S AM Basel: Homo Urbanus – A Citymatographic Odyssey by Bêka & Lemoine Schweizerisches Architekturmuseum: vom 1. April bis 27. August 2023


Mit ihrem wegweisenden Debütfilm ‹Koolhaas Houselife› (2008) durchbrachen Bêka & Lemoine auf originelle Weise die Gepflogenheiten architektonischer Darstellung, indem sie ein meisterhaftes Bauwerk anhand der täglichen Routine seiner Haushälterin porträtierten. Seitdem haben Ila Bêka und Louise Lemoine in ihren weiteren Filmen untersucht, wie Menschen mit Raum in Beziehung treten: wie sie ihn bewohnen, wie sie ihn sich aneignen und wie sie ihn gestalten. In ihrem umfangreichen – und fortlaufenden – Filmprojekt ‹Homo Urbanus› zeichnen sie ein Bild der besonderen Spezies Stadtmensch, indem sie das Alltagsleben in zehn Weltstädten erkunden. Durch ihre lebendige Sprache machen die Filme deutlich, wie schon eine einfache Geste Verwunderung hervorrufen kann, und zeigen die stummen Regeln auf, die unsere Gesellschaften bestimmen. Die mit spürbarer Vitalität und ungewöhnlicher Nähe gedrehten Filme hinterfragen, wie die gebaute Umwelt das menschliche Verhalten beeinflusst, indem sie die Art und Weise, wie wir den Stadtraum kollektiv nutzen, rahmt, ordnet und lenkt. Mit ihren scharfsinnigen, aber auch einfühlsamen Beobachtungen richten Bêka & Lemoine besondere Aufmerksamkeit auf Momente der Verletzlichkeit, beleuchten sowohl Schwächen und Spannungen als auch unsere bemerkenswerte Fähigkeit, uns an eine Umgebung anzupassen, in der Macht, Effizienz und Konkurrenzkampf mehr und mehr zu den vorherrschenden Werten werden. Das Begleitprogramm zur Ausstellung erforscht diesen Aspekt genauer, indem es die unterschiedlichen Freiheitsgrade im öffentlichen Raum erkundet. Im S AM lädt ‹Homo Urbanus› zu einem Spaziergang ein, der im Rhythmus einer sich ständig wandelnden Stadtsymphonie durch verschiedene Raum-Zeit-Abfolgen führt. Derselben Idee spontaner Begegnungen folgend, die das Entstehen der Filme prägte, ist diese Ausstellung eine Aufforderung, die Stadt als unberechenbaren Organismus in ständiger Bewegung und Metamorphose zu erleben. Ein einzigartiger Rahmen, der eine lebendige Hommage an die grosse Bühne des öffentlichen Raums und dessen anonyme Protagonist*innen sein soll. Kurator*innen: Ila Bêka, Louise Lemoine; Andreas Kofler, S AM

Was zeigt die Ausstellung?

