Leseabend mit Peter Bichsel Buchhandlung Weltenleser


Die Buchhandlung Weltenleser hatte am Abend des 8. Juni zu einem besinnlichen Abend oberhalb des Eschenheimer Turm in den Oeder Weg eingeladen. Die Buchhandlung besteht seit etwa drei Jahren. Die Inhaberin Dr. Maria Lucia Klöcker ist ausgebildete Juristin, die sich mit dem Geschäft einen Lebenstraum erfüllt hat, indem sie in Frankfurt eine Buchhandlung eröffnete – als wenn es nicht schwierigere Dinge auf der Welt gäbe.

Der Verdrängungswettbewerb in Bezug auf Buchhandlungen ist im Bereich der Frankfurter Innenstadt seit Jahren bekannt. Es gibt im Bereich Innenstadt praktisch keine Buchhandlungen mehr. Selbst die englischsprachige Buchhandlung an der Alten Börse hat dicht gemacht oder die Carolus Buchhandlung am Liebfrauenberg ist nicht mehr an ihrem Fleck. Sie wurden verdrängt. Nur noch Hugendubel ist übrig geblieben, das Superkaufhaus mit seiner einzigartigen Erfolgsstrategie. Was wirklich ein Publikumsmagnet ist, vorbeischauen welche Bücher auf Lager sind und nebenbei die Caféteria besuchen – da ist vielleicht ein Trubel. Eine besinnliche Buchhandlung kann so etwas nicht ohne weiteres bieten. Buchhandlungen sind ein Stück Rückzugsgebiet. Das ein oder andere Gespräch kommt aber dennoch zustande dank der Inhaberin und ihrer Kollegin Almut Kläs.

Auch der Oeder Weg mit seinen vielen Geschäften ist einem ständigen Wandel unterworfen. Populär waren die Milchbar oder die Musikbuchhandlung weiter oben. Lauter Läden, die nicht mehr existieren. Ein existierender Laden auf dem Oeder Weg ist die Boutique Liebesdienste. Anlässlich der Tendence 2015 veranstaltete die Messe Frankfurt eine Pressekonferenz vor Ort. Im Laden mit dem seltsamen Namen findet sich ein kunterbunt gemischtes Angebot an Möbeln, Wohnaccessoires und Geschenkartikeln. Darüber hinaus werden Feinkost und Getränke angeboten, auch zum probieren. Ein Geschäft mit Überraschungseffekt.

Diesen Überraschungswert lieferte auch die Buchhandlung Weltenleser, als sie den renommierten Schweizer Schriftsteller Peter Bichsel zu einem Leseabend einlud. Da saß der betagte Mann auf einem Stuhl draußen vor dem Geschäft und wartete bis die Gäste eintrafen. Neben ihm seine Literatur Vermittlerin zugleich Leiterin des Literaturhaus Darmstadt, Adrienne Schneider, in der Sitzecke am kleinen runden Tisch. Bichsel kennt sich in Frankfurt aus. Nicht zuletzt war er Stadtschreiber in Bergen Enkheim und kannte den Schriftsteller Jurek Becker, der sein Nachfolger im Jahr danach war. Über Jurek Becker erzählte er an diesem Leseabend einiges. Wie er zu seiner Berufung als Stadtschreiber nach Bergen Enkheim gekommen war, welche Rolle Max Frisch dabei gespielt hat.

Bichsel ist vielseitiger Kolumnenschreiber. Adrienne Schneider ist die Herausgeberin einiger seiner Publikationen. Dem Schriftsteller Peter Härtling gehe es gesundheitlich nicht besonders, wurde laut. Schriftsteller Hans Mayer übe rokokomäßiges aus. Viele Autoren leben von ihren Lesungen, mehr als dass sie mit dem Verkauf der Bücher auskämen. Bichsel wollte ausschließlich in Buchhandlungen lesen, was auf Dauer nicht realistisch war, da immer mehr Festivals aufkamen. Buchhandlungen haben etwas nostalgisches.

