DER ATMENDE GOTT – Reise zum Ursprung des modernen Yoga  Ein Film von Jan Schmitt-Garre (BRD 2011)


Im Verleih MFA                    Spieldauer: 85 Minuten                     Kinostart: 05. Januar 2012               Zum Trailer: Der atmende Gott 


Der Film ist was für Eingeweihte und Interessierte. Historische Aufnahmen beeindrucken ebenso wie Interviews mit hochrangigen Vertretern der indischen Yogaschule. Viele Fragen und viele Antworten gibt der Film, wenn auch nicht immer chronistisch nach westlichem Verständnis, so bietet die Dokumentation Einblicke in eine nahbare Innenwelt und die Ansätze um sich und der Welt ein Stück näher zu kommen.

T. Krishnamacharya
Geb. 1890 in Muchukunte/Südindien – gest. 1989. Er gründete die „Yogashala“, die einflussreichste Yogaschule der Welt.

„Der Atmende Gott“ zeigt erstmals die maßgeblichen Erfinder des modernen Yoga vor einer Kamera vereint: Historische Aufnahmen des Urvaters Krishnamacharya, Interviews mit einem hochbetagten Pattabhi Jois (Meisterschüler Krishnamacharyas, der während der Dreharbeiten starb) sowie die alles andere als gewöhnlichen Lehrstunden mit dem legendären Iyengar, der bereits Yehudi Menuhin die Lehre des Atmenden Gottes beibringen durfte. Jan Schmidt-Garre, erzählender Regisseur, betreibt selbst Yoga. Seine Reise zum Ursprung des modernen Yoga ist zugleich eine Lehrfahrt zu verschiedenen Meistern der indischen Disziplin. Sie vollendet sich nach fünf Jahren Drehzeit vor einem Mini-Tempel für Eingeweihte. Hier zeigt man Schmidt-Garre, was zuvor vor den Augen des Westens verborgen gehalten wurde: das Götterbild Narasimhas, des atmenden Gottes. 

Durch das Jogging haben Turnschuhe ihren Eingang in die weltweite Alltagsmode gefunden; durch Yoga wurden fernöstliche Denkweisen im Westen salonfähig. Der Lifestylekonzern Nike kennt für seine Werbekampagnen des 21. Jahrhunderts nur noch zwei Archetypen des Großstädters: Joggende und Yoginis. Männer gehen laufen, Frauen machen Yoga? Doch was ist das eigentlich, was geschieht, während man das macht? Was ist Yoga? Ein urtümlicher Ritus? Indische Gymnastik? Eine Art Religion – oder doch eher exotisches Variété, im Irgendwo angesiedelt zwischen Schlangenmenschen und gepflegter Hyperventilation? Regisseur Jan Schmidt-Garre folgt, wie immer in seinen Filmen, seiner persönlichen Neugier und entdeckt, weil Wahrheit mit Wahrheit belohnt wird, Überraschendes. Auf authentischem Filmmaterial gedreht, in klassisch kadrierte und ausgeleuchtete Bilder gesetzt und komplett in Indien und für die Kinoleinwand produziert, öffnet sich der Blick auf ein ungewohntes, ungewöhnlich normales Indien, das jenseits bunter Holi-Feste und aschebestäubter Gurus eine ganz eigene Magie entfaltet. Schmidt-Garres Film ist eine Reise zu den Wurzeln des modernen Yoga, der noch im Indien des frühen zwanzigsten Jahrhunderts eine geringgeschätzte Form von Zirkus war: „Nur für Bescheuerte und Verklemmmte“, wie sich einer der Protagonisten bitter erinnert. Was Schmidt-Garre findet, ist der Zauber einer Alltagspraxis, deren mythische Verklärung uns hierzulande oft den Blick auf das unerzählt Wesentliche verstellt. „Der Atmende Gott“ ist dabei vor allem auch ein aufregendes Zeitdokument, das die maßgeblichen Erfinder des modernen Yoga vor einer Kamera vereint. Noch nie gezeigte historische Aufnahmen des Yoga-Urvaters Krishnamacharya, seines Schülers Pattabhi Jois, der während der Dreharbeiten starb, sowie des legendären Iyengar, der bereits Yehudi Menuhin die Lehren des Atmenden Gottes beibrachte. Die Reise des Regisseurs, der selbst Yoga treibt und im Laufe des Films von den großen Alten unterrichtet wird, vollendet sich nach fünf Jahren Drehzeit vor einem spärlich beleuchteten Tempel für Eingeweihte. Hier zeigt man Schmidt-Garre, was zuvor vor den Augen des Westens verborgen gehalten wurde: das Götterbild Narasimhas, des atmenden Gottes. Angeblich war der Körper des Luftwesens zu mehreren Millionen Asanas bereit.

