SCHLAFKRANKHEIT (Frankreich/ BRD / NL 2011) Als DVD erhältlich ab 27. 01. 2012


Seit fast 20 Jahren leben Ebbo und Vera Velten in verschiedenen afrikanischen Ländern. Ebbo leitet ein Schlafkrankheitsprojekt. Seine Arbeit füllt ihn aus. Vera hingegen fühlt sich zunehmend verloren in der internationalen Community von Yaoundé. Sie leidet unter der Trennung von ihrer Tochter Helen, 14, die in Deutschland ein Internat besucht. Ebbo muss sein Leben in Afrika aufgeben oder er verliert die Frau, die er liebt. Aber mit jedem Tag wächst seine Angst vor der Schlafkrankheit.

Jahre später  –  Alex Nzila, ein junger französischer Mediziner mit kongolesischen Wurzeln, reist nach Kamerun. Er soll ein Entwicklungshilfeprojekt evaluieren. Schon lange hat er den Kontinent nicht mehr betreten. Doch statt auf neue Perspektiven trifft er auf einen destruktiven, verlorenen Menschen: wie ein Phantom entzieht sich Ebbo seinem Gutachter.

Ulrich Köhler hat mit seinen ersten Spielfilmen BUNGALOW und MONTAG KOMMEN DIE FENSTER (beide mehrfach ausgezeichnet und im Panorama 2002 bzw. Forum 2006 der Berlinale uraufgeführt) eine eigenwillige und bildintensive Filmsprache entwickelt. Seine Filme untersuchen mit subtilem Humor die deutsche Mittelstandsseele und entwickeln aus der genauen Beobachtung des Alltags einen starken Sog.

farbfilm Verleih                 Spieldauer:  91 Min.                Kinostart: 23. Juni 2011

Ein Film von Ulrich Köhler  –  mit Pierre Bokma, Jean-Christophe Folly, Jenny Schily, Hippolyte Giradot u.a.m.

Anzahl Discs 1 DVD 9
EAN 4250128408103
Bestellnummer 28408103
VÖ-Datum 27.01.2012
VÖ-Datum 27.01.2012
Laufzeit m91 Min.
Sprachen Deutsch, Französisch
Untertitel Deutsch
Bildformat 16:9
Tonformat Dolby Digital 5.1

Der Film ist eine spannende Erzählung, welche die Tiefen einer Figur erforscht und dem Publikum einen intimen Blick in das Seelenleben seiner Protagonisten gewährt. Zugleich zeigt der Film, in welche menschlichen Abgründe jemand geraten kann, der sich auf unbekanntem Terrain bzw. auf fremden Pfaden bewegt. Es scheint ein tiefer Zwiespalt zwischen offizieller Institution und der Individualität des Einzelnen zu geben. Ein unberechenbarer Zusammenhang eröffnet sich dem Zuschauer. Ähnlich wie in Schlöndorffs Film “ULZHAN” (2007) der in den Bergen von Kasachstan sein Ende sucht und findet, nur geprägt durch einen tiefen Pessimismus.

Der Schluß in SCHLAFKRANKHEIT kommt unerwartet und drückt zugleich ein Ende aus, wie es nur Vagabunden oder Globetrotter haben können. Wie das aus den Erzählungen der frühen Pioniere bekannt ist, die auf der Suche nach dem letzten weißen Fleck auf der Landkarte waren. Eine Kategorie Mensch, die einerseits den schmalen Grad der Entwicklungshilfe in einem afrikanischen Land geht, andererseits seinen inneren Schweinehund nicht los wird und einfach von der Bildfläche verschwindet.

Zum Trailer:     SCHLAFKRANKHEIT

Eine Komplizen Film Produktion von Janine Jackowski, Maren Ade und Katrin Schlösser in Koproduktion mit öFilm, Why Not Productions, IDTV Film, ZDF  –  Das kleine Fernsehspiel in Zusammenarbeit mit Arte (Redaktion: Christian Cloos, Anne Even, Birgit Kämper) produziert. Das Projekt wurde mit Mitteln der FFA, dem Medienboard Berlin-Brandenburg, dem BKM, dem DFFF, der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, dem The Netherlands Film Fund, der Hessischen Filmförderung, CNC und Media maßgeblich unterstützt.


