DER BLINDE FLECK (BRD 2013)


Ascot Elite Filmverleih    Spieldauer: 85 Min.    Kinostart: 23. Jan. 2014

Zum Trailer: Der blinde Fleck      Regie:  Daniel Harrich

mit Benno Fürmann, Heiner Lauterbach, Nicolette Krebitz,
August Zirner, Jörg Hartmann, Miroslav Nemec, Udo Wachtveitl u.a.

Freitag, 26. September 1980. Auf dem Münchner Oktoberfest explodiert eine Bombe. 13 Menschen sterben, 211 werden verletzt. Unter den Toten ist der 21-jährige Gundolf Köhler. Die Behörden machen den Studenten als Bombenleger aus und kommen schnell zu dem Schluss, er habe allein und ohne politisches Motiv gehandelt. Doch ist die Lösung wirklich so einfach? Der Journalist Ulrich Chaussy (Benno Fürmann) recherchiert den angeblich gelösten Fall und stößt auf rechtsradikale Hintergründe und ungeklärte Todesfälle. Warum hat die Polizei Zeugenaussagen ignoriert? Warum gab Staatsschutzchef Dr. Hans Langemann (Heiner Lauterbach) geheime Informationen an die Presse weiter? Warum hat die Bundesanwaltschaft wichtige Beweismittel vernichten lassen? Ulrich Chaussy und der Opferanwalt Werner Dietrich (Jörg Hartmann) machen sich auf die gefährliche Suche nach der Wahrheit, die auch heute noch vertuscht wird.

Ascot Elite Filmverleih    Spieldauer:  85 Minuten   Kinostart: 23. Januar 2014

 

Zum Trailer: Der blinde Fleck      Regie:  Daniel Harrich

mit Benno Fürmann, Heiner Lauterbach, Nicolette Krebitz, August Zirner, Jörg Hartmann, Miroslav Nemec, Udo Wachtveitl u.a.

 

Freitag, 26. September 1980. Auf dem Münchner Oktoberfest explodiert eine Bombe. 13 Menschen sterben, 211 werden verletzt. Unter den Toten ist der 21-jährige Gundolf Köhler. Die Behörden machen den Studenten als Bombenleger aus und kommen schnell zu dem Schluss, er habe allein und ohne politisches Motiv gehandelt. Doch ist die Lösung wirklich so einfach? Der Journalist Ulrich Chaussy (Benno Fürmann) recherchiert den angeblich gelösten Fall und stößt auf rechtsradikale Hintergründe und ungeklärte Todesfälle. Warum hat die Polizei Zeugenaussagen ignoriert? Warum gab Staatsschutzchef Dr. Hans Langemann (Heiner Lauterbach) geheime Informationen an die Presse weiter? Warum hat die Bundesanwaltschaft wichtige Beweismittel vernichten lassen? Ulrich Chaussy und der Opferanwalt Werner Dietrich (Jörg Hartmann) machen sich auf die gefährliche Suche nach der Wahrheit, die auch heute noch vertuscht wird.

 

Der Film erzählt die wahre Geschichte des Journalisten Ulrich Chaussy, der seit 1980 den schwersten Bombenanschlag in der Bundesrepublik Deutschland recherchiert. Daniel Harrichs brisanter Politthriller verbindet höchst spannende Kinounterhaltung mit längst überfälligen Denkanstößen über die rechte Bedrohung und das leichtfertige Wegschauen vieler Behörden. „Ein Meisterstück!“ lobt die Bayerische Staatszeitung, „Ein Glücks- und Hoffnungsfall für das deutsche Kino“, urteilt kino-zeit.de. Schon vor dem Filmstart am 23. Januar 2014 wurde DER BLINDE FLECK mit dem Friedenspreis des Deutschen Films und dem Publikumspreis der Filmkunstmesse Leipzig ausgezeichnet. 

Inhalt

München 1980. Seit einem Jahr ist Ulrich Chaussy mit seiner Frau Lise verheiratet, doch der junge Radiojournalist vom Bayerischen Rundfunk lebt weiter in seiner Wohngemeinschaft. Eines Nachts stürmt ein Sondereinsatzkommando der Polizei das Haus. Vermummte und schwer bewaffnete Beamte überwältigen Ulrich Chaussy und bringen ihn ins Münchner Polizeipräsidium. Bei der Vernehmung werden ihm „Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, Ausbildung in Sprengstofftechnik und Vorbereitung von Sprengstoffverbrechen“ vorgeworfen. Beweise gibt es keine, nur den verleumderischen Hinweis „einer Person, die diesen Staat bejaht“. Ferner, so erklärt ihm der Kommissar, wären Chaussy und seine WG-Kollegen „nicht die ersten Linken, die anfangen, Bomben zu bauen“.