B. K. S. Iyengar
Geboren 1918 in Bellur/Südindien. Als Kind leidet er unter Malaria, Typhus und Tuberkulose. Es gelingt Krishnamacharya, der mit Iyengars Schwester verheiratet ist, ihn zu heilen. Iyengar studiert Yoga bei Krishnamacharya und unterrichtet selbst von 1937 an Yoga in Pune. In den 50er Jahren wird der Geiger Yehudi Menuhin sein Schüler und bringt ihn in den Westen. Iyengar wird zum berühmtesten Yogalehrerseiner Zeit. Er veröffentlicht 25 Bücher, darunter den Klassiker “Light on Yoga”, und verbreitet seine Lehre in mehreren hundert Iyengar-Schulen in der ganzen Welt. Im Jahr 1996 nimmt Time Magazine B. K. S. Iyengar in die Liste der “100 einflussreichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts” auf.

Pattabhi Jois
Geboren 1915 in Kowshika/Südindien. Mit zwölf sieht er eine öffentliche Demonstration Krishnamacharyas, die ihn so stark fasziniert, dass er beschließt, sein Leben dem Yoga zu widmen. Er studiert bei Krishnamacharya an der Yogashala in Mysore. 1948 gründet er das Ashtanga Yoga Research Institute in Mysore, wo er bis zu seinem Tod, während der Dreharbeiten zu „Der Atmende Gott“, lehrt.

„Man muss kein Hindu sein“ – Regisseur Jan Schmidt-Garre

In ihrem filmischen Werk haben Sie sich bislang vor allem mit den Darstellenden Künsten beschäftigt – Oper, Theater, Tanz. Warum jetzt eine Dokumentation über den Ursprung des modernen Yoga?
Es gibt sicher einen Bezug zu meinen anderen Interessen, denn Yoga hat auch diesen Theater-Aspekt. Mit den nachgestellten Demonstrationen der Asanas, den nachgestellten öffentlichen Aufführungen vor der Familie des Maharadschas beispielsweise, zeige ich diesen Aspekt auch in meinem Film. Das ist eine Seite des Yoga, die bislang eher unbekannt war. Damals, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, wurde das aber als Werbemaßnahme für Yoga sehr viel gemacht. Trotzdem war das nicht der Auslöser für meinen Entschluss diesen Film zu machen. Der Auslöser war die persönliche Erfahrung.

Sie wollten eigentlich nur Ihre Frau zur Yoga-Stunde begleiten –
Ja, und kam da hin, ohne mir davon ein Erlebnis zu erhoffen; war dann aber eigentlich schon während der ersten Wochen an den Punkt gelangt, an dem ich heute noch bin – also nicht von meinem Können her, da bin ich fortgeschritten, aber was meine Erfahrung anbetrifft. Die war ganz früh schon da.

Was war das für eine Erfahrung?
Ich spürte eine Verbindung von Geist und Körper auf eine Weise, wie ich es davor nicht kannte. Diese Erfahrung ist unwiderstehlich. Und meiner Ansicht nach läuft das vor allem über den Atem. Der Atem verbindet den Geist mit dem Körper. Und es passiert eine Vergeistigung des Körpers und eine Verfleischlichung des Geistes. Eine Inkarnation. Ich muss dazu sagen, dass ich das Glück hatte, einen Lehrer zu haben, Patrick Broome, der mich so unterrichtete, dass ich das von Anfang an spüren konnte. Man kann Yoga auch als reine Fitness-Routine betreiben. Dann bekommt man von solchen Dimensionen nichts mit. Mich hätte das dann nicht weiter interessiert.

So aber wurde ein Filmprojekt gezeugt.
Ich begann zu recherchieren, ohne gleich an den Film zu denken. Mich interessierte die Geschichte, ich wollte wissen, wo Yoga eigentlich herkommt. Ich stieß auf die Figur Krishnamarchayas, von der fast alle, selbst die verschiedenartigsten Schulen abstammen. Dass das niemand wusste, überraschte mich. Als ich dann entdeckte, dass die wichtigsten Schüler Krishnamarchayas am Leben waren und sogar mit ihren plus minus 90 Jahren noch unterrichteten, wusste ich, dass ich diesen Film machen wollte, und fing sehr schnell, auf eigenes Risiko, damit an.

