Umweltfreundliches städtisches Wohnen auf kleiner Fläche


Qualitativ hochwertiger und dennoch bezahlbarer Wohnraum steht im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion. Insbesondere in Ballungsgebieten wie dem Rhein-Main-Gebiet herrscht akuter Mangel an preiswertem Wohnraum. Gleichzeitig erobern neue Technologien und smarte Anwendungen den persönlichen Lebensbereich und verändern die Art zu Wohnen. Studierende des Fachbereichs Architektur, Bauingenieurwesen, Geomatik der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) haben deshalb nach Lösungen gesucht, nachhaltige, energieautonome “Raumwunderhäuser” zu konzipieren. Ihre Ideen und Entwürfe haben sie in einem Wettbewerb der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW) präsentiert.

„Für uns sind die Belastbarkeitsprobe und die Praxistauglichkeit sehr wichtige Aspekte in der Lehre. Die im Studium entwickelten Ideen von Praxisvertreterinnen und -vertretern auf Tauglichkeit und Umsetzbarkeit testen zu lassen, ist für die Studierenden ein Gewinn und bietet ihnen zudem schon früh Berufsperspektiven“, erklärt Prof. Dr. sc. Volker Ritter, Professor für Technische Gebäudeausrüstung. Deshalb ist es für ihn wichtig, in der Lehre auf praktische Fragestellungen zu setzen. Darum hat er sich im Wintersemester 2020/21 gemeinsam mit Dipl.-Ing. Arch. (TU) Dieter Blome, Lehrbeauftragter für Energieberatung und Ressourcenoptimiertes Bauen, dafür entschieden, den Studierenden dieselbe Aufgabenstellung zu geben wie die Nassauischen Heimstätten in ihrem Wettbewerb zu Smart Micro Housing.

Da es jedoch im Rahmen des Studienmoduls „Gebäudetechnik und Energieberatung“ im Master-Studiengang „Zukunftssicher Bauen“ nicht leistbar war, die Entwürfe tatsächlich wie  gefordert zu bauen, haben sich Ritter und Blome dafür eingesetzt, dass die Studierenden außer Konkurrenz in einem eigenen Wettbewerb, den Vertreterinnen und Vertretern der Praxis ihre Entwürfe zu präsentieren. Diesem Wunsch ist die Nassauische Heimstätte | Wohnstadt nachgekommen. Blome, der sich mit seiner Arbeitsgruppe http://Greenbyte.house am offiziellen Wettbewerb der NHW ‚Smart Micro Housing’ qualifizierte, konzipierte das Modul entsprechend und übertrug die Wettbewerbsaufgabe auf die Studierenden.

Der Wettbewerb und das Siegerteam

Gegenstand beider Wettbewerbe waren Ideen für urbanes Wohnen auf einer Fläche bis 20 Quadratmeter, bei denen neuste technische und technologische Verfahren und Systeme zur Erhöhung der Wohn- und Lebensqualität, der effizienten Energienutzung und der Nachhaltigkeit (smart living) zur Anwendung kommen. Energieautarkie/-autonomie für mindestens zwei Personen war vorgegeben.

Als Gewinnerteam kürte die Jury das interdisziplinäre Team aus Architektin Diana Danne und Bauingenieur Manuel Mickler mit dem Beitrag „the holistic“. Die beiden setzten bei ihrem Entwurf auf Erweiterbarkeit und Wissen durch Praxis stärkt eine Vollautarkie. Zum Einsatz sollen nachhaltige Baustoffe wie Seegrasdämmung und Holz, unterschiedliche Photovoltaikanlagen, eine gesundheitsfördernde Wohnumgebung mit großen Fenstern für viel Tageslicht und Biomasse als Brennstoff kommen. Highlight und Alleinstellungsmerkmal ist die eigene Sumpfpflanzenkläranlage auf dem Dach. Neben den vielen Vorteilen eines normalen Gründaches, zum Beispiel für die PV-Anlage und den Wohnkomfort, kann das anfallende Grau- und Regenwasser vollständig geklärt und wiederverwendet werden. Die Strom-, Frischwasser-, Warmwasser und Wärmeversorgung liefe autark ab. Das Haus biete genug eigenen Strom für zwei Personen bei ganzjährigem Aufenthalt. Durch den modularen Aufbau wäre das Konzept auch unkompliziert erweiterbar für zwei und mehr aneinanderhängende Module. „Der größte Anreiz dieses Wettbewerbes war es, ein autarkes und innovatives Gebäudekonzept zu entwickeln und uns dabei zu verdeutlichen, was mit erneuerbaren Energien alles möglich ist, um die Welt etwas grüner zu machen“, erklärt Diana Danne die Motivation des Teams. Das Gewinnerteam ist noch auf der Suche nach Partnern, um ihren herausgearbeiteten Entwurf Wirklichkeit werden zu lassen.

