Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten? Städelmuseum Frankfurt am Main: vom 27. November 2024 bis 23. März 2025


Unbekannter Amsterdamer Künstler, Bildnis des „Malle Baandje“ (Barend Jansz Bode, 1648–1719?), ca. 1700, Öl auf Leinwand, 78 x 66 cm, Amsterdam Museum (Leihgabe Stichting Spirit – Rooms Catholiek Jongens Weeshuis)

Den Auftakt der Ausstellung bilden eindrückliche Ansichten der Stadt Amsterdam im 17. Jahrhundert: Nicolaes Pietersz. Berchems Allegorie auf die Stadterweiterung (ca. 1663), Johannes Lingelbachs Ansicht des Dam mit dem im Bau befindlichen neuen Rathaus (1656) oder der Innenhof der Börse von Amsterdam von Job Adriaensz. Berckheyde (ca. 1670) stehen für das neue Selbstbewusstsein der Metropole und seiner Bürger. Innerhalb weniger Jahrzehnte erlebt die Stadt einen einzigartigen wirtschaftlichen Boom. Aus der beschaulichen Siedlung an der Amstel ist eine Megacity geworden. In dieser Zeit entwickelt sich Amsterdam auch zum europäischen Zentrum des Welthandels: An der Börse wird gehandelt, auch mit den Anteilsscheinen der 1602 bzw. 1621 gegründeten Ostindischen und Westindischen Handelskompanien. Diese errichten in kurzer Zeit in Asien, Afrika und Amerika gewaltsam ein Kolonialreich und investieren massiv in den Handel mit versklavten Menschen. Gewaltige Vermögen werden so gewonnen, aber auch durch Spekulationen an der Börse wieder verloren. Der bürgerliche Rat der Stadt garantiert Religions- und Gedankenfreiheit, Wissenschaft und Kunst florieren.

Menschen aus ganz Europa ziehen nach Amsterdam, in der Hoffnung ihr Glück zu machen. In Rembrandts Lebenszeit verdreifacht sich die Bevölkerungszahl Amsterdams und die sozialen Probleme nehmen zu. Die Stadt investiert daraufhin in zahlreiche Einrichtungen wie Waisenhäuser, Obdachlosenunterkünfte oder Alters- und Pflegeheime, deren ehrenamtliches Leitungspersonal, die „Regenten“ und gelegentlich auch „Regentinnen“, von Angehörigen der bürgerlichen Elite gestellt wird. Die Ausstellung präsentiert u. a. eine Reihe von Gemälden, mit der sich die Vorsteher des „Aalmozeniershuis“ (dt. Almosenhaus) bei ihrer alltäglichen Arbeit inszenieren. Die Darstellungen sind an die katholische Bildtradition der sieben Werke der Barmherzigkeit angelehnt.

Jacob Adriaensz Backer (1608–1651) Die Regentinnen des Burgerweeshuis, 1633/34, Öl auf Leinwand, 238 × 274 cm, Amsterdam Museum (Leihgabe Stichting Spirit – Rooms Catholiek Jongens Weeshuis)

Im „Burgerweeshuis“ (dt. Bürgerwaisenhaus) finden elternlose Kinder von Amsterdamer Bürgerfamilien Obdach, Verpflegung und eine Ausbildung. Der Alltag im Waisenhaus ist streng reglementiert: Die Kinder sollen zu gehorsamen und arbeitswilligen Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden. Stolz präsentieren sich etwa die Regentinnen des Burgerweeshuis (1633/34) im Gemälde von Jacob Adriaensz. Backer als Beschützerinnen der Waisen. Die dargestellten Kinder bleiben indes anonym und in der Darstellung typisiert. Umso ungewöhnlicher ist etwa das von einem unbekannten Amsterdamer Künstler gefertigte Bildnis des „Malle Baandje“ (Barend Jansz Bode) (ca. 1700), der wegen einer geistigen Einschränkung lebenslang im Bürgerwaisenhaus blieb.

