DER JUNGE KARL MARX Kinostart: ab 02. März 2017, Neue Visionen, Regie: Raoul Peck


Ein Film der vermutlich nicht jeden überzeugen wird, da nicht spannend genug. Zu viele Namensnennungen berühmter Personen, wie es scheint, kommen im historisierenden Film vor. Doch die Mühe ist es wert! Der Zuschauer wird durchaus in ein Interieur versetzt, das der damaligen Zeit sehr nahe kommt. Straßenszenen sind präsent ebenso wie das Arbeitszimmer der Protagonisten in dunkelbraunem Mobiliar. Endlich auch einmal ein Marx, der nicht als überlebensgroße Bronze protzt. Nicht das Altersportrait mit weißem Haar und Bart dominiert, sondern ein junger dynamischer Mann, gespielt von August Diehl, der an Familiengründung denkt und seinen Förderer in Friedrich Engels findet. Das ist Soziologie an der Basis, insofern ein ermunterndes Werk, das auch ein über zeitgeschichtliche Zusammenhänge aufklärt. Was allerdings viel zu wenig Erwähnung findet, ist die Bedeutung der Stadt Frankfurt am Main während der 1848er Jahre. Überwiegend die Metropolen Brüssel, Paris und London bilden neben Berlin die Austragungsorte des jungen Karl Marx.

Paris, 1844, am Vorabend der industriellen Revolution: der 26-jährige Karl Marx lebt mit seiner Frau Jenny (Vicky Krieps) im französischen Exil. Als Marx dort dem jungen Friedrich Engels (Stefan Konarske) vorgestellt wird, hat der notorisch bankrotte Familienvater für den gestriegelten Bourgeois und Sohn eines Fabrikbesitzers nur Verachtung übrig. Doch der Dandy Engels hat gerade über die Verelendung des englischen Proletariats geschrieben, er liebt Mary Burns, eine Baumwollspinnerin und Rebellin der englischen Arbeiterbewegung. Engels weiß, wovon er spricht. Er ist das letzte Puzzlestück, das Marx zu einer rückhaltlosen Beschreibung der Krise noch fehlt. Marx und Engels haben denselben Humor und ein gemeinsames Ziel, sie können sich hervorragend miteinander betrinken, und sie respektieren und inspirieren sich als Kampfgefährten.

Zusammen mit Jenny Marx erarbeiten sie Schriften, die die Revolution entzünden sollen. Die sozialen und politischen Krisen brodeln, doch die Intellektuellen in Deutschland und Frankreich reagieren nur mit ausflüchtender Rhetorik. Marx und Engels wollen nicht mehr nur Theorie, sondern Wirklichkeit, sie wollen den Massen ein neues Weltbild geben. Doch dafür müssen sie die Arbeiterbewegung hinter sich bringen – nicht so leicht, denn mit ihrer jugendlichen Anmaßung stoßen Marx und Engels so manchen gestandenen Revolutionär vor den Kopf. Trotz Zensur, Polizeirazzien und internen Machtkämpfen lassen sie nicht nach in ihren Versuchen, eine neue Vision von menschlicher Gemeinschaft zu formulieren.

Historisches Kino über die Begegnung zweier Geistesgrößen, die die Welt verändern und die alte Gesellschaft überwinden wollten. In großen Bildern und mit viel Sensibilität erzählt Regisseur Raoul Peck die Entstehungsgeschichte einer weltbekannten Idee als Porträt einer engen Freundschaft. Ihm gelingt ein so intimer wie präziser Blick in die deutsche Geistesgeschichte, die durch zwei brillante und gewitzte Köpfe seit der Renaissance nicht mehr so grundlegend erschüttert wurde.

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