Interview mit Regisseur Ulrich Köhler

Du erzählst die Geschichte eines Menschen, der sich zwischen den Welten verliert. War Ebbos Figur der Ausgangspunkt der Geschichte?
Am Anfang stand für mich die Lebenswelt der internationalen Helfer in Afrika. Ich habe mich gefragt, wie Menschen in einer Umgebung leben, in der sie immer privilegierte Außenseiter bleiben. Meine Eltern waren Entwicklungshelfer in Zaire. Ich bin einige Jahre in einem kleinen Dorf an einem Nebenfluss des Kongo aufgewachsen. Mein Bruder und ich haben sehr viel Zeit auf dem Wasser und sehr wenig in der Schule verbracht. Meine Mutter hat uns unterrichtet.

Kommt daher die Erzählung über das Nilpferd?
Ja, es gab dort Nilpferde und mein Vater ist mit uns Kindern in einem kleinen Einbaum hinter ihnen her gepaddelt. Die Menschen im Dorf haben uns gewarnt, aber mein Vater hat das nicht ernst genommen. Nachdem wir das Dorf verlassen hatten, ist eine amerikanische Ärztin von einem der Tiere getötet worden und die Leute haben behauptet, der Leiter des Krankenhauses habe sich in das Nilpferd verwandelt, um sie zu töten.

Das klingt nach einer aufregenden Kindheit.
Umso brutaler war die Rückkehr nach Deutschland. Wir verloren unsere Freunde und tauschten ein freies Leben in der Natur gegen die Enge einer hessischen Kleinstadt. Es war auch moralisch ein Schock: die ungerechte Verteilung des Wohlstandes zwischen den Kontinenten war selbst für einen Neunjährigen nicht zu übersehen.Ich begann zu verdrängen und verlernte in kürzester Zeit Kituba, den lokalen Dialekt, der zu einer zweiten Muttersprache geworden war. Meine Eltern hingegen wollten unbedingt zurück. Sie haben in Kamerun an dem Krankenhaus gearbeitet, an dem wir den Film gedreht haben. Hätte ich sie nicht besuchen wollen, wäre ich wahrscheinlich nie wieder nach Afrika gekommen.

Und jetzt hast du einen Film dort gedreht.
Ja, das habe ich mir lange nicht vorstellen können. Mein erster Besuch in Kamerun war zwar ein starkes Erlebnis, aber es schien mir vermessen als Europäer einen Film über Afrika zu drehen. Ich wollte das nicht thematisch ausbeuten. Vielleicht war es der Roman “Season of Migration to the North” des Sudanesen Tayeb Salih, der mir den Mut gab, mein Verhältnis zu Afrika zu untersuchen. Er handelt von einem Sudanesen der nach lange Jahren in England zurückkehrt und feststellt, dass er seine Heimat verloren hat. Für mich ist SCHLAFKRANKHEIT kein Film über Afrika, es ist ein Film über Europäer in Afrika. Es ist ein Film über Europa.

Du beginnst den zweiten Teil Deines Film mit dem Vortrag eines Entwicklungshilfe Kritikers. Teilst Du seine Haltung?
Nein. Afrikanische Experten, die für die Abschaffung der Hilfen plädieren, sind populär in der westlichen Presse. Ihre neoliberalen Rezepte sind für mich genauso suspekt wie der paternalistische Aktionismus von Bono und Bob Geldof. Auf meinen Recherchereisen bin ich vielen ausländischen Experten begegnet, die in einer schizophrenen Situation sind: Sie empfinden ihre konkrete Arbeit als sinnvoll, zweifeln aber am Sinn von Entwicklungshilfe im Allgemeinen. Ich glaube nicht an einfache Antworten und es ist vielleicht auch nicht unsere Aufgabe, Antworten zu geben. Wir sollten vor allem ehrlicher sein und untersuchen, mit welchen Regierungen wir aus welchen Gründen zusammenarbeiten. Reiche Länder könnten die Situation der Armen verbessern, aber das verlangt Opfer, zu denen wir nicht bereit sind. So sind sich die meisten Experten einig, dass Agrarsubventionen in den Industrieländern die Entwicklung Afrikas behindern.

