Zusammenfassung: Münchner Sicherheitskonferenz 2025 14. – 16. Februar 2025


Es ist zu einer Binsenweisheit außenpolitischer Debatten geworden, dass die Welt immer „multipolarer“ wird. Während man durchaus debattieren kann, inwieweit die heutige Welt bereits multipolare Züge trägt, ist die „Multipolarisierung“ der Welt unübersehbar: Zum einen verlagert sich Macht auf eine größere Anzahl von Akteuren, die die Fähigkeit besitzen, zentrale globale Entwicklungen zu beeinflussen. Zum anderen ist eine zunehmende Polarisierung sowohl auf der zwischen- als auch auf der innerstaatlichen Ebene zu beobachten, die gemeinsame Ansätze zur Bewältigung globaler Krisen und Bedrohungen erschwert.

Das heutige internationale System weist Elemente von Unipolarität, Bipolarität, Multipolarität und Apolarität auf. Doch eine Machtverschiebung hin zu einer größeren Anzahl von Staaten, die um Einfluss ringen, ist deutlich zu erkennen. Eine Multipolarisierung zeigt sich aber auch in einer stärkeren ideologischen Polarisierung. Die Ordnungsvision des politischen und wirtschaftlichen Liberalismus, die die unipolare Zeit nach dem Kalten Krieg geprägt hat, hat starke Konkurrenz bekommen. Sie wird zunehmend von innen heraus angefochten, wie der Aufstieg des Rechtspopulismus in vielen liberalen Demokratien zeigt. Aber auch von außen wird sie herausgefordert. Davon zeugt einerseits die zunehmende ideologische Spaltung zwischen Demokratien und Autokratien und andererseits das wachsende Angebot unterschiedlicher Ordnungsmodelle, die miteinander konkurrieren, zum Teil sogar gewaltsam aufeinanderprallen.

Die fortschreitende Multipolarisierung löst weltweit gemischte Gefühle aus. Die optimistische Lesart betont Möglichkeiten für eine inklusivere Weltordnung und eine stärkere Einhegung Washingtons, das vielen in der Welt als zu dominante Macht gilt. In der pessimistischen Lesart erhöht Multipolarisierung das Risiko von Instabilität und Konflikten und untergräbt effektive internationale Zusammenarbeit. Während der Munich Security Index 2025 darauf hindeutet, dass Menschen in den G7-Staaten insgesamt weniger optimistisch auf eine zunehmend multipolare Welt blicken als die Befragten in den „BICS“-Staaten (BRICS minus Russland), sind nationale Ansichten zu Multipolarität vor allem dadurch geprägt, wie  man in den betreffenden Staaten auf die aktuelle und eine erstrebenswerte künftige internationale Ordnung schaut.

Donald Trumps Sieg bei der US-Präsidentschaftswahl hat jenen außen- politischen Konsens begraben, der die USA nach dem Kalten Krieg begleitete und der besagt, dass eine Strategie des liberalen Internationalismus den Interessen der USA am besten dient (Kapitel 2). Für Trump und viele seiner Anhänger stellt die von den USA geschaffene internationale Ordnung einen schlechten Deal dar. Möglicherweise werden die USA deshalb von ihrer historischen Rolle als Europas Sicherheitsgarant Abstand nehmen – mit erheblichen Konsequenzen für die Ukraine. Im Zentrum der US- amerikanischen Außenpolitik wird in den kommenden Jahren voraussichtlich Washingtons bipolarer Wettstreit mit Peking stehen. Dies könnte die Multipolarisierung des internationalen Systems jedoch durchaus beschleunigen.

China ist der weltweit prominenteste und mächtigste Verfechter einer multipolaren Ordnung und stellt sich selbst gerne als Fürsprecher der Staaten des sogenannten Globalen Südens dar (Kapitel 3). Doch viele im Westen sehen Pekings nachdrückliches Eintreten für Multipolarität als rhetorischen Deckmantel für aktiven Großmachtwettbewerb mit Washington. Trotz Chinas beachtlichem Erfolg bei der Mobilisierung von Akteuren, die mit der gegenwärtigen Ordnung unzufrieden sind, sind wirtschaftliche und militärische Fortschritte des Landes angesichts einer Reihe von selbst verantworteten Krisen keineswegs garantiert. Darüber hinaus werden sich unter Präsident Trump die Bemühungen der USA, China einzuhegen, aller Voraussicht nach intensivieren. Allerdings könnte Peking von einem Rückzug der USA aus internationalen Verpflichtungen oder Washingtons Abwendung von langjährigen Partnern durchaus auch profitieren.

Für die EU, die den Geist der liberalen internationalen Ordnung verkörpert, ist die zunehmende Anfechtung von Kernelementen der Ordnung eine besonders große Herausforderung (Kapitel 4). Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Aufstieg von Rechtspopulisten in vielen europäischen Gesellschaften gefährden Kernelemente der liberalen Vision der EU. Donald Trumps Wiederwahl könnte diese Herausforderungen weiter verschärfen und die Debatte darüber neu entfachen, ob sich die EU zu einem eigenständigen Pol in der internationalen Politik entwickeln muss. Aber sie könnte auch populistische Bewegungen stärken, die die internen Spaltungen Europas vertiefen und die Fähigkeit der EU unterminieren, jene Krisen zu bewältigen, mit denen sie sich konfrontiert sieht. 

