Staatsschulden in der Krise: Die Pandemie und das Kreditrisiko Wirtschaft


In den letzten zehn Jahren haben Wirtschaftswissenschaftler wie der Nobelpreisträger Paul Krugman die Länder zunehmend aufgefordert, mehr Staatsanleihen aufzunehmen. Die jüngsten Erfahrungen mit der COVID-19-Pandemie zeigen jedoch, dass zu viel Verschuldung ein erhebliches Problem darstellen kann. Neue Forschungsergebnisse legen nahe, dass gerade in Krisenzeiten Länder mit angespannten Finanzen mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Finanzmärkten bestraft werden, wobei ihre Kreditkosten steigen. Die Ergebnisse haben erhebliche Auswirkungen auf die globale Politik. 

“Ein Teil der Wirtschaftswissenschaftler glaubt, es sei völlig in Ordnung, Schulden zu haben”, sagt Darden-Professor Davide Tomio, Mitautor der neuen Studie. “Wir sind jedoch der Meinung, dass es so etwas wie zu hohe Verschuldung gibt.”

Tomio und andere Wissenschaftler stellten fest, dass in finanzschwachen Ländern und US-Bundesstaaten die Kosten für die Kreditaufnahme mit größerer Wahrscheinlichkeit steigen als in Ländern mit geringerer Verschuldung zu Beginn der Krise Anfang 2020. Dieses Phänomen trat selbst dann auf, wenn zwei Länder ein ähnliches Niveau an COVID-19-Infektionen aufwiesen. 

“Finanziell solidere Länder scheinen widerstandsfähiger gegenüber externen Wachstumsschocks zu sein, die mit der Pandemie verbunden sind”, heißt es in dem Bericht mit dem Titel “In Sickness and in Debt: The COVID-19 Impact on Sovereign Credit Risk”. Neben Tomio von Darden School of Business wurde die Studie von Patrick Augustin, Valeri Sokolovski und Marti Subrahmanyam von der McGill University, HEC Montreal bzw. der NYU Stern School of Business mitverfasst. 

Die Wissenschaftler konzentrierten sich bei ihrer Untersuchung auf 30 Industrieländer in Nord- und Südamerika, Europa und dem asiatisch-pazifischen Raum sowie auf 23 US-Bundesstaaten. Sie wählten bewusst Industrieländer aus, um die direkte Auswirkung von harten wirtschaftlichen Restriktionen, wie z.B. Lockdowns, auf die Kreditkosten zu messen. Lockdowns wurden eher in Industrieländern als in Entwicklungsländern durchgeführt, erklärt Tomio.

Die Autoren nutzten Daten des Credit-Default-Swap-Marktes (CDS), um zu sehen, wie stark sich die Kosten der Kreditaufnahme für jeden Staat oder jedes Land veränderten. CDS-Prämien steigen und fallen häufig, wenn Investoren ihre Ansichten über die wahrgenommenen Risiken der Kreditvergabe an einzelne Länder oder Staaten ändern. Die Untersuchung konzentrierte sich auf den Zeitraum zwischen dem 1. Januar, als die Weltgesundheitsorganisation ihr Notfallkonzept aktivierte, und dem 18. Mai 2020, als ein 500 Milliarden Euro schwerer Rettungsfonds der Europäischen Union angeboten wurde. 

Der Grad der “Haushaltskapazität”, mit der jede Regierung einen wirtschaftlichen Schock bewältigen könnte, wurde anhand einer Reihe von Wirtschaftsdaten gemessen, darunter die Kreditwürdigkeit des Landes oder Staates, die Arbeitslosenquote, das BIP und die Höhe der Verschuldung sowie andere relevante Wirtschaftsstatistiken. Auch die COVID-19-Infektionsraten, die Bevölkerungsdemografie und die Ausgaben für das Gesundheitswesen wurden analysiert.

Fiskalischer Zwang im Gegensatz zu mehr Spielraum

Die allgemeinen Ergebnisse zeigten, dass die fiskalisch höher verschuldeten Länder einen Anstieg der Kreditkosten verzeichneten. Dies stand im Gegensatz zu dem Ergebnis für fiskalisch starke Länder, die “widerstandsfähiger gegenüber den externen Wachstumsschocks im Zusammenhang mit der Pandemie waren”, so der Bericht. Mit anderen Worten: Länder, die über einen gewissen Spielraum in ihren Haushalten verfügten, wurden nicht mit deutlich höheren Kreditkosten auf dem Markt bestraft. 