Govaert Flinck (1615–1660) Aufzug der Armbrust(Voetboog)-Schützen unter Hauptmann Joan Huydecoper und Leutnant Frans van Waveren, 1648/50 Öl auf Leinwand 265 × 513 cm Amsterdam, Amsterdam Museum

Die Ausstellung präsentiert eine Reihe herausragender Gruppenbildnisse der Amsterdamer Schützenverbände, der Bürgermilizen der Stadt. Seit dem Spätmittelalter treffen sie sich in ihren Schützenhäusern, dem „Kloveniersdoelen“ (dt. Büchsenschützenhaus), dem „Voetboogdoelen“ (dt. Armbrustschützenhaus) und dem „Handboogdoelen“ (dt. Bogenschützenhaus). Zur repräsentativen Ausstattung der Versammlungsräume in den Schützenhäusern bestellen die Mitglieder die von ihnen selbst finanzierten Gruppenbildnisse. Ein frühes Beispiel dieses im Wesentlichen in Amsterdam produzierten neuen Bildtypus ist etwa die Rotte F der Hackenbüchsenschützen (Kloveniers) (1557), die möglicherweise Jacob War II zugeschrieben werden kann. Rembrandt und seine Zeitgenossen wie Govert Flinck (1648/50), Thomas de Keyser (1632) und Nicolaes Eliasz. Pickenoy (1632) monumentalisieren und dynamisieren die Amsterdamer Gruppenporträts. Ihre Werke erzählen vom Aufbruch der Kompanien ebenso wie von festlichen Gelagen. Das berühmteste Schützenbild der Welt ist natürlich Rembrandts Nachtwache, die das Rijksmuseum in Amsterdam aber nie verlässt. Eine Zeichnung von Jacob Colijns nach Rembrandts Meisterwerk bringt dieses Schützenstück auf indirektem Wege dennoch nach Frankfurt.

Jacob Colijns (1614/15–1686) Kopie nach Rembrandts Nachtwache, ca. 1653–1655 Aquarell auf Papier 148 × 197 mm Amsterdam, Rijksmuseum (Leihgabe Jonkheer J. de Graeff)

Die Gemälde von Bartholomeus van der Helst, einem von Amsterdams besten Porträtmalern, markieren den Höhepunkt und zugleich das Ende dieses Bildtypus. Mit der wachsenden Stadtbevölkerung steigt in Amsterdam auch die Zahl der Kompanien. Weitere Gruppenbildnisse finden in den Versammlungshäusern schlicht keinen Platz mehr und so kommt die Produktion der Schützenstücke als Auftragswerke nach mehr als 150 Jahren zum Erliegen. Die Ausstellung zeigt u. a. van der Helsts eindrückliches Gruppenbildnis der Vorsteher des Kloverniersdoelen (1655).

Mit Gruppenbildnissen der Mitglieder der Chirurgengilde setzen Rembrandt und seine Amsterdamer Malerkollegen den bedeutenden Medizinern der Stadt ein Denkmal. Gleichzeitig halten sie die Geschichte der unfreiwilligen Körperspender im Bild fest, wie etwa das Gemälde Die Vorlesung des Dr. Sebastiaen Egbertsz. zur Knochenlehre (1619) von Werner van den Valckert oder Nicolaes Eliasz. Pickenoy (zugeschrieben). Es zeigt das Skelett eines wegen Seeräuberei in den Niederlanden hingerichteten englischen Seemanns. Ebenso wie Rembrandts nur in einem eindrucksvollen Fragment erhaltene Anatomie-Vorlesung des Dr. Jan Deijman (1656) dokumentieren diese Werke das ambivalente Verhältnis zwischen zeitgenössischer Rechtsprechung, wissenschaftlichem Fortschritt und öffentlicher Schaulust.

Nicolaes Maes (1634–1693) Bildnis einer Dame in einem schwarzen Kleid, ca. 1668–1670, Öl auf Leinwand, 85,6 x 69,9 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main

Überaus anrührend ist Rembrandts Zeichnung des Leichnams der Elsje Christiaens, die 1664 wegen eines im Affekt begangenen Totschlags zum Tod verurteilt und öffentlich hingerichtet wurde. Ihr auf dem Galgenfeld außerhalb der Stadt zur Verwesung ausgesetzter Leichnam dokumentiert eine doppelte Bestrafung im Sinne der damaligen Strafjustiz: Nach der öffentlichen Ächtung durch die Hinrichtung werden ihr auch ein christliches Begräbnis sowie die letzte Ruhestätte versagt. Einheimischen wie Besuchern der Stadt werden so die gesellschaftliche Hierarchie und die Strenge der Amsterdamer Rechtsprechung schonungslos vor Augen geführt.