 

Die zunehmende Militarisierung der rechtsextremen Szene in Bayern wird unterdessen verharmlost. Regelmäßig treffen sich bewaffnete und uniformierte Gefolgsleute von Karl-Heinz Hoffmann, Gründer der Wehrsportgruppe Hoffmann, in einem Waldgebiet, um Krieg zu spielen. Bundesinnenminister Gerhart Baum verbietet 1980 die Wehrsportgruppe, die zuvor mehrere Jahre lang von der bayerischen Landesregierung geduldet und verharmlost wurde. So sagte Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß, zugleich Kanzlerkandidat der CDU/CSU im Wahlkampf 1980: „Mein Gott, wenn ein Mann sich wünscht, am Sonntag auf dem Land mit Rucksack und einer geschlossenen Koppel spazieren zu gehen, dann soll man ihn gefälligst in Ruhe lassen.“ Zu seinem Beraterstamm zählte Dr. Hans Langemann, Chef der Staatsschutzabteilung im bayerischen Innenministerium.

 

In einer Vorlesung an der Polizeiakademie referiert Dr. Hans Langemann über sein Spezialthema „Das Attentat“. Bei vielen politisch motivierten Gewaltakten im Laufe der Geschichte hat der Terrorexperte eine Parallele entdeckt: „Sie wurden in den allermeisten Fällen von einem vorgeschobenen Einzeltäter begangen. Von Caesar bis Sissi, von Lincoln bis Kennedy verschwinden die Strippenzieher in einem verklärenden Nebel, wird die Schuld auf einen einzelnen Täter, ein Bauernopfer, fokussiert.“ Dieser Einzeltäter gleiche einer Marionette. Im Augenblick der Tat würden die Fäden gekappt. „Wird nicht sofort und diskret im Umfeld des ausführenden Täters ermittelt, findet man nur noch lose Enden, die ins Leere laufen“, warnt Dr. Langemann seine Zuhörer. „Die Strippenzieher können unerkannt verschwinden.“

 

Im August 1980 beziehen Ulrich und Lise Chaussy ihre erste gemeinsame Wohnung. Sie liegt unweit der Theresienwiese, auf der bereits die Aufbauarbeiten für das beliebteste Volksfest der Welt laufen. Im September ist es soweit: Der Umzug der Wiesnwirte beginnt, Menschenmassen säumen die Straßen, Oberbürgermeister Erich Kiesl eröffnet die Wiesn mit einem Fassanstich im überfüllten Bierzelt. „O‘zapft is!“  Freitag, 26. September 1980, 22.19 Uhr. Ulrich und Lise Chaussy hören von ihrer Wohnung aus einen ohrenbetäubenden Knall. Ihr Blick geht durchs Fenster Richtung Theresienwiese. Am Haupteingang hat ein Sprengsatz 13 Menschen getötet, mehr als 200 verletzt, 68 von ihnen schwer.

 

Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß fliegt aus Bonn ein und diskutiert mit Dr. Hans Langemann das weitere Vorgehen. „Wir müssen die Situation nutzen, die Wahlen sind in einer Woche“, erklärt der Sicherheitsexperte. Bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz am Ort des Anschlags wettert Strauß: „Das ist der Beweis für das völlige Versagen der Bundesregierung. Linker Terror hat keinen Platz in unserem Land. Innenminister Baum muss zurücktreten!“

 


Doch schnell finden sich Hinweise, dass der oder die Täter aus rechten Kreisen stammen. Bei der ersten Pressekonferenz am 28. September 1980 erklärt Generalbundesanwalt Kurt Rebmann: „Nach den derzeitigen Ermittlungen kommt als Täter der 21-jährige Geologiestudent Gundolf Köhler aus Donaueschingen in Betracht. Er kam bei dem Attentat ums Leben. Anhaltspunkte dafür, dass Köhler Selbstmord begehen wollte oder begangen hat, liegen nicht vor. Wir nehmen nicht an, beim gegenwärtigen Stand der Ermittlungen, dass Köhler als Alleintäter gehandelt hat. Die Ermittlungen haben ergeben, dass Köhler Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann war.“

