Das Bauen mit Systemen hat angesichts der Notwendigkeit, Wohnraum in großem Umfang neu zu realisieren, in den letzten Jahren aufgrund wetterunabhängiger, vorgefertigter und weitgehend kostensicherer Produktion zunehmend an Bedeutung gewonnen.
In dieser Situation hat die Arbeit des Architekten und Designers Angelo Mangiarotti besondere Aktualität. Er kreierte Architektur von hohem künstlerischem Rang im Zusammenhang mit Funktionen, bei welchen nicht vorrangig Repräsentation oder Symbolik von Institutionen als merkantiles Branding die Gestaltung beeinflusst, sondern entwickelte begeisternd schöne Bausysteme beispielsweise für Produktionshallen, die heute meist mit der Begründung, es handele sich nur um „Zweckbauten“ ohne jeden Anspruch an gestalterische Qualität zustande kommen – immerhin Orte, die den beruflichen Alltag von Millionen Menschen ein Leben lang maßgeblich bestimmen.
Die Bauten Angelo Mangiarottis bestehen zu einem großen Teil aus dem frei formbaren, weil morphologisch nicht vorgeprägtem Material Beton. Sie sind ästhetisch überzeugend in ihrer unmittelbaren architektonischen Diktion. Diese thematisiert die klassischen baulichen Komponenten (wie Stützen, Träger, Dächer, Decken und Wände) im Hinblick auf ihre jeweilige Funktion, auf ihre Herstellung als industriell produzierte Teile und als architektonisch anspruchsvolle Form.
Angelo Mangiarotti ist ein Ausnahme-Architekt in seiner Positionierung und Zielsetzung, sowie seiner ästhetischen und technischen hoch entwickelten Kompetenz. So wurde ihm vor zwanzig Jahren auf Antrag der Fakultät Architektur die Ehrendoktorwürde der Technischen Universität München verliehen und sein Werk durch eine Ausstellung speziell seiner Bausysteme gewürdigt. Die Ausstellung im Oskar von Miller Forum basiert hierauf.
Zur Eröffnung der Ausstellung am 4. Juni um 18:30 Uhr gibt der Architekt Prof. Thomas Herzog, EoE der TU München, eine Einführung über „Die Bausysteme von Angelo Mangiarotti – Meister der Technologie und Ästhetik des Bauens“. Dabei wird er vor allem auf die Bedeutung von dessen Ingenieurkompetenz für die Architektur von heute eingehen.
Eröffnung der Ausstellung „Die Bausysteme von Angelo Mangiarotti“
im Oskar von Miller Forum am 4. Juni 2019 um 18:30 Uhr
Ort und Öffnungszeiten
Oskar von Miller Forum, Oskar-von-Miller-Ring 25, 80333 München
www.oskarvonmillerforum.de
05. Juni bis 10. Juli 2019, Montag bis Freitag 14:00 bis 18:00 Uhr (an Feiertagen und am Wochenende geschlossen)
Eintritt frei
Angelo Mangiarotti – Leben und Werk
1921 in Mailand geboren, studierte Angelo Mangiarotti 1945 bis 1948 am Politecnico di Milano Architektur. Die Jahre 1953 und 1954 verbrachte er als Gastprofessor am Illinois Institute of Technology in Chicago, wo damals Frank Lloyd Wright, Walter Gropius, Mies van der Rohe und Konrad Wachsmann lehrten. Nach seiner Rückkehr nach Mailand gründete er 1955 mit Bruno Morasutti ein gemeinsames Architekturbüro. Nachdem er sich 1960 selbständig gemacht hatte, begann er Tragwerke aus vorgefertigten Betonelementen für Industriebauten zu entwickeln, die er mit jedem Projekt weiter verfeinerte. In der Folgezeit entstanden Fabrikhallen, Wohnhäuser, Bürogebäude, eine Kirche und Messepavillons in Norditalien, die heute noch als wegweisende Beispiele für komplexe Systeme von großer gestalterischer Kraft in der Architektur gelten.
Angelo Mangiarotti (1921 bis 2012) war zudem auch als Designer von Objekten in Gebäuden tätig und erreichte auch in diesem Metier hohe Auszeichnungen. Außerdem lehrte er weltweit als Gastprofessor an vielen Universitäten.