Rembrandt widmet sich in seiner Kunst zeitlebens sozialen Außenseitern und bannt mit einem außerordentlichen Blick für die Wirklichkeit Amsterdams Bettler, Kranke, Straßenverkäufer und -musikanten auf Papier. Typisch für Rembrandt: Er spielt hierbei auch mit der eigenen Physiognomie und verleiht etwa einem Bettler, auf einem Erdhügel sitzend (1630) seine eigenen Gesichtszüge. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl seiner Radierungen aus eigenem Bestand. Im Unterschied zu vielen seiner Zeitgenossen schafft Rembrandt keine Stereotypen oder Karikaturen, sondern bemüht sich um realistische und wertfreie Schilderungen der Menschen. Letztlich dienen ihm diese Darstellungen auch als Motivfundus für die Umsetzung narrativer, biblischer Szenen, wie das berühmte Hundertguldenblatt (ca. 1648).

Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606–1669) Bettler, auf einem Erdhügel sitzend, 1630 Radierung 119 x 72 mm Städel Museum, Frankfurt am Main

Nicht im sozialen, wohl aber im künstlerischen Sinne ist das 17. Jahrhundert das „Goldene Zeitalter“ der holländischen Malerei, das eine nie dagewesene Menge an qualitativ hochwertigen Gemälden hervorbringt. Die Ausstellung präsentiert aus dem Städel Bestand auch eine Reihe von Bildnissen aus Rembrandts Amsterdam, die entweder von ihm selbst oder von seinen Schülern und Zeitgenossen stammen, etwa Rembrandts Bildnis der Maertgen van Bilderbeecq (1633) oder Caspar Netschers Bildnis von Pieter Six (1677). Unangefochtenes Meisterwerk ist das Historiengemälde Die Blendung Simsons (1636), das Rembrandts unvergleichliche Gabe zeigt, den dramatischen Höhepunkt einer Geschichte präzise auf den Punkt zu bringen.

Der Rundgang durch die Ausstellung endet mit Einblicken in die im 17. Jahrhundert neu eingerichteten Amsterdamer Zuchthäuser. Ausgehend von der Frage nach den Ursachen von Kriminalität und der ganz neuen Vorstellung einer Resozialisierung durch sinnvolle und der Gemeinschaft nützliche Arbeit werden in Rembrandts Amsterdam erstmals Frauen- und Männergefängnisse errichtet, denen jeweils „Regentinnen“ und „Regenten“ vorstehen. Männliche Bettler und Kleinkriminelle werden in das sogenannte „Rasphuis“ verbracht, wo sie brasilianisches Rotholz zu zersägen (zu „raspeln“) haben, aus dem ein roter Farbstoff für die Textilindustrie gewonnen wird. Straffällig gewordene Frauen, vor allem Prostituierte, bringt man ins „Spinhuis“, wo sie Handarbeiten wie Spinnen, Klöppeln und Nähen verrichten müssen. Durch diese monotonen, aber seit jeher mit Tugendhaftigkeit assoziierten Tätigkeiten sollen die Insassinnen und Insassen in die Gesellschaft zurückgeführt werden. Einmal mehr zeigt sich die einerseits auf Effizienz und andererseits auf das Gemeinwohl ausgerichtete Gesinnung der niederländischen Bürgerschaft, die einen entscheidenden Faktor in der Erfolgsgeschichte von Rembrandts Amsterdam bildet, zugleich aber gesellschaftliche Unterschiede verfestigt.

Eine Ausstellung des Städel Museums in Kooperation mit dem Amsterdam Museum

Kurator: Prof. Dr. Jochen Sander (Stellvertretender Direktor und Sammlungsleiter Holländische, Flämische und Deutsche Malerei vor 1800, Städel Museum)
Projektleitung: Corinna Gannon (Wissenschaftliche Volontärin, Holländische, Flämische und Deutsche Malerei vor 1800, Städel Museum) Ausstellungsdauer: 27. November 2024 bis 23. März 2025

 www.staedelmuseum.de

Besucherservice und Führungen: +49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main