Die Ausstellung ist um ein doppeltes Sehkonzept herum aufgebaut, das zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen ermöglicht. Der erste Ausstellungsraum führt in die Arbeit von Bêka & Lemoine ein und ist dem analytischen Blick der Fotografie vorbehalten, während die nachfolgenden Räume der sinnlichen Erfahrung des Films gewidmet sind und die Besucher*innen einladen, sich von der einnehmenden und emotionalen Natur des Kinos ergreifen zu lassen. Im ersten Raum ist eine Auswahl von Standbildern aus den 10 Filmen wie eine Montagezeitleiste angeordnet. Diese Komposition stellt eine künstliche Verbindung zwischen Menschen, Gesten und Situationen her, die aus entfernten Orten und Zeiten stammen. Zusätzlich wird in diesem Raum ein Interview mit den Filmemacher*innen integriert. In diesem selbstgedrehten Interview (29 Min.) nehmen Ila Bêka und Louise Lemoine die Standards des klassischen Journalismus ironisch aufs Korn, indem sie sich selbst das Mikrofon hinhalten. Im Verlauf des Gesprächs versuchen sie, sich gegenseitig mit unbequemen Fragen über das ‹Homo Urbanus› Projekt zu verunsichern, welche Journalist*innen ihnen höchstwahrscheinlich nicht zu stellen wagen würden. Die weiteren Museumsräume sind vollständig den 10 Städten der ‹Homo Urbanus› Reihe gewidmet. Die 10 Filme sind eine lebendige Hommage an das, was wir in einer von Isolation und sozialer Distanzierung geprägten Zeit schmerzlich vermisst haben: öffentlichen Raum. Das S AM wird zum Kino: vier Projektionen zeigen im Loop die ‹Homo Urbanus› Filme. Eine Vielfalt an Sitzgelegenheiten bieten in den dunkel gehaltenen Räumlichkeiten die Möglichkeit, sich in den Filmen zu verlieren. In der Ausstellung im S AM werden die besonderen Klänge und Rhythmen der 10 Weltstädte zeitgleich hörbar sein, indem sich die einzelnen Projektionen akustisch überlagern und ineinander übergehen dürfen. Dadurch wird eine sich ständig erneuernde Kakophonie der Grossstadt erzeugt – ein Weltgebraus – als ob wir der Erde aus dem All zuhören würden. Die Immersion in den globalen öffentlichen Raum erzeugt bewusst auch eine Art Jetlag: alles erscheint gleich und doch anders. Die Besuchenden der Ausstellung treffen in ‹Homo Urbanus› sowohl auf vorhersehbare Stereotype als auch auf unerwartete Ereignisse. Inmitten des urbanen Abenteuers beweisen Bêka & Lemoine einen investigativen Sinn für Details und sind geduldige Beobachter*innen, die versuchen, die Choreografie, die sie umgibt, zu entschlüsseln: In Sankt Petersburg folgen sie spontan einer Dame im Pelzmantel, in Tokio beobachten sie das Schicksal einer verloren gegangenen Orange, in Bogotá zieht sie eine Gestalt in einem roten Regenmantel an, in Shanghai begegnen sie einem rückwärts gehenden Mann, in Doha folgen sie einer Einladung auf ein rhapsodisches Tanzboot.

Warum widmet sich das S AM dem ‹Homo Urbanus›?

«1748 vollendete Giambattista Nolli seinen einflussreichen Plan von Rom, in dem er die gebaute Stadt in schwarzer Farbe und die öffentlichen Räume in weisser Farbe kartierte. Dieses aufschlussreiche, aber binäre Bild und Verständnis unserer städtischen Umwelt löst sich beim Betrachten der ‹Homo Urbanus› Serie von Bêka & Lemoine zunehmend auf. Wir erkennen: Es gibt kein Schwarz und Weiss, aber unzählige Grauzonen, die der urbane Mensch durch eine endlose Vielfalt an Nutzungen und seine Verhaltensweisen prägt», erläutert Andreas Kofler (S AM), Kurator der Ausstellung. Ila Bêka and Louise Lemoine ermöglichen es uns, den Stadtmenschen im Detail zu beobachten und zu studieren, indem sie die Kamera und das Mikrofon auf ihn und seine Gewohnheiten richten. Dies auf eine Art wie wir es sonst nur aus Natur- und Tierdokumentationen kennen. So erkennen wir, dass sich Menschen in ihrem Verhalten im öffentlichen Raum stark differenzieren: sie können freudig und sozial sein, aber auch apathisch und lustlos. Nicht zuletzt ist es die Form des öffentlichen Raumes die diese Verhaltensweisen bedingt oder sogar latent vorgibt. Bêka & Lemoine zitieren in diesem Zusammenhang Winston Churchill: «Wir formen unsere Gebäude und danach formen unsere Gebäude uns.» In der Tat kann der städtische Raum einladend und poetisch sein, aber auch unwirtlich und frenetisch. Die S AM Ausstellung, die sich der ‹Homo Urbanus› Serie widmet, führt die Besucher*innen in 10 Weltstädte: Bogotá, Doha, Kyoto, Neapel, Sankt-Petersburg, Rabat, Seoul, Shanghai, Tokio und Venedig. Es ist nicht nur eine offene Einladung, das Stadttier Mensch zu beobachten, sondern auch die daraus gewonnenen Erkenntnisse und die Stadt in der man lebt für sich zu reflektieren.

Filmliste

Homo Urbanus Bogotanus, Bogotá, 44 Min. Homo Urbanus Dohanus, Doha, 63 Min. Homo Urbanus Kyotoitus, Kyoto, 85 Min. Homo Urbanus Neapolitanus, Neapel, 51 Min. Homo Urbanus Petroburgumus, St. Petersburg, 42 Min. Homo Urbanus Rabatius, Rabat, 51 Min. Homo Urbanus Seoulianus, Seoul, 45 Min. Homo Urbanus Shanghaianus, Shanghai, 71 Min. Homo Urbanus Tokyoitus, Tokio, 60 Min. Homo Urbanus Venetianus, Venedig, 62 Min.

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