
Zu Beginn des Jahres präsentiert die Fondation Beyeler die thematische Ausstellung «Nordlichter». Im Fokus stehen rund 70 Landschaftsgemälde von Künstlerinnen und Künstlern aus den Nordischen Ländern und Kanada, die zwischen 1880 und 1930 entstanden sind, darunter beeindruckende Werke von Hilma af Klint und Edvard Munch. Sie alle verbindet die Natur des Nordens, insbesondere der boreale Wald, als eine gemeinsame Inspirationsquelle. Die scheinbar unermesslichen Wälder, das strahlende Licht der im Sommer schier endlosen Tage, die langen Nächte im Winter und Naturphänomene wie das Nordlicht haben eine eigene moderne nordische Malerei hervorgebracht, die eine besondere Anziehungskraft und Faszination ausübt. Gezeigt werden Landschaftsgemälde von Helmi Biese, Anna Boberg, Emily Carr, Prinz Eugen, Gustaf Fjæstad, Akseli Gallen-Kallela, Lawren S. Harris, Hilma af Klint, J. E. H. MacDonald, Edvard Munch, Iwan Schischkin, Harald Sohlberg und Tom Thomson. Viele dieser Künstlerinnen und Künstler sind in ihren Heimatländern berühmt, aber für die meisten Besuchenden hierzulande spannende Neuentdeckungen. Es ist das erste Mal, dass diesem Thema in Europa eine eigene Ausstellung gewidmet wird.

Der boreale Wald, auch als Taiga oder Waldtaiga bekannt, ist der grösste Urwald der Erde und trägt massgeblich zu ihrem ökologischen Gleichgewicht bei. Geprägt von dichten Nadelwäldern, erstreckt er sich südlich und nördlich des Polarkreises über grosse Teile Skandinaviens, Finnlands, Russlands und Kanadas. Ihn zu erleben, ist überwältigend, allein schon wegen seiner unermesslichen Gleichförmigkeit und gewaltigen Ausdehnung. Auf fast allen Gemälden in der Ausstellung spielt der boreale Nadelwald eine dominierende Rolle. Nur Anna Boberg und, in seinen späteren Werken, Lawren S. Harris haben Landschaften nördlich der Baumgrenze in der Tundra oder sogar im ewigen Eis der Arktis gemalt. Ein weiteres Element dieser intensiven Landschaft des Nordens ist das Wasser der unzähligen Seen und Fjorde, die auf den Gemälden oft ein horizontales Gegengewicht zu den senkrechten Bäumen des Waldes bilden und, wie vor allem in den Werken von Helmi Biese und Akseli Gallen-Kallela, den Wind sichtbar machen, der die Wasseroberfläche fortwährend verändert. Neben dem Schnee, der das Erscheinungsbild der Landschaft von Ende Oktober bis in den April bestimmt, ist das Licht ein weiteres wiederkehrendes Motiv: die mystischen Polarlichter, die in leuchtenden Farben den Himmel erhellen, die klaren Sommertage, an denen es nie ganz dunkel wird, die Mittsommersonne und im Winter die Dunkelheit der endlos langen Nächte. Diese Naturphänomene nahmen die Künstler und Künstlerinnen nicht nur als Motive wahr, sondern auch als lebendige Kraft, die ihr Schaffen massgeblich beeinflusste. So hielten sie nicht lediglich das Gesehene in ihren Werken fest, sondern verliehen auch emotionalen Erlebnissen Gestalt in Bildern, die die Betrachtenden in die Weiten des borealen Waldes entführen und zum Nachdenken über die Beziehung zwischen Mensch und Natur anregen.

