Georg Baselitz im Städel Seltene Zusammenkunft früher Werke


Fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung präsentiert das Städel Museum vom 30. Juni bis 23. Oktober 2016 Georg Baselitz’ berühmte „Helden“-Bilder in einer umfassenden monografischen Sonderausstellung.

Georg Baselitz zählt zu den prägenden Malern und Bildhauern der Gegenwart. Seine kraftvolle Werkgruppe der „Helden“ und „Neuen Typen“ gilt weltweit als Schlüsselwerk der deutschen Kunst der 1960er-Jahre. Zu sehen sind 70 Gemälde und Arbeiten auf Papier, deren monumentale Figuren, aggressiv und trotzig gemalt, bis heute ambivalent, schicksalhaft und verletzlich wirken.

Es sind zerschlissene Soldaten, resignierte Maler, denen ihr latentes Scheitern ebenso eingeschrieben ist wie ihre ungewisse Zukunft. Die inhaltliche Brüchigkeit und Widersprüchlichkeit der „Helden“ findet ihr Äquivalent im Formalen. Die stets mittig frontal gegebene und klar konturierte Figur kontrastiert mit der Wildheit der Farbwahl und Heftigkeit der Malweise. Leihgaben aus bedeutenden internationalen Museums- und Privatsammlungen eröffnen dem Publikum einen umfassenden Blick auf diese Ikonen der deutschen Nachkriegskunst, die der damals erst 27-jährige Baselitz 1965/66 in explosionsartiger Produktivität entwickelte.

Nach ihrem Auftakt im Frankfurter Städel Museum wandert die groß angelegte und von Max Hollein kuratierte Ausstellung weiter an das Moderna Museet Stockholm, in den Palazzo delle Esposizioni Rom und an das Guggenheim Museum Bilbao.

„Die ‚Helden‘-Bilder sind Markstein und vehementer Dreh- und Angelpunkt im Werk von Georg Baselitz. Sie sind aus tiefster innerer Notwendigkeit entstanden, als bewusste Auseinandersetzung mit einer virulenten, inhaltlich aufgeladenen Thematik und stellen eine zeitlose Reflexion der künstlerischen Existenz an sich dar. Anhand einer eindrucksvoll veranschaulichten, selbst empfundenen Isolation, Entwurzelung und Haltlosigkeit etablieren die Arbeiten den prekären Erfahrungszustand des Künstlers in einer gebrochenen Welt und konfrontieren mit einem paradigmatischen Künstlerbild“, so Max Hollein, Kurator der Ausstellung.

Sie sind letztlich das beste was der Künstler geschaffen hat. Sie sind poetisch und aufbrausend zugleich. Trotz ihrer manchmal merkwürdigen Ansichten über das menschliche Leben. Das sind Auswürfe und existentielle Betrachtung zugleich. Die Farbe ist pastos aufgetragen. Dennoch enthalten die Bilder trotz aller Grobschlechtigkeit eine gewisse Zärtlichkeit. Ein Anflug voller Romantik. Die Farbpalette erscheint chaotisch. bei genauerer Betrachtung findet sich auch hier ein feiner Sinn für Sensibilität.

Georg Baselitz hatte 1965 eine in vielerlei Hinsicht zerstörte Ordnung vor Augen: Zwanzig Jahre nach Kriegsende standen in Deutschland Ideologien und politische Systeme sowie künstlerische Stile zur Diskussion. Dem Künstler kam dieser Mangel an Ordnungen entgegen, denn jegliche Vereinnahmung durch kategorische Einteilungen war und blieb ihm fremd.

In seiner skeptischen Grundhaltung betonte er die zwiespältigen Aspekte seiner Gegenwart. Entsprechend widersprüchlich wirken seine monumentalen „Helden“ im zerschlissenen Kampfanzug, die von Versagen und Resignation gezeichnet sind. Dass Baselitz sich in dieser Zeit überhaupt dem Thema der Helden zuwandte, war per se provokant. Das (männliche) Heldentum und seine einstigen Vertreter waren durch Krieg und Nachkriegszeit fragwürdig geworden. Der Künstler lässt Gestalten aus einer bereits verschüttet geglaubten Vergangenheit wiederauferstehen und bildet damit eine Wirklichkeit ab, wie sie in der bundesrepublikanischen Erfolgsgeschichte des Wirtschaftswunders nur ungern gesehen wurde. Und das in der damals vermeintlich obsoleten Form der figurativen Malerei. Es ging in dieser Auseinandersetzung aber um weit mehr als um allgemeine Gesellschaftsfragen. In zahlreichen Rollenbildern, die vom bisher unbeanspruchten „Neuen Typ“ über den historisch-politisch konnotierten Rebell und Partisan und den geistigen Hirten bis hin zu dem des positionierenden Malers reichten, vergegenwärtigt Baselitz seine individuelle Haltung und seinen besonderen Weg als Maler. Hier reflektierte er selbst über seine eigene Position im Verhältnis zu dieser Gesellschaft – eine wuchtige Selbstbehauptung und Identitätsbestimmung entgegen allen aktuellen Strömungen der damaligen Zeit. „Ich habe viele Experimente gemacht in 50 Jahren. Ich denke aber, dass die ‚Helden‘ keine Nachhilfe mehr benötigen“, so Georg Baselitz über die Werkgruppe der „Helden“ und „Neuen Typen“.