Es mag überraschen, dass die Höhe der COVID-19-Infektionen nur einen geringen Einfluss auf die Kosten der Kreditaufnahme für jede Einheit hatte, es sei denn, das Land oder der Staat war finanzschwach. Für Regierungen mit knappen Kassen bestand ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen steigenden Infektionen und nachfolgenden Sprüngen in den Kreditkosten, während für fiskalisch robuste Regierungen die Abhängigkeit der Kreditkosten von COVID-19-Infektionen unbedeutend war. 

In ähnlicher Weise stellten die Autoren heraus, dass keiner der offensichtlichen Schlüsselfaktoren im Gesundheitsbereich – wie z.B. die Anzahl der Ärzte, die Anzahl der verfügbaren Krankenhausbetten, die Bevölkerungsdichte oder der Anteil der älteren oder fettleibigen Bevölkerung – zu den Veränderungen der Kreditkosten für Länder oder Staaten beitrug. Die Untersuchung ergab auch, dass die Unterschiede in den gesundheitspolitischen Maßnahmen der einzelnen Länder und Staaten nicht erklären, wie sich die Kreditkosten während der Krise veränderten. 

Die Autoren konnten auch die Geldpolitik als mögliche Ursache für unterschiedliche Marktreaktionen während der Pandemie ausschließen, indem sie Länder und Staaten untersuchten, die eine gemeinsame Geldpolitik hatten. Sie bestätigten die Ergebnisse, indem sie die Länder der Eurozone untersuchten, was bedeutete, dass sie alle einer identischen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank unterlagen. Ebenso unterlagen alle US-Bundesstaaten in der Stichprobe den geldpolitischen Entscheidungen der Federal Reserve.

Die Auswirkungen auf Interessenvertreter der Wirtschaft und Politiker

Die Ergebnisse haben klare Implikationen für Ökonomen, die glauben, dass Schulden keine Rolle spielen, und für politische Entscheidungsträger, die versuchen, ihre Länder oder Staaten gegen künftige wirtschaftliche Spannungen zu wappnen. Die Autoren legen nahe, dass hoch verschuldete Regierungen klugerweise ihre Schulden reduzieren sollten, wenn sie dazu in der Lage sind, da sie sonst riskieren, genau in dem Moment mit höheren Kreditkosten konfrontiert zu werden, in dem sie zusätzliche Finanzierungen benötigen. “Unsere Erkenntnis, dass die Haushaltskapazität die Anfälligkeit des staatlichen Kreditrisikos für systemische Schocks verstärkt, unterstreicht die Notwendigkeit, die Fiskalkapazität in wirtschaftlich günstigen Zeiten zu erhöhen”, heißt es in dem Bericht. 

Davide Tomio ist Co-Autor von “In Sickness and in Debt: The COVID-19 Impact on Sovereign Credit Risk”, das zusammen mit Patrick Augustin von der McGill University, Valeri Sokolovski von der HEC Montreal und Marti Subrahmanyam von der NYU Stern School of Business verfasst und zur Veröffentlichung im “Journal of Financial Economics” angenommen wurde.

Assistenzprofessor für Betriebswirtschaftslehre 

Tomios Forschungsschwerpunkte sind Marktliquidität, derivative Instrumente und die Folgen von Zentralbankinterventionen. In seiner jüngsten Arbeit beschäftigte er sich mit den Auswirkungen der quantitativen Lockerungsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank auf die Preisbildung, Liquidität und Verfügbarkeit von Staatsanleihen. 

Seine Arbeit wurde unter anderem den Forschungs- und Politikteams der U.S. Federal Reserve Bank und des Finanzministeriums, der Europäischen Zentralbank und den Zentralbanken Deutschlands, Kanadas und Italiens vorgestellt, wo er auch unterrichtete. Tomio’s Studie wurde von “Forbes” zitiert und im “Journal of Financial Economics” veröffentlicht.

Meldung: Dr. Ida Junker, Senior international consultant, PPOOL media – communications, Paris

[1] https://ideas.darden.virginia.edu/government-debt-during-crisis
[2] https://ideas.darden.virginia.edu/davide-tomio
[3] https://ideas.darden.virginia.edu

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