 

Die vorläufige Verhaftung Karl-Heinz Hoffmanns und weitere Ermittlungen bestimmen in den folgenden Wochen die Nachrichten. Es gibt zahlreiche wilde Spekulationen und Schuldzuweisungen. 1983, drei Jahre nach dem schwersten Anschlag in der deutschen Nachkriegszeit, verkündet Generalbundesanwalt Kurt Rebmann einen überraschenden Abschlussbericht: „Nach ausgiebigen Ermittlungen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass das Attentat auf das Münchner Oktoberfest am 26. September 1980 die Tat eines Einzeltäters war. Gundolf Köhler aus Donaueschingen handelte aus persönlichen Motiven, sexueller Frustration und Perspektivlosigkeit. Ein politisches Motiv konnte nicht erkannt werden. Es gibt keinen Hinweis auf eine Beteiligung weiterer Täter.“

 


Werner Dietrich, Anwalt vieler Opfer des Anschlags, ist empört. Im Interview mit Ulrich Chaussy weist er den Journalisten auf Ungereimtheiten hin, die eine Einzeltäterschaft Gundolf Köhlers ausschließen. Chaussys beruflicher Ehrgeiz ist geweckt, er nimmt Kontakt zu Zeugen und Opfern des Anschlags auf, läuft aber in vielen Fällen gegen Mauern oder trifft auf Zeugen, die seit ihrer Vernehmung durch die Polizei eingeschüchtert wirken. Nur wenige sind bereit, sich auf der Theresienwiese von Ulrich Chaussy interviewen zu lassen. Sie berichten übereinstimmend von zwei Männern, die mit Köhler unterwegs waren und sich vor und nach der Explosion verdächtig verhalten hätten. Eine Zeugin konnte sie gut beschreiben, doch die Polizei meldete sich nie wieder bei ihr, um anhand ihrer Aussagen Phantombilder anzufertigen.

 

Chaussy produziert für den Bayerischen Rundfunk ein Feature, das die Einzeltäter-These in Frage stellt und schwere Vorwürfe gegen die Polizei und Justiz erhebt. Gleich nach der Ausstrahlung klingelt sein Telefon. Der geheimnisvolle Anrufer will sich mit ihm noch am selben Abend am S-Bahnhof Großhesselohe treffen. Ein elegant gekleideter Mann, der sich „Meier“ nennt und als persönlicher Referent von Dr. Hans Langemann Zeuge aller Ermittlungen und Entscheidungen war, sagt Ulrich Chaussy seine Hilfe bei weiteren Recherchen zu, sofern seine Anonymität gewahrt bleibt.

 


Wenige Tage später findet Chaussy vor seiner Wohnung einen Karton voller kopierter Akten zum Oktoberfestanschlag sowie Dr. Langemanns Promotion „Das Politische Attentat – Der vorgeschobene Einzeltäter“. Der Journalist studiert die vielen tausend Seiten. Nachdem er die Verhörakte des Zeugen Frank Lauterjung gelesen hat, der Gundolf Köhler und weitere Männer in den Minuten und Sekunden vor der Explosion genau beobachtet hat, will er Kontakt zu ihm aufnehmen. Doch Lauterjung ist tot. Nach Auskunft seines früheren Hausmeisters starb der kerngesunde Mann mit 35 Jahren angeblich an einem Herzfehler, zuvor habe die Polizei den Kronzeugen „in den Wahnsinn getrieben“.

Ein weiteres Vernehmungsprotokoll lässt den vermeintlichen Einzelgänger Gundolf Köhler in einem neuen Licht erscheinen. Sein Freund Max Gärtner stellte ihn gegenüber der Polizei als sozialen Mann dar, der auch politisch motivierte Gewaltakte in Betracht zog. „Gundolf hat immer wieder von Anschlägen gesprochen“, betonte Max Gärtner bei der Vernehmung. „Bomben in Bonn, in München. Irgendwann eben auf der Wiesn. Die Strategie war ganz klar: Die linken Sozis dürfen nicht wieder Kanzler werden, da lieber das geringere Übel: den Strauß. Der hat uns wenigstens in Ruhe gelassen.“

 

