DAM Preis 2021 geht an MVRDV und N-V-O Nuyken von Oefele Architekten für Werk12 in München Deutsches Architekturmuseum Frankfurt, DAM, 3. OG, vom 30. Januar - 27. Juni 2021


Das WERK12 steht auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände nahe des Münchner Ostbahnhofs. Das Areal entwickelt sich seit einigen Jahren zu einem experimentierfreudigen Stadtviertel. Umlaufende breite Balkonstege und Kaskadentreppen charakterisieren das Gebäude nach außen; seinen frisch-frechen Auftritt erhält es durch riesige Buchstaben mit Comics entlehnten Lautmalereien an der Fassade. Der freie Platz vor dem Haus unterstützt seinen Auftritt. Die Bilder des niederländischen Expo 2000- Pavillons tauchen nicht von ungefähr vor dem geistigen Auge auf: Er animierte den Bauherren zu dem Auftrag. Innen weist der fünfgeschossige Bau eine hohe Flexibilität für verschiedenste Nutzeransprüche auf. Durch eingezogene Galerien in den hohen Räumen entstehen zusätzliche Ebenen. Offene Installationen und Sichtbeton prägen das Innere. Ein Fitness-Studio belegt drei Etagen, eine davon mit Pool. Dazu kommen verschiedene Gastronomienutzungen und Büroflächen.

Auch 2020 reiste die Jury zu den Finalisten für den DAM Preis. Das Besondere war, dass sie Ende August im Corona-Jahr überhaupt reisen konnte, weil in diesem Zeitfenster die wichtigen Corona-Werte moderat ausgefallen waren. Die Möglichkeit zur persönlichen Inaugenscheinnahme der Gebäude und Diskussion darüber erfüllte alle Teilnehmer mit großer Freude, hatte doch der erste Teil der Jury gezwungenermaßen per Videokonferenz stattgefunden.

Diese vier Finalisten hätten von der Bauaufgabe, vom zur Verfügung stehenden Budget, von ihrem eigenen Anspruch und von ihrer Botschaft her wieder einmal nicht unterschiedlicher sein können. Ein Wohnexperiment in Berlin, das von der ganz großen Serie im Betonfertigbau träumt, ein Beispiel für die Verknüpfung so konträrer Nutzungen wie einer Behörde mit einem High-Tech-Gewächshaus in Oberhausen, ein Umbau eines Kulissenlagers in eine Hochschule für Schauspiel in Berlin und eben dieses Hybridbauwerk im Münchener Werksviertel.

Am Ende gewann das Neue, Freche und Hybride, das Raumexperiment, das an einen Vorgänger des Büros MVRDV, den niederländischen Expo-Pavillon von Hannover 2000, erinnert und diesen in einer pragmatischen, »erwachsenen und seriösen Variante« darbietet (nach Roland Pawlitschko in der db). Ein Bauwerk, das für Offenheit und Wandelbarkeit in Städtebau und Architektur der Zukunft steht – und dies in einem Stadtviertel, das sich ebenso offen künftigen Nutzungen anbietet, dabei aber seine Herkunft nicht verleugnet. Der neue Stadtteil Werksviertel liegt südöstlich des Ostbahnhofs. Das war bisher die historische Bruchstelle, an der die ehrwürdige Münchener Innenstadt endete. Hier entsteht seit etwa zehn Jahren ein transformierter Industriestadtteil, der im Gegensatz zu den üblichen Güterbahnhoftransformationen, die nach dem Motto »Tabula rasa« entstanden sind, deutliche Erinnerungen und bauliche Symbole an sein Vorleben stehen lässt. Hallen, Silos und Bahngleise zeugen von der Zeit, als hier nicht nur Pfanni-Knödel hergestellt wurden, sondern auch Zündapp-Motorräder, Kleidung und vieles mehr. Dies ist kein Wunder, denn die früheren Pfanni-Eigentümer, die Familie Eckart, haben ihre Kartoffelknödel-Sparte verkauft und sind in die aktive Stadtentwicklung eingestiegen. Auf dem zentral im Werksviertel gelegenen Areal der ehemaligen Kartoffelfabrik vergeben sie freie Flächen nur im Erbbaurecht, statt sie zu verkaufen – wenn sie nicht selber als Entwickler auftreten. So wurden alte Produktionsgebäude erhalten und mit vielfältigen Nutzungen, bis hin zur Schafsalm auf dem begrünten Dach vom WERK 3, revitalisiert.

Foto: Moritz Bernoully

Allgemein wird das Werksviertel als das derzeit spannendste Münchner Stadtentwicklungsprojekt angesehen. Inzwischen wuchert eine bunte Mischung aus Gastronomie und Hotels (plus Hostel), Start-Ups und Künstlerateliers über subkulturelle Bühnen bis hin zu neuen Wohnungen und Schulen an diesem Knotenpunkt der S-Bahn-Stammstrecke, nur drei Stationen vom Marienplatz entfernt. Unter den beteiligten Architekten befinden sich Büros wie Steidle, Hild und K, Nieto Sobejano und Henn. Die hohe Kultur in Form einer Konzerthalle für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks nach einem Entwurf der Bregenzer Architekten Cukrowicz Nachbaur soll ebenfalls eines Tages dort auf einem Grundstück von 5.000 Quadratmetern realisiert werden.