Die Ausstellung „Bausysteme von Angelo Mangiarotti“
„Meine Tätigkeit in der Architektur, speziell in Bezug auf das Studium und die Produktion von industrialisierten Instrumenten, kann so glaube ich, in die Reihe von Werken eingereiht werden, in welchen die Technik der Serienfertigung einen bedeutenden theoretischen Stellenwert einnimmt.“ Zitat Angelo Mangiarotti aus dem Katalog „Bausysteme von Angelo Mangiarotti“ herausgegeben von Thomas Herzog, Verlag Das Beispiel GmbH, Darmstadt 1998
Die Ausstellung konzentriert sich auf den Architekten Angelo Mangiarotti und stellt seine Arbeit als Pionier auf dem Gebiet der industriellen Produktion von Bausystemen aus Stahlbeton mit Blick auf die Ästhetik der Konstruktion in den Mittelpunkt. Nicht nur bauliche Aufgaben wurden von ihm technisch und funktional überzeugend gelöst, sondern er zeigte sein großes künstlerisches Potenzial als Architekt, indem er den baulichen Systemen eine hohe skulpturale Qualität gab. Seine Philosophie, dass eine Trennung zwischen dem Architekten als Künstler und dem Bauingenieur als Techniker für die Zukunft des Bauens nicht zielführend ist, lässt sich an vielen der gezeigten Projekte ablesen. Angelo Mangiarotti forderte generell den technisch kompetenten Architekten, der sich mit den Materialeigenschaften auseinandersetzt und die Möglichkeiten der Bautechnologie souverän einsetzt.
Die Ausstellung beinhaltet zahlreiche Tafeln mit Fotos, Zeichnungen und Detailskizzen folgender Projekte, sowie Informationen zum Leben und Werk von Angelo Mangiarotti.
Kirche Mater Misericordiae, Baranzate/Mailand, (1957) Ein Stahlbetonskelett, dessen Tragstruktur die Ausrichtung auf den Altar betont, dominiert den längsgestreckten kubischen Saalbau. Imposant ist der Blick auf die Deckenuntersicht die von Dachplattendiagonalen und Nebenträgern strukturiert wird.
Bausystem “Facep”; Lissone, Fa. Elmag (1964) Für diesen Industriebau mit Büro- und Ausstellungsräumen sowie Produktions- und Lagerhallen entwickelte Mangiarotti sein erstes Bausystem. Das Tragwerk besteht aus drei vorgefertigten Elementen: Stützen mit Hammerkopf, T-förmige Träger und Deckenplatten mit Mittelsteg. Dieses Bausystem avancierte später zu einem erfolgreichen Produkt und wurde in über 100 Variationen eingesetzt.
Bausystem “U 70 Isocell”; Alzate Brianza/Como, Fa. Lema (1969) Diese Weiterentwicklung des Bausystems für einen weiteren Industriebau ermöglichte einen einfachen und schnellen Aufbau. Träger und Deckenplatten haben die gleiche Höhe und damit liegen die Fassadenelemente und Innenwände in einer Anschlussebene. Somit lassen sich die ebenfalls vorfabrizierten Fassadenelemente leicht austauschen.
Mehrzweck-Bausystem “Briona 72”; Giussano/Mailand
Das Bausystem besteht aus neun standardisierten Stahlbetonfertigteilen. Hier verwendet Mangiarotti zum ersten Mal Betonfertigteile als Abschluss für die Dachkante. In Verbindung mit dem freigestellten Tragwerk zeigt sich bei diesem System Mangiarottis intensive Beschäftigung mit dem klassischen Motiv des Trilithen und dem Versuch einer Neuinterpretation.
Bausystem “Facep”; Bussolengo/Verona (1976)
Das System setzt sich aus einer H-förmigen Stütze, den gespreizten Trägern sowie schlanken Rippenplatten zusammen und wurde für einen Ausstellungsraum mit Werkstatt entwickelt.
Wohnhäuser in Teilvorfertigung in Monza (1972) und in Arosio/Como
Mangiarotti ging es hier vor allem um eine möglichst große Offenheit für die Wünsche der Nutzer. Das Stahlbetonskelett ermöglicht eine freie Organisation der Grundrisse.
Die Fassade besteht aus vorgefertigten, austauschbaren Elementen und erlaubt eine individuell abgestimmte Anordnung. Obwohl alle Fassadenelemente bei beiden Wohn-projekten gleich sind, wurden unterschiedliche Baukörper verwirklicht.
Der Artikel „Der Systemgedanke in der Architektur“, Roland Krippner in Beton- und Stahlbetonbau 94, 1999, Heft 11 enthält weitere ausführliche Informationen zu den gezeigten Projekten.
OSKAR VON MILLER FORUM
Das Oskar von Miller Forum ist eine Bildungsinitiative der Bayerischen Bauwirtschaft für die Ingenieure und Ingenieurinnen im Bauwesen und wird von der Stiftung des Bayerischen Baugewerbes getragen. Als international und interdisziplinär ausgerichtetes Begegnungszentrum im Bauwesen setzt das Oskar von Miller Forum mit seinem Programm herausragende Impulse für die Ausbildung angehender Bau- und Umweltingenieure und Architekten der Technischen Universität München sowie von Bautechnikern der Städtischen Fachschule für Bautechnik.
Im Oskar von Miller Forum finden regelmäßig zukunftsorientierte Veranstaltungen und Vorträge rund um das Bauwesen statt.