Ulrich Chaussy fährt mit dem Opferanwalt Werner Dietrich nach Donaueschingen. Nach den schlechten Erfahrungen, die der Ort drei Jahre zuvor mit der Presse gemacht hat, will kaum jemand mit ihnen sprechen. Nur Gerhard Kiefer, Redakteur der „Badischen Zeitung“, sagt Hilfe zu. Chaussy und Dietrich fallen aus allen Wolken, als sie erfahren, dass der Boulevardjournalist Werner Winter damals schon in Köhlers direktem Umfeld recherchiert hat, bevor Köhler der Öffentlichkeit überhaupt als Einzeltäter präsentiert wurde. Woher hatte Winter diese interne Information?

 

Köhlers Jugendfreund Anton Franke und die ältere Schwester Margot Köhler zeichnen in Interviews mit Chaussy ein Bild des Studenten, das vom Psychogramm der Ermittler stark abweicht. Er sei nicht isoliert und perspektivlos gewesen, sondern habe zwei Wochen vor dem Anschlag einen Bausparvertrag abgeschlossen, habe eine Band gegründet und sei den ganzen Sommer mit einem Interrail-Ticket durch Europa gereist.

 


In einer Schwabinger Kneipe konfrontiert Chaussy den „Quick“-Reporter Werner Winter mit seiner Exklusiv-Geschichte „Der Wiesn-Massenmörder“ aus dem Jahr 1980. Darin sei die Wahrheit zugunsten der bayerischen Landesregierung geschönt worden, die sich angeblich schon früh für ein Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann ausgesprochen habe. Zudem hätten Winters frühe Recherchen Köhlers Umfeld die Chance gegeben, Beweise zu vernichten und sich untereinander abzusprechen. Winter räumt ein, geheime Informationen von hoher Stelle erhalten zu haben, nennt aber die Quelle nicht.

 

Das übernimmt der geheimnisvolle Herr „Meier“ beim zweiten Treffen mit Ulrich Chaussy: Dr. Hans Langemann höchstpersönlich habe ausgewählte Journalisten frühzeitig informiert und damit mögliche Mittäter und Hintermänner gewarnt. Mehrere von ihnen hätten den Freitod gewählt. Darunter Heinz Lembke, der für die rechte Szene Waffen und Sprengstoff organisiert habe. Im Abschlussbericht zum Oktoberattentat wurde aber nicht mal erwähnt, dass Lembke vernommen wurde und sich in seiner Zelle erhängt habe. „Er hätte der Schlüssel zur Klärung des Falles sein können“, klagt Ulrich Chaussy an.

 


Der Journalist kniet sich immer tiefer in die Recherche. Nicht ohne Folgen: Er erhält einen Drohbrief und wird von einzelnen Kollegen verspottet. Auch Lise, die inzwischen schwanger ist, hat Angst, dass er in einen Strudel aus Verschwörungstheorien gerät.
Nach erneuter Prüfung stellt die Generalbundesanwaltschaft den Fall endgültig ein und bestätigt Gundolf Köhler ein weiteres Mal als Einzeltäter. Dr. Hans Langemann wird wegen Geheimnisverrats zu neun Monaten Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Ulrich Chaussy beschließt aus Rücksicht auf Lise und ihr erstes Kind, die Recherchen über das Oktoberfestattentat einzustellen.

 

Es vergehen mehr als 20 Jahre, bis 2006 ausgerechnet Lise Chaussy ihren Mann ermutigt, die Akten wieder aus dem Schrank zu holen. Sie hat gelesen, dass alte RAF-Morde dank moderner Möglichkeiten der DNA-Analyse neu untersucht werden und regt dies auch für das Oktoberfestattentat an. Ulrich Chaussy baut seine Hoffnungen vor allem auf eine abgetrennte Hand, die 1980 am Explosionsort gefunden wurde. Laut Untersuchungen stammt sie weder von Köhler noch von einem anderen bekannten Opfer, jedoch wurden Fingerabdrücke dieser Hand in Köhlers Bombenbastelkeller entdeckt. Dank DNA-Analyse ließe sich nun ein abgetauchter Mittäter ermitteln.