Ausstellung DAM Preis 2021

Am zentralen Platz des Viertels, passenderweise Knödelplatz getauft, steht das WERK 12 von MVRDV aus Rotterdam, das in enger Zusammenarbeit mit den lokalen N-V-O Nuyken von Oefele Architekten entstanden ist und von Familie Eckart im Bestand gehalten und nicht verkauft werden wird. Ein Bauwerk, das sich selbst als krasses Gegenstück zur Münchner Innenstadt inszeniert und genau wegen dieses Widerspruchs natürlich auch glänzen kann. Ein Bauwerk, das nicht nur rhetorisch offen ist für künftige Veränderungen, sondern auch ganz praktisch, aber trotzdem für seinen Erstnutzer dringende Wünsche unverrückbar einbetoniert hat. Im Sommer 2020 wirkten manche der Elemente, die vor Jahren bereits entworfen und geplant wurden, besonders eindrucksvoll. So garantieren außen liegende, mehr als drei Meter breite Terrassen mit ihren eingeschriebenen, einläufigen und klimatisch offenen Betontreppen einen wichtigen Aspekt der »Neuen Normalität«, die von vielen bevorzugte Nutzung des Außenraums zu Vermeidung einer Covid-19-Infektion. Am äußeren Rand der Terrassen sorgt ein Sonnenschutz für Verschattung. Für das Konzept des Hauses aus fünf übereinander gestapelten doppelgeschossigen Plattformen war eine, mitsamt des Aufzugs, vollständig außenliegende Erschießung unerlässlich. So stand jedes Geschoss zur freien Verfügung offen – das wurde weidlich genutzt, denn eigentlich sind durch Galerien im Wechselspiel mit doppelgeschossigen 5,50 Meter hohen Räumen sogar auf zehn Geschossen Nutzungsmöglichkeiten entstanden. Verglasungen vom Boden bis zur Sichtbetondecke schaffen eine enge Verbindung zwischen innen und außen. Der Einfachheit der äußeren Gestalt steht ein hochkomplexes Innenleben gegenüber, das viele Geschichten über die räumlich diffizile Planung und Abstimmung mit der sichtbar belassenen Haustechnik erzählen kann. Hauptmieter ist ein über 4.500 Quadratmeter großes und bestens ausgestattetes Fitness-Studio, das sich über drei Geschosse erstreckt und auf seiner obersten Ebene über ein 25-Meter-Schwimmbecken verfügt – mit Blick hinaus zur Münchner Innenstadt. Eine Nutzung, die perfekt zum Image von München als Hauptstadt des gehobenen Körperkults passt. Im Erdgeschoss wird dieses Studio von mehreren Gastronomiebetrieben unterfüttert, die sich auch auf den Platz ausdehnen können. Oben auf der Penthouse-Ebene blickt eine Mobilitätsforschungsgruppe von Audi in die Zukunft und möglicherweise bald auch eine Bar in die große Weite (deren Fläche aber wegen Corona beim Jurybesuch noch nicht vermietet war).

MVRDV haben mit ihrem Entwurf nicht nur an ihre eigene grandiose Frühzeit angedockt, sondern sich wieder einmal als visionäre Weitseher bestätigt, denn sie gehörten zu den ersten europäischen Architekten, die sich mit hybriden Nutzungsmischungen beschäftigten, wie sie in Südostasien und China aufgrund der städtebaulichen Dichte seit längerem gefordert sind. In den vergangenen Jahren sind ihnen solche visionären Setzungen immer wieder gelungen, etwa mit »Seoullo Skygarden«, der Transformation einer Hochstraße in einen überwachsenen innerstädtischen Spazierweg in Korea, oder mit der »Markthal« von Rotterdam, einem Zwitter aus Markthalle und Wohngebäude. Beim derzeit in Amsterdam im Bau befindlichen »Valley« werden 200 Wohnungen und Büroflächen in einem zerklüfteten Hybridgebirge von Spiegelfassaden und begrünten Loggien vereint. Der alte Expo-Pavillon – dessen gestalterische Aussage von Wandelbarkeit und Flexibilität dem Bauherrn so imponiert hatte, dass er Jacob van Rijs von MVRDV ursprünglich bat, diesen einfach nach München zu translozieren – erfährt derzeit ebenfalls eine neue Wandlung: Er wird in einen terrassenartig emporwachsenden Block aus Hunderten von studentischen Apartments und Co-working-Büros integriert. So befruchtete der alte Traum der gestapelten niederländischen Landschaften nicht nur die neuen gestapelten Landschaften im Münchner Körpertempel, sondern auch seine eigene Metamorphose. Eine äußerst fruchtbare Verwandlung! Die sich in ebenso fruchtbarer Kooperation vollzogen hat: Das beteiligte Büro N-V-O war im Werksviertel bereits mit dem Umbau der Kartoffellagerhalle zum Theaterbau WERK 71 in unmittelbarer Nachbarschaft aktiv.

Aufgrund dieser exzellenten und visionären Leistung kürte die Jury unter Vorsitz des Vorjahressiegers Alexander Schwarz von David Chipperfield Architects, Berlin, das Projekt einstimmig zum Gewinner des DAM Preis 2021 – herzlichen Glückwunsch an den Bauherrn Werner Eckart, Geschäftsführer der OTEC GmbH, München, sowie an MVDRD und Jacob van Rijs, MVRDV Principal, Rotterdam, sowie N-V-O Nuyken von Oefele Architekten, München.

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