Prosodie und Konstruktionsgrammatik (1. Aufl. 2020) Hrsg. Wolfgang Imo und Jens P. Lanwer – de Gruyter Empirische Linguistik


Der vorliegende Band ist rein wissenschaftlicher Natur und eignet sich nicht als Lesestoff oder Lektüre, um etwas zum Thema Prosodie und Konstruktionsgrammatik zu erfahren. Davon kann ich nur abraten. Vielmehr dient die Publikation dem wissenschaftlichen Diskurs, der in regelmäßigen zeitlichen Abständen nach Erweiterungen in einem bestimmten Forschungsgebiet verlangt. Dennoch erscheint mir die Thematik interessant genug, um über sie zu berichten, da verschiedene Mischthemen zur Geltung gelangen, die einerseits mit sprachlichen Ausdrucksmitteln zu tun haben, andererseits aber auch in Interaktion gehen, um eine Sache durch ihren Klang dingfest und dadurch verständlicher zu machen. Es entsteht ein eigenständiges Ausdruckssystem, das in der Lage ist Situationen der Realität unmittelbar widerzuspiegeln.    

Die Konstruktionsgrammatik wird in den meisten Ausprägungen als gebrauchsbasiertes Grammatikmodell verstanden. Bestandteil des mündlichen Sprachgebrauchs sind immer auch prosodische Gestaltungsmittel. Der Bereich der Prosodie wird in konstruktionsgrammatischen Untersuchungen aber bisher immer nur als zweitrangig behandelt. An dieser Forschungslücke setzt der vorliegende Sammelband an: Es wird die Frage gestellt, inwieweit prosodische Charakteristika als mehr oder weniger stabile Merkmale sprachlicher Konstruktionen aufgefasst werden. Prosodie ist die Gesamtheit derjenigen lautlichen Eigenschaften der Sprache, die nicht an den Laut oder ein Phonem gebunden sind, sondern von umfassenderen lautlichen Einheiten gehalten werden. Dazu zählen Intonation und Satzmelodie, Tempo, Rhythmus und Pausen beim Sprechen.

Die Beiträge des Sammelbandes vereint das Interesse, Möglichkeiten einer konstruktionsgrammatischen Modellierung von Ergebnissen linguistischer Untersuchungen auszuloten, die nur oder auch auf die Ebene der Prosodie abzielen.

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Die linguistisch motivierte Prosodieforschung weist eine lange Forschungstradition auf. Im breiteren sprachwissenschaftlichen Diskurs wird der Prosodie allerdings nach wie vor eine eher periphere Rolle zumeist als paraverbale Erscheinung zugeschrieben. Die Prosodie wird häufig als eine Art Zusatz oder Begriffsetymologie in der Form als als ,Zugesang’ begriffen; also etwas, das erst im Äußerungsakt zum verbalen Ausdruck hinzutritt, aber nicht Bestandteil der Sprache oder Grammatik selbst ist. Wozu im weitesten Sinne auch die Musikalität zählen dürfte.

Eine solche Position findet sich explizit ausformuliert in den Arbeiten von Dwight Bolinger, auf den sich der vorliegende Text mehrmals bezieht. Er spricht sich generell dafür aus, prosodische bzw. im Speziellen intonatorische Ausdrucksmittel als nicht-sprachlich zu betrachten. Hintergrund dieser Position ist die Ansicht, dass Form-Funktions-Zusammenhänge im Bereich der Intonation und damit symptomhaft seien. Diese Auffassung ist bei Bolinger aber nicht verbunden mit einer Marginalisierung der Prosodie. Ganz im Gegenteil scheint er mit seiner Argumentation auf die Herausstellung einer Andersartigkeit prosodischer im Vergleich zu sprachlichen bzw. grammatischen Ausdrucksmitteln abzuzielen. Die Prosodie wird also nicht als ein rein symptomhaftes, affektives, sondern als ein konventionalisiertes Ausdruckssystem verstanden, das nicht in den Diensten der Grammatik steht, wie es beispielsweise generative Ansätze postulieren. Die Prosodie erfüllt damit auch primär interaktionale Funktionen. Im Gegensatz dazu findet sich in der Literatur aber auch die Position, dass prosodische Mittel selbst als Teil der Grammatik aufzufassen sind. Dies betrifft zumeist vorrangig den Bereich der Intonation.

Prosodie und Konstruktionsgrammatik
Empirische Linguistik, Band 12
Herausgegeben von Wolfgang Imo und Jens Philipp Lanwer
Erschienen bei De Gruyter, Berlin
1. Auflage, 2022
Sprache: ‎Deutsch
Broschierte Ausgabe, ‎286 Seiten
Format: ‎ 15.6 x 23,5 x 1,5 cm
ISBN: ‎978-3110777413

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