„Die Ausstellung im Städel Museum präsentiert die ‚Helden‘-Bilder Baselitz’ in einem Spiel aus Leere und Verdichtung über zwei Stockwerke des Ausstellungshauses“, erklärt die Co-Kuratorin Eva Mongi-Vollmer. Besonderer Wert wird auf die Wirkung der einzelnen Bilder und Zeichnungen gelegt. So wird sowohl durch die variierenden Wandfarben als auch durch eine stark rhythmisierte und immer wieder überraschende Hängung der Ausstellungsbesuch die Wahrnehmung für die Kunstwerke schärfen und den Betrachter sensibilisieren.

Die jeweiligen „Helden“ und „Neuen Typen“ mit ihren kolossalen Körpern und extrem kleinen Köpfen sind stets in der Bildmitte zu finden. Sie taumeln, schreiten teils ungeschickt, teils souverän durch den Bildraum. Die sie umgebende trostlose Landschaft zeugt, in Analogie zu ihren geschundenen Leibern, von Verwüstung: brennende Häuser, entlaubte Bäume, aufgewühlte Erdhaufen. Die vagabundierenden „Helden“ tragen ein Repertoire an wiederkehrenden Gegenständen wie Tornister, Paletten und Malerpinsel oder Marterinstrumente mit sich. Trotz der sich wiederholenden Ausführung im gleichen Format von 162 mal 130 Zentimetern birgt jedes einzelne Werk einen eigenen Ausdruck, der stark mit der jeweiligen Malweise und Farbwahl zusammenhängt. In der losen chronologischen Abfolge der Werke in der Ausstellung zeichnet sich Baselitz’ allmähliche Loslösung vom Motiv ab. Von dort bis zur seiner späteren Umkehrung des Motivs ist es nur noch ein kurzer Weg.

Ihren Anfang nahm die Werkgruppe der „Helden“ und „Neuen Typen“ während Baselitz‘ Stipendium an der Villa Romana in Florenz. Zurück in Westberlin arbeitete er das Thema weiter aus. Die vielfach besprochene Skandalgeschichte, die mit der Ausstellung in der Galerie Werner & Katz 1963 begann, war zu diesem Zeitpunkt im Ausklang begriffen. Im Frühwerk Baselitz‘ bilden die „Helden“-Bilder einen besonderen Wendepunkt und können heute als historisches Dokument angesehen werden. Die Werke fügen sich nicht ein, in die vorherrschenden damaligen künstlerischen Tendenzen, seien es die Zukunftsvision von ZERO, die französischen und amerikanischen Abstraktionen oder die Abwandlungen des deutschen Nachkriegsinformel. Sie geben sich auch zwanzig Jahre nach Kriegsende nicht mit einem oberflächlichen Gefühl des Neuanfangs zufrieden. Kreisen die „Helden“ und „Neuen Typen“ zwar motivisch um sich wiederholende Elemente, so werden sie in ihrer malerischen Ausformulierung monströs, zerrüttet und wuchtig. Sie bilden eine wichtige Position innerhalb der deutschen Kunst nach 1945.

Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag ein umfassender Katalog, in dem Herausgeber Max Hollein einleitend über Malerei als Befreiung schreibt, während Alexander Kluges literarische Texte einen ganz eigenen eindrucksvollen Wahrnehmungsraum entstehen lassen; Uwe Fleckner wendet sich in einem Kapitel dem postheroischen Helden zu, der Kunsthistoriker Richard Shiff verschafft sich einen lebendigen Eindruck von verlorenen Helden und Städel Kuratorin Eva Mongi-Vollmer widmet sich im Katalog der Entstehungsjahre der „Helden“.

Der Audioguide zur Ausstellung (auch auf der Städel App erhältlich) wird u. a. von Georg Baselitz und Alexander Kluge gesprochen. Ein aufwendig gestaltetes Digitorial. Die Ausstellung „Georg Baselitz. Die Helden“ wird gefördert durch Goldman Sachs.

Meldung: Städel Museum, Foto (c) Kulturexpress

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