Die zweite Hauptfigur, Alex, regt sich über den neoliberalen Vortrag auf. Schon bei seiner ersten Reise als Gutachter nach Afrika verliert er alle Illusionen. Alex steht am Ende ziemlich hilflos da…
Für mich hat seine Figur hohes Identifikationspotential, so habe ich mich oft gefühlt auf meinen Reisen in Afrika. Der Wunsch, sich richtig zu verhalten und einen natürlichen Umgang mit den Menschen zu haben, gerät in Widerspruch zur Angst ausgenutzt oder betrogen zu werden. Der Gutachter Alex Nzila muss erkennen, dass er die Dinge aus seiner europäischen Perspektive nicht beurteilen kann.

Alex ist in gewisser Weise ein Pendant zu Ebbo. Ein Mensch zwischen zwei Welten. Die Unterhaltung in der Kantine des Instituts zeigt, dass Europa eine schwierige Heimat für ihn ist.
Alex fühlt sich als Außenseiter, auch wenn er die Provokationen seiner Kollegen mit Humor zu parieren weiß. Die französische Gesellschaft ist trotz Sarkozy weltoffener als die deutsche, Menschen mit afrikanischen Wurzeln gibt es in allen Schichten und Berufen. Aber beim Casting habe ich gemerkt, dass dunkelhäutige Schauspieler auch dort meistens Klischees von illegalen Einwanderern oder Drogendealern bedienen müssen. Eine Figur wie Alex ist selten.

Habt ihr eure afrikanischen Darsteller in Kamerun gefunden?
Das Casting war sehr aufwändig. Ulrike Müller und Kris de Bellair haben Großes geleistet. Schauspielregie ist zu 80 Prozent Besetzungsarbeit, das wird häufig unterschätzt. Mit einem guten Drehbuch und der richtigen Besetzung kann der Regisseur nicht viel kaputt machen. Das war an manchen Tagen meine Rettung. Die afrikanischen Darsteller kommen alle aus dem Land. Kris de Bellair hat sie in Kamerun gesucht. Wir wollten auf Laien setzen. Profis in Kamerun lieben illustratives Spiel und übertriebene Gesten. Am Ende haben wir doch einige Schauspieler besetzt. Wir haben gemerkt, dass sie sich sehr gut umstellen können, wenn wir sie bitten, sich auf die Spielsituation einzulassen.

Mit Patrick Orth arbeitest du schon lange zusammen. Habt ihr die Auflösung vorher ausgearbeitet oder habt Ihr von Situation zu Situation entschieden?
Der Drehbedingungen waren anstrengend und die Vorbereitungszeit kurz. Viele Entscheidungen sind am Drehtag gefallen. Ich war mit den Darstellern beschäftigt, Patrick musste mir viel abnehmen. Es gibt eine große Vertrautheit zwischen uns. Ein paar grundlegende Dinge hatten wir festgelegt. Die Nachtszenen sollten realistisch sein. Wir wollten viel mit Taschenlampen arbeiten. Klar war auch, dass wir einige Szenen höher auflösen würden. Das Abendessen beim Chinesen war der erste klassische Schuss-Gegenschuss, den ich je gedreht habe. Ich bin überrascht, wie gut der Film mit diesen stilistischen Brüchen funktioniert.

Der Film beginnt mit dem Abtransport von Tropenholz auf riesigen LKW. Nichts ist an seinem Platz. Niemand hat eine Heimat. Sogar die traditionellen afrikanischen Kleider kommen aus China. Erst ganz am Ende hat man das Gefühl, dass Ebbo da ist, wo er hingehört. Wer ist das Nilpferd?
Ich bin leider nicht dazu gekommen es zu fragen. Es hat nicht einmal gemerkt, dass es gefilmt wird. 

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