In diesem Jahrhundert hat kein Staat größere Anstrengungen unternommen, die internationale Ordnung auf den Kopf zu stellen, als Russland. Moskau strebt eine multipolare Weltordnung an, die aus „zivilisatorischen Mächten“ besteht, wie Russland sich selbst sieht (Kapitel 5). Kleinere Länder – für Russland zählt die Ukraine dazu – fallen demnach in die Einflusssphäre einer zivilisatorischen Macht. Trotz der Diskrepanz zwischen Moskaus Selbstbild und seiner tatsächlichen Machtbasis gelingt es Russland regelmäßig, Bemühungen um eine Stabilisierung der internationalen Ordnung erfolgreich zu durchkreuzen. Gleichzeitig ist Russland mit zunehmenden wirtschaftlichen Problemen und den Folgen der eigenen imperialen Überdehnung konfrontiert. Ob das Land aber seine Vision von multipolaren Einflusssphären verwirklichen kann, wird vor allem davon abhängen, was andere dem entgegensetzen.

Die Kritik indischer Führungspersönlichkeiten an der bestehenden inter- nationalen Ordnung und ihre Begeisterung für das Konzept der Multipolarität sind untrennbar mit Indiens Streben nach einem Platz unter den führenden Mächten der Welt verbunden (Kapitel 6). Obgleich Neu-Delhi Indiens internationales Profil in den vergangenen Jahren deutlich schärfen konnte, steht das Land vor großen Herausforderungen. China hat seinen strategischen Einfluss in Indiens Nachbarschaft vergrößert. Im Inland leidet die indische Wirtschaft unter strukturellen Schwächen und politischer wie kultureller Pluralismus erfahren immer stärkere Einschränkungen. Und obwohl sich Neu-Delhi als Stimme des Globalen Südens positioniert, deutet seine Politik des „Multi-Alignment“ darauf hin, dass Indien es vermeiden wird, eine prominentere Rolle bei globalen Friedensbemühungen zu übernehmen.

Japan ist die Status-Quo-Macht schlechthin (Kapitel 7). Das Land, das vom liberalen Internationalismus und der Vormachtstellung der USA stark profitiert hat, ist besonders beunruhigt über das Ende des unipolaren Moments, den Aufstieg Chinas und die Aussicht auf eine neue multipolare Weltordnung. Unter den für den Munich Security Index Befragten sind es die Japaner:innen, die zunehmender Multipolarität mit der größten Sorge entgegenblicken. Allerdings hat sich Japan auch länger als die meisten anderen Staaten auf die aktuellen geopolitischen Veränderungen vorbereitet. Eine Reihe von Maßnahmen, die Tokio jüngst ergriffen hat, deuten zudem darauf hin, dass Japan bereit ist, sich selbst und die von dem Land geschätzte Ordnung zu verteidigen.

Die brasilianische Führung sieht das Entstehen einer multipolaren Ordnung als Chance, überholte globale Machtstrukturen zu reformieren und den Ländern des Globalen Südens eine stärkere Stimme zu geben (Kapitel 8). Aus diesem Grund hat Brasilien die Reform internationaler Organisationen ganz oben auf die Tagesordnung seiner G20-Präsidentschaft im vergangenen Jahr gesetzt – neben anderen Prioritäten des Globalen Südens wie der Armutsbekämpfung und der Ernährungssicherheit. Mit den eigenen beträchtlichen natürlichen Ressourcen hat Brasilien zudem das Potenzial, seinen internationalen Einfluss weiter auszubauen und globale Debatten über Nahrungs-, Klima- und Energiesicherheit zu prägen. Doch seine traditionelle Strategie der Blockfreiheit dürfte angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen und einer zweiten Amtszeit von Trump immer schwieriger aufrechtzuerhalten sein.

Südafrikas Bekenntnis zu Multipolarität ist eng verknüpft mit starker Kritik an der bestehenden internationalen Ordnung, insbesondere an nicht ausreichend repräsentativen internationalen Institutionen (Kapitel 9). Pretoria kritisiert zudem regelmäßig, dass westliche Staaten das Völkerrecht selektiv anwenden. Südafrika galt lange als „natürlicher Anführer“ Afrikas und als internationales moralisches Vorbild. Doch mit der Zunahme antiwestlicher Rhetorik sowie einer verschlechterten Bilanz bei der Förderung der Menschenrechte und des Völkerrechts hat auch das internationale Ansehen des Landes gelitten.

Auch die Visionen, die unterschiedliche Akteure von einer multipolaren Ordnung besitzen, sind demnach polarisiert. Dies macht es zunehmend schwierig, die bestehende Ordnung auf friedlichem Wege anzupassen, neue Rüstungswettläufe zu vermeiden, gewaltsame Konflikte innerhalb und zwischen Staaten zu verhindern, ein inklusiveres Wirtschaftswachstum zu ermöglichen und gemeinsam gegen geteilte Bedrohungen wie den Klimawandel vorzugehen, den die für den Munich Security Index Befragten seit Jahren als hohes Sicherheitsrisiko bewerten. Da die großen und weniger großen Mächte diese Herausforderungen nicht allein bewältigen können, ist deren Zusammenarbeit entscheidend. Dass viele in der internationalen Gemeinschaft regelbasierte multilaterale Zusammenarbeit weiterhin wertschätzen, zeigte sich in der erfolgreichen Verabschiedung des Zukunftspakts der Vereinten Nationen im vergangenen September. Doch damit diese Art der Zusammenarbeit gelingen kann, könnte die Welt eine „Depolarisierung“ gut gebrauchen. Das Jahr 2025 wird zeigen, ob man darauf hoffen darf – oder ob die Welt noch tiefer gespalten wird, als sie es jetzt bereits ist.

Meldung: MSC

Münchner Sicherheitskonferenz