In Abstimmung mit dem Bayerischen Rundfunk schreibt Ulrich Chaussy einen Brief an Generalbundesanwältin Monika Harms. Er beantragt, dass die abgerissene Hand, die in der Asservatenkammer in Karlsruhe aufbewahrt wird, erneut untersucht wird. Als er eine Antwort erhält, ist Ulrich Chaussy außer sich vor Wut: Die Bundesanwaltschaft hat 1997 die Vernichtung aller bei ihr gelagerten Asservate vom Oktoberfestanschlag verfügt. Aus Platzmangel. Mit der Begründung, der Fall sei geklärt.

 

11. November 2011. Nach dem Selbstmord von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt fliegt die rechtsextreme Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund, kurz NSU, auf. Im Rahmen des Prozesses gegen Beate Zschäpe wird deutlich, in welchem Umfang Polizei und Verfassungsschutz von Rechten unterwandert wurden. Ulrich Chaussy greift den Fall in einem seiner Radiobeiträge auf und schlägt eine Brücke zwischen der NSU-Mordserie und allen Versäumnissen bei den Ermittlungen zum Oktoberfestanschlag: „Damals, 1980, waren die weitgehend gleichen Mechanismen des Wegschauens, des Ausblendens, des nicht wahrhaben Wollens bereits voll entwickelt, die wir jetzt im Fall NSU mit Erschrecken und Scham erkennen.“

 

Über die Produktion

Den Haupteingang zur Theresienwiese hat Daniel Harrich immer gemieden. „Wenn ich mit meinen Eltern oder Freunden das Oktoberfest besuchte, benutzten wir den Seiteneingang am Goetheplatz“, sagt der 1983 in München geborene Regisseur. Er wusste, dass es drei Jahre vor seiner Geburt einen Bombenanschlag auf das Volksfest gegeben hatte. Er wusste auch, dass es ein Denkmal mit den Namen von zwölf Menschen gibt, die durch das Attentat ihr Leben verloren hatten. Aber sonst? Trotz Leistungskurs Geschichte, Abitur und Studium kannte Daniel Harrich nicht die Hintergründe der Bluttat. Er wusste auch nichts über das 13. Todesopfer, dessen Name auf dem Denkmal fehlt: Gundolf Köhler, jener Student aus Donaueschingen, der laut Bundesanwaltschaft die Bombe im Alleingang und aus persönlichen Gründen zündete.


Ulrich Chaussy glaubt bis heute nicht an diese These. Als die Behörden den Fall 1983 für gelöst erklärten und die Ermittlungen einstellten, forschte Ulrich Chaussy erst recht weiter und stieß auf zahlreiche Ungereimtheiten, die nur einen einzigen Schluss zuließen: Gundolf Köhler hatte Komplizen und direkte Verbindungen zur rechtsextremen Szene in Bayern, aus der auch die Bombe und die Auftraggeber stammen mussten. Das war eine äußerst unbequeme Wahrheit, die nicht in den Wahlkampf des CDU/CSU-Kanzlerkandidaten und bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß passen wollte, als er 1980 gegen „Linke und Chaoten“ schimpfte und sich als harte Alternative zum lockeren SPD-Kanzler Helmut Schmidt empfahl.

 

„Indirekt kannte ich Ulrich Chaussy schon, als ich noch im Bauch meiner Mutter war“, sagt Daniel Harrich, dessen Eltern die Filmproduktionsfirma diwafilm gründeten. Spezialisiert auf spannende Projekte über spektakuläre deutsche Kriminalfälle und internationale Wirtschaftsverbrechen, hatten Walter und Danuta Harrich mehrfach mit dem investigativen Journalisten Ulrich Chaussy gearbeitet. 2008 traf er erstmals auf Daniel Harrich, der gerade in Los Angeles sein Filmstudium absolviert hatte und mit dem Abschlussfilm „Acholiland“ viele Preise auf bedeutenden Festivals gewann.

 

„Ich war direkt von Ulrich Chaussy fasziniert“, erinnert sich Daniel Harrich. „Einerseits von ihm als Mensch, weil er unbeirrt nach der Wahrheit über das Oktoberfestanschlag sucht, obwohl er dafür oft belächelt wurde, andererseits von seinen Ergebnissen, die zu meiner Überzeugung führten: So, wie es offiziell gewesen sein soll, kann es damals nicht gewesen sein.“ Je mehr Daniel Harrich über Chaussys Recherchen erfuhr, desto größer wurde sein Wunsch, das neue Wissen mit einem möglichst großen Publikum zu teilen: Die Idee zu einem Politthriller für die große Kinoleinwand war geboren.

