Darden-Experte zu Gen AI und Arbeitsmarktentwicklung Wirtschaft


Eine der wichtigsten Debatten der Gegenwart betrifft generative Modelle künstlicher Intelligenz (Gen AI)  und welche potentiellen Auswirkungen diese auf den Arbeitsmarkt haben werden. Einige Beobachter sehen den fortschreitenden Automatisierungsprozess als Vorbote für weitreichende Entlassungen nicht nur für gering qualifizierte Arbeitnehmer sondern auch für höher qualifizierte Fachkräfte.

John Thornhill, der Innovationsredakteur der Financial Times, berichtet, dass der Begriff „überflüssige Menschen“ mittlerweile Verwendung findet in Bezug auf Auswirkungen der KI-Revolution auf Arbeitnehmer. Er berichtet von einem Gespräch mit einem Risikokapitalgeber von der Westküste, der behauptete: „In Zukunft wird es nur noch zwei Arten von Jobs geben: solche, die Maschinen sagen, was sie tun sollen, und solche, die von Maschinen gesagt bekommen, was zu tun ist“.

Es gibt jedoch auch zahlreiche Beispiele dafür, dass Arbeitsplatzverluste in einem Sektor durch Zugewinne in neuen Berufen ausgeglichen werden. So ergab eine NBER-Studie, dass 60 Prozent der heutigen Arbeitnehmer in Berufen beschäftigt sind, die es 1940 noch nicht gab.

Im Mittelpunkt der Debatte steht die Frage: Inwieweit KI letztlich Arbeitsplätze sparen oder vermehren wird in Bezug auf die Gesamtheit aller Arbeitsplätze? 

Die Mechanisierung der Landwirtschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist ein deutliches Beispiel für arbeitssparende Technologie: Der Anteil der Landwirtschaft an der Erwerbsbevölkerung ist von nahezu zwei Dritteln im Jahr 1850 auf heute nur noch etwa 5 Prozent gesunken.

Im Vergleich dazu hat die Einführung von Computern im Zeitraum 1970-1995 laut einer NBER-Studie von Autor, Katz und Krueger die Nachfrage nach Hochschulabsolventen im Vergleich zu Arbeitnehmern ohne Hochschulabschluss erhöht. Infolgedessen trug der Einsatz von Computern in diesem Zeitraum zu einer Vergrößerung des Lohngefälles zwischen hochqualifizierten und gering qualifizierten Arbeitnehmern bei.

Diese Überlegung kann zusammen mit Globalisierungsthemen auch dazu beitragen, den Rückgang des Anteils des Arbeitseinkommens am BIP in den letzten zwei Jahrzehnten zu erklären. Darren Acemoglu und Pascual Restrepo führen dies auf ein unterdurchschnittliches Produktivitätswachstum für die Arbeitskräfte insgesamt zurück, das durch eine Verlangsamung bei der Einführung neuer Aufgaben im Zusammenhang mit der technologischen Innovation bedingt ist. Der sprunghafte Anstieg der Gewinnspannen der US-Unternehmen im Technologiesektor ging wiederum mit einem Boom an den Aktienmärkten einher.

Wie soll die Generation KI (AI) zu diesem Spektrum passen?

Ein Aspekt, der sie von früheren Technologien unterscheidet, ist die viel breitere Palette von Arbeitsplätzen, die sie betreffen kann. Anhand einer Datenbank,  die etwa 900 Berufe auflistet, so schätzen die Ökonomen von Goldman Sachs, dass beinahe zwei Drittel der US-Berufe einem gewissen Grad an Automatisierung durch KI ausgesetzt sind. Sie folgern weiter, dass in den betroffenen Berufen etwa ein Viertel bis die Hälfte der Arbeitsleistung ersetzt werden könnte. Dementsprechend sind Goldman und andere Forschungsinstitute optimistisch, dass die Gen-AI, wenn sie zunehmend von Unternehmen eingesetzt wird, das Produktivitätswachstum in Zukunft steigern wird.

Allerdings muss man sich auch darüber im Klaren sein, dass es in der Regel viel Zeit in Anspruch nimmt, die Vorteile neuer Technologien zu nutzen, da die Einführung durch Unternehmen lange auf sich warten lässt.

