Wie die räumliche Struktur die Krebsentwicklung beeinflusst Medizin


Dr Robert Noble [2], Dozent für Mathematik an der School of Mathematics, Computer Science and Engineering (SMCSE) der City, University of London, ist der Ansicht, dass die Charakterisierung der Art und Weise bzw. des Musters der Entwicklung von Tumoren für die klinische Prognose und die Optimierung der Krebsbehandlung wichtig ist. 

Dr. Noble und seine Kollegen aus der Forschungsgruppe von Professor Niko Beerenwinkel an der ETH Zürich haben eine neue Studie in Nature Ecology & Evolution [3] veröffentlicht, die erstmals systematisch untersucht, wie die räumliche Struktur die Tumorentwicklung beeinflusst. 

Zu diesem Zweck entwickelte die Gruppe ein Computermodell, das alternative räumliche Strukturen und Arten der Zellausbreitung simulieren kann. Anschließend führten sie Tausende von Simulationen mit verschiedenen Strukturen und Parameterwerten durch und verglichen die Ergebnisse mit aktuellen, hochmodernen DNA-Sequenzierungsdaten von echten menschlichen Tumoren.    

Das Team stellte fest, dass die unterschiedlichen räumlichen Strukturen menschlicher Tumore dazu führen können, dass diese sich auf sehr unterschiedliche Weise entwickeln. Die Vorhersagen des Computermodells stimmen mit klinischen Daten für Krebsarten mit entsprechenden Strukturen überein. 

Laut Dr. Noble bestehe eine der größten Herausforderungen in der Krebsforschung darin, “aus den begrenzten genetischen Informationen auf die Eigenschaften eines Tumors zu schließen. Dieses Problem kann anhand einer Sportanalogie verdeutlicht werden. Angenommen, Sie wissen nur, dass Mannschaft A in einem Kopf-an-Kopf-Spiel doppelt so oft gepunktet hat wie Mannschaft B. Kann der Unterschied zwischen den beiden Mannschaften mathematisch ausgerechnet werden, um die Ergebnisse zukünftiger Wettbewerbe vorhersagen zu können?

Eine Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, besteht darin, ein Computermodell einzusetzen, bei dem jeder Mannschaft bei jedem Versuch eine Trefferwahrscheinlichkeit zugewiesen wird. Nachdem viele verschiedene Einstellungen ausprobiert wurden, scheint der wahrscheinlichste Verlauf derjenige zu sein, bei dem die Simulationsergebnisse dem tatsächlichen Spielergebnis ähneln. Auch wenn unsicher bleibt, wie hoch die tatsächlichen Wahrscheinlichkeiten sind, so können dennoch zumindest ihre wahrscheinlichsten Bereiche ermittelt werden.“ 

Es reicht jedoch nicht aus, das Verhältnis der Endergebnisse zu kennen. Beim Basketball ist es zum Beispiel unwahrscheinlich, dass eine Mannschaft doppelt so viele Punkte erzielt wie der Gegner, es sei denn, sie ist haushoch überlegen. Im Fußball hingegen ist es nicht ungewöhnlich, dass die bessere Mannschaft durch Pech 2:1 verliert. Um genaue Schlüsse ziehen zu können, muss man die Spielregeln kennen. 

Ähnlich wie Sportmannschaften um Punkte wetteifern, konkurrieren auch in Tumoren Gruppen eng verwandter Zellen – so genannte Klone – um den Platz und die Ressourcen, die sie zum Überleben und zur Vermehrung benötigen. Onkologen verwenden genetische Sequenzierung, um die relative Größe dieser Klone zu bestimmen, wenn ein Patient in die Klinik kommt. Wenn ein Klon größer ist als ein anderer, könnte das daran liegen, dass seine Zellen sogenannte “Treiber”-Mutationen aufweisen, die zu einer schnelleren Vermehrung führen. 

Die Auswirkung von Mutationen auf die Tumorentwicklung hängt jedoch davon ab, wie die Zellen miteinander interagieren, was durch die räumliche Struktur des Tumors bestimmt wird. So wie sich das Coronavirus langsamer ausbreitet, wenn die Menschen zu Hause bleiben und Kontakte vermeiden, verbreiten sich auch die Treibermutationen langsamer in den Tumoren, wenn die Zellen auf kleine Flecken beschränkt sind und sich nur selten zwischen den Flecken bewegen. Auch bei diesem Spiel kommt es auf die Regeln an. 

Die Entdeckungen, die in der jüngsten Forschungsarbeit gemacht wurden, haben “wichtige Auswirkungen auf die Interpretation von genetischen Krebsdaten”, so Dr. Noble.  „Ein wichtiges Ziel der modernen Krebsforschung ist es, den Entwicklungsprozess in Tumoren zu charakterisieren. Wir haben gezeigt, dass die besondere räumliche Struktur eines jeden Tumors berücksichtigt werden muss, um ein genaues Bild der Vorgänge zu erhalten. Durch die mechanistische Verknüpfung der Tumorarchitektur mit dem Modus der Tumorentwicklung liefert unsere Studie den Entwurf für eine neue Generation von patientenspezifischen Modellen zur Vorhersage des Tumorverlaufs und zur Optimierung der Behandlung“

Foto (c) Kulturexpress, Meldung: Ida Junker, PPOOL media communications, Paris

[1]  https://www.city.ac.uk/news-and-events/news/2022/12/systematically-examining-the-way-spatial-structure-influences-the-evolution-of-cancer
[2]  https://www.city.ac.uk/about/people/academics/robert-noble
[3]  https://www.nature.com/articles/s41559-021-01615-9

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