Die einzigartige Atmosphäre des Nordens, geprägt von extremen klimatischen Bedingungen, hat Künstler:innen schon seit Jahrhunderten fasziniert und inspiriert. Im Norden entwickelte eine junge Generation von Malerinnen und Malern neue Strategien zur bildlichen Darstellung der Natur. Was die Künstler und Künstlerinnen in dieser Ausstellung verbindet, ist die Intensität ihrer Malweise, die der Intensität der Natur zu entsprechen scheint. Durch eine leuchtende Farbgebung, eine expressive Pinselführung, unkonventionelle kompositorische und perspektivische Verzerrungen, den Einsatz eines psychologischen Elements und manchmal auch die schiere Grösse ihrer Werke versuchten sie, die jahreszeitlich bedingten Extreme des natürlichen Lichts und die gewaltigen Ausmasse der nördlichen Wildnis visuell einzufangen. Die Ausstellung folgt keiner besonderen Chronologie: Die Räume sind den einzelnen Künstlerinnen und Künstlern gewidmet und der Art und Weise, wie sie sich der Natur, die sie umgab, näherten und sie in eine Landschaft verwandelten, zu ihrem persönlichen Bild von Natur. Von den Künstler:innen in der Ausstellung geniessen ausschliesslich der Norweger Edvard Munch, der Finne Akseli Gallen-Kallela sowie die Schwedin Hilma af Klint weltweite Bekanntheit. Daneben versammelt «Nordlichter» eine Gruppe von Malern und Malerinnen, die in ihren Heimatländern zwar in hohem Ansehen stehen, doch zugleich eine stärkere internationale Rezeption verdient hätten, darunter die Finnin Helmi Biese, der Norweger Harald Sohlberg, die aus Schweden stammenden Gustaf Fjæstad, Anna Boberg und Prinz Eugen sowie die Kanadier:innen Emily Carr, Lawren S. Harris und Tom Thomson.

Die Maler:innen des Nordens bezogen ihre Impulse sowohl aus den unterschiedlichen überlieferten Bildtraditionen als auch aus den zu jener Zeit von Kontinentaleuropa ausgehenden avantgardistischen Strömungen. Einflussreiche Künstler der Moderne wie Vincent van Gogh, Claude Monet, Paul Cézanne und Henri Matisse prägten auch die moderne Landschaftsmalerei des Nordens und eröffneten neue Perspektiven auf Farbe, Licht und Form. Während die nordischen Maler und Malerinnen diese Ideen aufgriffen, interpretierten sie sie jedoch auf ihre eigene, unverwechselbare Weise. Sie entwickelten eine spezifisch nordische Moderne, die keinen Stil darstellt, sondern vielmehr ein Ethos verkörpert, das die unwirtliche Natur in all ihrer Erhabenheit und ihren Feinheiten feiert.

In der Zeitspanne von 1870 bis 1920 erlebte die nordische Malerei eine künstlerische Blütezeit. Eine atemberaubende Vielfalt an Bildern entstand. Das Aufkommen der Moderne zeichnete sich durch den Drang nach Freiheit, Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit aus, weshalb die Künstler:innen neue Pfade beschritten. Eines der wichtigsten Elemente vor allem der finnischen und schwedischen Malerei scheint der Blick von oben zu sein: panoramaartige Landschaften, bei denen man den Eindruck hat, eine Drohne sei beim Malen benutzt worden. Helmi Biese, aber auch Akseli Gallen-Kallela, Anna Boberg oder Prinz Eugen haben bevorzugt diese Perspektive gewählt, als hätten sie damit anzeigen wollen, dass sie die Natur in ihrer Kunst nicht nur nachgeahmt, sondern selbst hervorgebracht haben.