 

 

„Dass ich darin der Protagonist sein sollte, hat mich überrascht und war nicht meine Idee“, erklärt Ulrich Chaussy. „Als Dokumentarist bin ich gewohnt, im Hintergrund zu bleiben und über andere Leute zu erzählen. Aber Daniel Harrich hat mich gleich in der ersten Fassung des Drehbuchs auf die Bühne gezogen.“ Für den Autor und Regisseur gab es zu diesem Ansatz keine Alternative: „Mich interessiert der unnachgiebige Kampf von Leuten wie Ulrich Chaussy oder dem Opferanwalt Werner Dietrich. Sie haben über 30 Jahre lang genau jene Arbeit gemacht, die eigentlich die Behörden hätten leisten sollen. Für mich sind sie die wahren Helden im Kampf gegen den Rechtsextremismus.“

Benno Fürmann gefiel der Gedanke, Ulrich Chaussy auf der Leinwand zu verkörpern und so einen stillen Helden, der „unnachgiebig Gerechtigkeit einfordert und der Demokratie auf die Finger klopft“, ins Licht der Öffentlichkeit zu holen.“ Jedes Treffen mit dem Vorbild seiner Rolle empfand der Schauspieler als Gewinn: „Ich suche stets nach dem Motor eines Menschen – und Ulrich Chaussys Maschine läuft mit einer solchen Leidenschaft, dass es leicht ist, von ihm inspiriert zu sein.“

 


Daniel Harrich bemerkte schnell, dass die Arbeit eines investigativen Journalisten nie zu Ende ist. Während er und Chaussy gemeinsam das Drehbuch schrieben, ergaben sich durch Befragung weiterer Zeugen immer wieder neue Spuren und Ansätze, die spontan in die Filmhandlung eingebaut werden mussten. Auch wenn der Regisseur Tage und Nächte im Archiv verbrachte und alte Bänder sichtete, erwies sich die vermeintlich langweilige Recherche oft als spannende Reise in die jüngere Vergangenheit: „Ich stieß auf unglaubliche Funde, die sofort ins Drehbuch und in Ulrich Chaussys Recherchen einflossen“, sagt Daniel Harrich. So stammen zum Beispiel mehrere Sätze, die Heiner Lauterbach als zwielichtiger Dr. Hans Langemann spricht, eins zu eins aus einer alten Aufnahme, die Harrich im Archiv auf einer 16-Millimeter-Filmrolle fand.

 

Mit Ausnahme von Langemann und anderen Personen der Zeitgeschichte sind in DER BLINDE FLECK alle Namen von Ermittlern der Sonderkommission und von lebenden Zeugen geändert. Identität und berufliche Stellung von Informanten wurde verfremdet, zudem fassten Harrich und Chaussy mehrere realen Zeugen zu einer Einzelperson zusammen: Der Staatsschutzbeamte „Meier“ wird von August Zirner gespielt und gibt im gesamten Film seinen wahren Namen nicht preis. Für Ulrich Chaussy gehört der Zeugenschutz zum Berufsethos: „Schon in meinem Buch von 1985 habe ich mir jedweden klaren Hinweis verkniffen, durch wen ich interne Informationen bekommen habe, und ich werde den Teufel tun, das jetzt in einem fiktionalen Spielfilm zu verraten.“

Trotz aller Kürzungen und Verknappungen, die nötig waren, um 30 Jahre Recherche auf 90 Filmminuten zu konzentrieren, hielt sich auch Daniel Harrich an die Arbeitsweise des Journalisten: „Ulrich Chaussy veröffentlicht ausschließlich unanfechtbar belegbare Fakten, distanziert sich von Spekulationen und klagt nicht an. Diesen Grundsatz haben wir in unseren Spielfilm übersetzt. Der Zuschauer sieht die wahre Geschichte, ohne Verfälschungen oder Dramatisierungen. Das Leben schreibt die spannendsten Geschichten – und die Realität ist weitaus schockierender, als man glauben will.“

 

