Diktatur war eine direkte Meinungsäußerung gefährlich und die Künstler haben ihre Regimekritik häufig in Bilder verpackt oder scheinbar belanglose Situationen mit einer zusätzlichen Bedeutung aufgeladen. Mindadze verwendet diese Form der Darstellung auch in seinem Film. Ob die Freunde sich mit Valerij prügeln, weil er einheimisches Liedgut gefordert hatte, ob der Parteisekretär noch im Angesicht seines Todes von Aufstieg faselt, oder ob Valerij seiner Genossin mit den Worten „Parteikontrolle“ und dem gleichzeitigen Griff an den Busen den Wein abnimmt – immer steht dahinter, wie nebenbei, eine Kritik des politischen Systems. Und wenn die Musiker am Schluss des Films über ihren von der Partei zu ihnen zurückgekehrten Freund lakonisch festhalten: „Valerij entkommt man nicht!“, dann verkörpert Valerij nicht nur die Zwänge des Regimes, sondern auch die vertuschte Katastrophe – und damit letzten Endes den Tod.

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