Die Indienfahrt hat Tradition unter den Forschern und Künstlern des Westens
– war das bei Ihnen dann auch einfach mal fällig?
Ich wollte immer nach Indien – eigentlich sollte schon meine Hochzeitsreise nach Indien führen. Ich hatte 1982 in New York indisches Essen entdeckt, das gab es in Deutschland noch nicht, und dann die indischen Filme, vor allem die Apu-Trilogie von Satyajit Ray. Die Faszination für Indien hat nie nachgelassen.

Was genau fasziniert Sie?
Diese Welt, die mein Film zeigt: der Orient am Anfang des 20. Jahrhunderts. Was mich dagegen nie interessiert hat, war das Indien-Bild der sechziger und siebziger Jahre, das Indien der Beatles; das habe ich deswegen auch nicht thematisiert im Film. Aber die frühe Indien-Begeisterung um die Jahrhundertwende, Fakire, die auf Nagelbetten sitzen: das fand ich faszinierend! Und die war auf den Bildern, die ich von Krishnamarchaya gesehen hatte, zu finden. Und das in Verbindung mit meinem spirituellen Erlebnis des Yoga – das war explosiv.

Wie gestaltete sich die Recherche der historischen Bezüge – jenseits der
Interviews mit den Vätern des modernen Yoga, die im Film zu sehen sind?
Es gibt keine Dokumentation der physischen Praxis des Yoga von der Zeit der Veden bis heute. Es gibt theoretische Bücher zur Yoga-Philosophie, aber was die Leute praktisch gemacht haben, ist flüchtig.

Ist Yoga denn überhaupt übertragbar auf Menschen außerhalb Indiens?
Bringt das denen überhaupt etwas?
Ganz bestimmt. Denn Yoga ist keine Religion, das zeigt mein Film auch ganz deutlich. Zwar gibt es eine enge Verbindung zum Hinduismus, aber man muss kein Hindu sein, um Yoga machen zu können.

Im Film geben Sie dennoch zu, dass Sie sich vor den seligmachenden
Übungen für gewöhnlich zu drücken versuchen, wie ein Autor vor dem
Platznehmen am Schreibtisch.
Na ja, zunächst ist es ja bei jedem Mal wieder unangenehm. Die körperlich anstrengenden Übungen tun ja auch weh.

Das geben selbst die Meister im Film zu: da wird von Muskelfaserrissen
erzählt; von den Ohrfeigen des Krishnamacharya, der Schellen verteilt
haben soll wie aus Gusseisen, von deren disziplinierender Wirkung sich
seine erwachsenen Schüler drei Tage lang erholen mussten.
Es kostet mich eine Mordsüberwindung, mich jeden Tag an die Übungen zu machen. Trotzdem bin ich mittlerweile einigermaßen konsequent geworden. Aber hinterher ist es schön! Mit dem richtigen Lehrer teilweise auch zwischendurch.

Ach: Mit der Einheit von Körper und Geist ist die Erschöpfung gemeint!
Am stärksten ist das Erlebnis unmittelbar nach den Übungen. Dann kommt
ja die berühmte Totenstellung, und da findet man sich ganz und gar verschmolzen
mit der Außenwelt. Dann reicht die Intelligenz bis in den kleinen
Zeh.

Was mir am interessantesten erscheint am Yoga: nachdem in den neunziger
Jahren den Maschinen von Technogym und PowerPlate noch einmal
ganz stark Hoffnung entgegengebracht wurde, handelt es sich hier nun
plötzlich um eine Aktivität, bei der überhaupt kein Zubehör mehr benötigt
wird.
Das ist wirklich faszinierend, dass Yoga ohne Aufwand möglich ist. Eine Yogamatte ist zwei Meter lang, sechzig cm breit: darauf lässt sich alles machen! Früher ging mir die Mystik der Yogamatte auf die Nerven, dieses „Ich rolle meine Matte aus, und alles wird gut“. Aber inzwischen verstehe ich das, es ist einfach wahr: Wenn man sich auf die Matte stellt, betritt man eine Welt in der Welt, wo die erstaunlichsten Sachen möglich sind. Alles, was wir in meinem Film sehen, alles, was überhaupt im Yoga gemacht wird, ist auf so einer Matte möglich.

Das hätte Le Corbusier gut gefallen.
Genau: Die Matte ist einen Modulor lang, ein Drittel breit –

Die Deckenhöhe ist irrelevant, denn die Personen liegen hauptsächlich –
wahrscheinlich hätte er in jeder Wohnmaschine einen Yogasaal eingebaut!
JB

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