Das zeigte sich vor allem 2011, als die Terrorzelle NSU aufflog, die Jahre lang Morde an Ausländern in Deutschland begangen hatte, ohne dass die Behörden ansatzweise eine rechtsradikale Bedrohung erkannten oder in Erwägung zogen. „Die NSU-Mordserie ist der traurige Beweis, dass DER BLINDE FLECK heute kaum aktueller und relevanter sein könnte“, sagt Daniel Harrich. Ulrich Chaussy ergänzt: „Es hätte in Deutschland nicht zu einer NSU-Mordserie kommen müssen, wenn man schon 1980 nach dem Anschlag auf das Oktoberfest damit begonnen hätte, die rechten Netzwerke genauer zu beobachten anstatt die rechtsextreme Bedrohung zu verdrängen.“

 

Auf genau diese Verdrängung ist Daniel Harrich aber bei seinen Recherchen zu DER BLINDE FLECK und anderen Filmprojekten immer wieder gestoßen: „Noch vor dem Auffliegen der NSU habe ich bei Dreharbeiten für einen Film über die damalige Sonderkommission Bosporus viele Ermittler und Staatsanwälte kennengelernt, denen heute – wenn auch hinter vorgehaltener Hand – rechte Sympathien nachgesagt werden.“ Sowohl gegen die Ermittler der NSU-Morde als auch gegen deren Kollegen, die zuvor den Oktoberfestanschlag untersuchten, erhebt der junge Regisseur schwere Vorwürfe: „In beiden Fällen haben die Sicherheitsorgane im Vorfeld versagt – und im Nachhinein die Ermittlungen behindert oder zumindest nicht aktiv vorangetrieben.“

 

Im Juni 2013 wagten sich Harrich und Chaussy mit DER BLINDE FLECK in die Höhle des Löwen. Drei Wochen vor der Uraufführung beim Filmfest München gab es eine Vor-Uraufführung vor 300 Gästen im Bayerischen Landtag, unter Schirmherrschaft von Landtagspräsidentin Barbara Stamm. Ausgerechnet am selben Nachmittag war der NSU-Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag zusammengekommen. Darin hatte Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Günther Beckstein ebenso ausgesagt wie der amtierende Innenminister Joachim Herrmann. Der CSU-Politiker gestand bei einer Podiumsdiskussion im Anschluss an die Filmvorführung, dass man seinerzeit „die Gefahr der Wehrsportgruppe Hoffmann“, aus der Gundolf Köhler hervorgegangen war, „kolossal falsch eingeschätzt“ habe. Auch die Art, „wie mit diesem Fall von den Behörden umgegangen wurde“, bezeichnete er rückblickend als „unbefriedigend“.

 

Ulrich Chaussy forderte Innenminister Herrmann in diesem Zusammenhang auf, Spurenakten freizugeben, die einst von der „Sonderkommission Theresienwiese“ geführt worden waren. Dass sie existieren, war vom bayerischen Landeskriminalamt viele Jahre lang bestritten worden. Tatsächlich versprach der Innenminister öffentlich, dem Opferanwalt Werner Dietrich Einsicht in die ungeschwärzten Akten zu ermöglichen.

 

 

„Die für den Spielfilm fiktionalisierte Geschichte kann nun in der Realität weitergehen“, freut sich Ulrich Chaussy. Auch Regisseur Daniel Harrich sieht sich seinem großen Ziel ein Stück näher, dass DER BLINDE FLECK politische Denkanstöße gibt und zu einer Wiederaufnahme der Ermittlungen führt: „Es wäre ein Traum – der Gerechtigkeit halber.“

Begleitend zum Kinostart am 23. Januar 2014 veröffentlicht Ulrich Chaussy sein Buch „Oktoberfest – Das Attentat“ aus dem Jahr 1985 in einer aktualisierten Neufassung. Sie trägt den vielsagenden Zusatztitel „Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann“. Die Dokumentation enthält Aussagen vieler weiterer Zeugen, die sich seit 1985 bei Chaussy meldeten. Auch sie bekräftigen die Theorie, dass es sich bei Gundolf Köhler nicht um einen Einzeltäter gehandelt haben kann. Das circa 300 Seiten starke Buch erscheint im Christoph Links Verlag Berlin (19,90 Euro, ISBN 978-3-86153-757-1) und wird am 21. Januar 2014 in Saarbrücken im Rahmen des Max-Ophüls-Festivals der Öffentlichkeit vorgestellt. Dort wird auch DER BLINDE FLECK laufen. Ende Januar 2014 folgt eine weitere Buchpräsentation bei Hugendubel in München.

 

 

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