Dann las der Autor aus dem Buch: “Heute kommt Johnson nicht – Kolumnen 2005-2008”  Der Erzähler schaut nicht unbedingt auf Johnson, dem Titelheld, vielmehr ist es ein Warten von dem der Autor ausgeht. Es folgte die Kurzerzählung: “Vom Stier, der auch nur ein Mensch war “. Eine weitere Erzählung hieß: “Im Hafen von Bern im Frühling”. Der Hafen von Bern wird im Winter nicht befahren nur im Frühjahr ziehen dort Schiffe vorbei. “In den Wind geschrieben” erzählt von einer elektrischen Schreibmaschine, die nicht funktionierte. Worauf aber dennoch geschrieben wurde, denn Poesie ist unvergänglich. Nicht zu vergessen die transsibirische Eisenbahn, um an die Geographie anzuknüpfen. Über die geographische Lage von Paris schreibt Dr. Unseld, der Protagonist einer Erzählung. In diesen Erzählungen von Peter Bichsel, die Kolumnen genannt werden, wohnt eine feine Ironie.

Die Buchhandlung teilt sich genaugenommen in zwei räumliche Bereiche, nachdem man die Tür betreten hat. Geradeaus geht’s zur Theke, die sich an der hinteren Wand des Ladens befindet. Daneben befindet sich eine Tür. Rechts von der Tür ist eine Sitzecke. Überbrückt werden die Bereiche durch hohe Regale, die außer an der Schaufensterseite den gesamten Raum einschließen. Der Innenraum wird durch ein halbhohes Bord mit großen Regalfächern in der Mitte des Raumes getrennt.

Die erwähnte Sitzecke ist mit grau gepolsterten Sesseln ausgestattet. Das wirkt klassizistisch streng. Man könnte meinen auch hier seien Maßstäbe angewendet worden, wie sie beim Schiffsbau zur Geltung kommen. Die knapp bemessene Form steht vielleicht auch in Bezug zum früheren Beruf der Inhaberin, wo Strenge mit an erster Stelle steht.

Die Buchhandlung Weltenleser hat sich der Geographie verschrieben. Das ist ihr Leitfaden. Sämtliche Bücher in den Regalen sind nach geographischen Orten aufgereiht. Die Einrichtung besteht überwiegend aus lackiertem Holz. Das Ambiente erinnert ein wenig an Schiffs- oder Kaptiänsräume unter Deck. Dort geht es meist sehr stimmungsvoll und gemütlich her. Eine Art edle Patina überzieht das gesamte Mobiliar. Oberhalb der Regale steht in dunkler Schrift, wo sich der Leser gerade befindet auf geographischem Gebiet. Aus Platzgründen werden nur Kontinente namentlich aufgezählt. Das deutet jedoch auf die weltoffene Gesinnung hin, welche die Buchhandlung Weltenleser der Kundschaft und seinen Besuchern vermitteln will. Lesungen finden auch in französischer, italienischer oder spanischer Sprache statt meist mit deutscher Übersetzung.

Peter Bichsel wurde am 24. März 1935 in Luzern geboren. Er wuchs in Olten auf. 1964 wurde er mit seinen Kurzgeschichten in “Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen” auf einen Schlag bekannt; die Gruppe 47 nahm ihn begeistert auf und verlieh ihm 1965 ihren Literaturpreis. Legendär sind seine “Kindergeschichten”, die 1969 bei Luchterhand erschienen sind. Zwischen 1974 und 1981 war er als persönlicher Berater für Bundesrat Willi Ritschard tätig, mit dem er befreundet war. Mit dem Schriftsteller Max Frisch war er bis zu dessen Tod 1991 eng befreundet. Er ist seit 1985 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Bichsel lebt in Bellach bei Solothurn.

Ein Bericht von Kulturexpress

www.buchhandlung-weltenleser.com

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