Von den insgesamt sieben Gruppen, haben vier Beiträge für den Wettbewerb in Form eines ca. zehn-minütigen Videofilms eingereicht. „Da wir hierauf keine Creditpoints vergeben konnten, freut es uns umso mehr, dass so viele Studierende die Zusatzarbeit nicht gescheut und die Chance zur Teilnahme genutzt haben. Die Einschätzungen der Jury sind für sie ein echter Benefit im weiteren Studium und späteren Berufsleben“, so Ritter.

Zur Jury gehörten Holger Lack, Regionalcenterleiter Frankfurt am Main und Karin Hendricks, Bereichsleiterin Modernisierung & Großinstandhaltung der Nassauischen Heimstätte | Wohnstadt sowie Prof. Dipl.-Ing. Erik Röthele, Professor für Energiedesign und Energieeffizienz für Gebäude im Planungs- und Bauprozess an der Frankfurt UAS. Organisiert und moderiert wurde der gemeinsame Termin von Dr. Simone Planinsek, Fachbereichsleiterin Projekte & Innovation und Frieda Gresch, Mitarbeiterin im Projekt- & Innovationsmanagement der NHW. Die Juryexperten aus der Praxis, Holger Lack und Karin Hendriks, zeigten sich begeistert über die Entwürfe der Studierenden. „Die Auswahl ist mir sehr schwergefallen, da alle Einreichungen ein höchstes Maß an Qualität gezeigt haben“, so Karin Hendricks. Auch Holger Lack bestätigte: „Die Anforderung an das Smart Micro House wurden mehr als erfüllt; beeindruckend sind die vielfältigen Ideen zu Modularität, Nachhaltigkeit und Autarkie.“

Experimentiergebäude auf dem Campus geplant

the holistic

Um den Studierenden in der Zukunft noch realere Bedingungen aufzuzeigen und theoretisches Wissen direkt praktisch anwenden zu können, plant die Hochschule derzeit die Einrichtung zweier „Tiny-Labs“. Das Projekt hat zum Ziel, auf dem Campusgelände der Frankfurt UAS zwei Experimentiergebäude zu realisieren. Diese erlauben es den Studierenden, praktische Erfahrungen bei der Planung, dem Bau, dem Betrieb und dem Rückbau von Gebäuden zu sammeln, erlerntes Wissen anzuwenden und interdisziplinär zu arbeiten. Ein Tiny-Lab wird auf einen aktiven, das andere auf einen passiven Betrieb ausgerichtet. An diesem Projekt sind unterschiedlichen Studiengänge aktiv, die alle das Ziel verfolgen, die Gebäude besser für die Herausforderungen der Zukunft auszurichten.

Balance von aktiven und passiven Gebäudekomponenten

Für das Tiny-Lab-aktiv wird ein Grundgerüst errichtet, an dem unterschiedliche Fassadenbauteile montiert werden können. Dies erlaubt den Studierenden, neue Bauteile, Baustoffe und technische Anlagen, die aktuell in Forschungs- und Entwicklungsprojekten entwickelt werden, praxisnah im Betrieb auszuprobieren. Weiterhin erlaubt die Modularität des Grundsystems z.B. auch den Einbau von Einsatzelementen mit aktuellen Innovationen der Bauindustrie.

Für das Tiny-Lab-passiv wird zunächst eine Bodenplatte zur Lastverteilung aus Stahlbeton realisiert, auf der in Stampflehmbauweise eine Gebäudehülle errichtet wird. Die Dachkonstruktion wird aus Holz mit Zwischensparrendämmung als Einblasdämmung erfolgen. Der Herstellungsprozess der Stampflehmwände mit der Gemeinschaft der Studierenden ist daher ein wichtiger Teil des Projekts. Ziel ist, das Gebäude mit so wenig technischen Anlagen zur Raumkonditionierung zu betreiben wie nötig. Die Studierenden überprüfen damit, wie thermische Behaglichkeit bereits durch die Auswahl der Baustoffe möglich wird. An diesem Gebäude werden nicht nur baukonstruktive Aspekte intensiv studiert und ausprobiert, sondern auch Raumqualität in Bezug zur Materialität untersucht. Das Gebäude dient weiterhin auch dazu, Konstruktionskonzepte für Regionen der Welt zu prüfen, in denen eine reduzierte Haustechnik zum Einsatz kommen kann.

Visualisierungen (c) Diana Danne & Manuel Mickler, Meldung: Frankfurt University of Applied Sciences

Siehe auch: Tiny Lab | frankfurt-university.de

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