So stellt der Economist fest, dass KI im vergangenen Jahr nur etwa ein Fünftel des Umsatzwachstums der Cloud-Computing-Sparte von MicrosoftMSFT -1,3  Prozent ausmachte, und Analysten vermuten, dass die vergleichbaren Zahlen von Alphabet und AmazonAMZN -2,6  Prozent noch niedriger sind.

Der Beitrag kommt zu folgender Schlussfolgerung: „Damit der KI-Börsenboom von Dauer ist, müssen diese Unternehmen irgendwann ernsthaft Geld mit dem Verkauf ihrer Dienstleistungen an Kunden verdienen.“

In einem aktuellen Forbes-Kommentar hat der Ökonom Zachary Kroff vom U.S. Census Bureau eine interessante Veränderung bei der Nutzung von KI in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße festgestellt. Bei den ersten Erhebungen in den Jahren 2018 und 2019 setzten größere Unternehmen durchweg häufiger KI ein als kleinere Unternehmen. In jüngster Zeit ist jedoch ein U-förmiges Muster der KI-Nutzung zu beobachten, wobei die größten und kleinsten Firmengrößenklassen die höchsten Nutzungsraten melden. Der Grund dafür: Tools wie ChatGPT haben es kleinen Unternehmen leichter gemacht, die Technologie zu nutzen.

Eine weitere Facette ist die Art und Weise, wie Tools wie ChatGPT eingesetzt werden. Eine kürzlich von Forbes Advisor durchgeführte Umfrage ergab, dass die häufigste Anwendung den Kundenservice (56  Prozent der Befragten) sowie die Cybersicherheit und das Betrugsmanagement (51  Prozent der Befragten) umfasst. Weitere bemerkenswerte Einsatzmöglichkeiten sind das Kundenbeziehungsmanagement, die Bestandsverwaltung und die Erstellung von Inhalten, gefolgt von einer Vielzahl anderer Geschäftstätigkeiten. Im Vergleich dazu ist die Nutzung von KI-Tools durch Fachkräfte, deren Bedürfnisse komplexer sind, weniger verbreitet.

Meiner Meinung nach liegt der Hauptvorteil von Gen AI oder anderen großen Sprachmodellen gegenüber menschlichen Arbeitskräften in der Fähigkeit, große Datenmengen schnell zu analysieren. Das macht sie zu einem mächtigen Werkzeug, das Arbeitnehmer zur Verbesserung ihrer Leistung nutzen können.

Gleichzeitig haben Menschen einen wichtigen Vorteil gegenüber maschinellen Lernsystemen, wenn nur begrenzte datenbasierte Vorerfahrungen vorhanden sind.

Letztendlich schließe ich mich der optimistischen Einschätzung des MIT-Ökonomen David Autor an. Er ist der Ansicht, dass Gen AI Menschen ohne Hochschulausbildung die Fähigkeit verleiht, anspruchsvollere Arbeiten zu verrichten, die ihnen höhere Löhne einbringen werden. Wenn dies der Fall ist, könnte dies dazu beitragen, die Einkommensungleichheit zu verringern. Gleichzeitig könnten die Aktienmarktrenditen dadurch gedämpft werden, wenn die Gewinne im Verhältnis zum BIP zu ihrem langfristigen Trend zurückkehren.

Dr. Nicholas P. Sargen ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler (Stanford University), der zum globalen Vermögensverwalter wurde. Er begann seine Karriere in den 1970er Jahren beim US-Finanzministerium und der Federal Reserve. Anschließend war er 25 Jahre lang an der Wall Street tätig und hatte leitende Positionen bei Morgan Guaranty, Salomon Brothers, Prudential Insurance und JPMorgan Private Bank inne. Derzeit ist er bei Fort Washington Investment Advisors als Wirtschaftsberater tätig.

Im Laufe seiner Karriere berichtete er über Wirtschaft, Finanzmärkte und globale Investitionen und verfasste in den letzten fünf Jahren drei Bücher zu diesen Themen. Außerdem tritt er häufig in Wirtschaftssendungen im Fernsehen auf. Sein Ziel ist es, den Menschen zu helfen, die Geschehnisse in der Weltwirtschaft und auf den Finanzmärkten zu verstehen, damit sie fundierte Anlageentscheidungen treffen können.  

Meldung: Ida Junker, Agentur AS PR France