Es ist auffällig, dass in den ausgestellten Landschaften oft eine Natur zu sehen ist, in der der Mensch nur ganz am Rande vorkommt. Und doch sind Menschen indirekt präsent: beispielsweise in den Seelenlandschaften Edvard Munchs, in den von ihm gemalten Schatten oder dem sich verflüchtigenden Rauch der Eisenbahn. Beim panoramaartigen Detailblick von Gustaf Fjæstad sind es die Fussspuren im Schnee, die davon zeugen, wie vergänglich die Menschen nach dem Massstab der ewigen Natur sind. Womöglich hat die Absenz des Menschen auch damit zu tun, dass die Malerinnen und Maler des Nordens von der Idee geleitet waren, in ihren Gemälden ein verklärendes Sehnsuchtsklischee einer Utopie der unberührten Natur zu beschwören.
Das Buffalo AKG Art Museum spielte für die Geschichte der nordischen Moderne in Kanada eine herausragende Rolle. 1913 zeigte das Museum die wegweisende Ausstellung «Contemporary Scandinavian Art», die auch in anderen nordamerikanischen Städten Station machte. Erstmals waren in Nordamerika Werke zeitgenössischer skandinavischer Künstler:innen in einer grossen Gruppenausstellung zu sehen. Zu den Besucher:innen der Ausstellung zählten die kanadischen Maler Lawren S. Harris und J. E. H. MacDonald, deren Gemälde auch im Rahmen dieser Ausstellung gezeigt werden. Ihre in Buffalo gewonnenen Eindrücke der skandinavischen Malerei sollten die ein paar Jahre später von ihnen mitgegründete «Group of Seven» – eine Künstlergruppe, die in Kanada der modernen Malerei den Weg ebnete – nachhaltig beeinflussen.

Der in den Blick genommene Zeitraum umfasst nicht nur die kulturhistorische Epoche der Moderne, in der systematisch bestehende Traditionen infrage gestellt wurden. Geopolitisch betrachtet, formierten sich während dieser Periode im Norden neue Nationalstaaten, begleitet durch das intensive Ringen um eine jeweilige nationale Identität. Künstler:innen setzten ihre Heimat und deren Naturräume als Sinnbilder der nationalen Identität und des kulturellen Erbes in Szene. Die beeindruckenden Naturmotive wurden oft als Symbole für die nationale Seele und die Verbundenheit mit der eigenen Kultur interpretiert.
Mit «Nordlichter» führt die Fondation Beyeler eine lange Tradition von Präsentationen der modernen Landschaftsmalerei fort, darunter die Ausstellungen zu Gustave Courbet, Ferdinand Hodler, Piet Mondrian, Claude Monet und Giovanni Segantini. Nun erweitert die Fondation Beyeler diese südlich und alpin geprägte Perspektive um eine nordische, in Erinnerung daran, dass sie 2007 die bis dahin grösste Ausstellung von Edvard Munchs Werk ausserhalb Norwegens ausrichtete.

Im Auftrag der Fondation Beyeler hat der zeitgenössische dänische Künstler Jakob Kudsk Steensen (*1987) eine neue digitale Installation geschaffen, die begleitend zur Ausstellung Premiere feiern wird. In Boreal Dreams setzt der Künstler sich mit den Auswirkungen der Klimakrise auf das Ökosystem der borealen Zone auseinander, indem er virtuelle Landschaften erschafft, die auf wissenschaftlicher Datenerhebung aus Feldforschung und Gaming-Technologie beruhen.
Ein reich bebilderter Ausstellungskatalog, herausgegeben von Ulf Küster für die Fondation Beyeler und gestaltet von Melanie Mues, Mues Design, London, erscheint begleitend zur Ausstellung im Hatje Cantz Verlag, Berlin. 240 Seiten umfassend, enthält er Beiträge von Katerina Atanassova, Louise Bannwarth, Helga Christoffersen, Ulf Küster, Angela Lampe und Anne-Maria Pennonen.
«Nordlichter» ist eine Ausstellung der Fondation Beyeler, Riehen/Basel, und des Buffalo AKG Art Museum, Buffalo, New York. Sie wird kuratiert von Ulf Küster, Senior Curator, Fondation Beyeler, in enger Zusammenarbeit mit Helga Christoffersen, Curator-at-Large und Curator of the Nordic Art & Culture Initiative, Buffalo AKG Art Museum. Boreal Dreams wurde von der Fondation Beyeler, Riehen/Basel, in Auftrag gegeben und von der New Carlsberg Foundation und der Danish Arts Foundation unterstützt. Projektleiterin für Boreal Dreams ist Iris Hasler, Associate Curator, Fondation Beyeler.