Kinostart ab 20. Januar 2022: Ein zeitlicher Rückgriff auf das Jahr 1828 erfolgt. Ort des Geschehens ist die Stadt Bremen. Die junge Cato Böhmer (Elisa Thiemann) tritt ihre neue Stelle als Aushilfsprotokollantin für Untersuchungsrichter Senator Droste (Gottfried Gottschalch) an. Ihr großer Traum ist es, Juristin zu werden – obwohl sie weiß, dass Frauen in Deutschland nicht studieren dürfen. Gegen alle Widersprüche wird sie zu einer wichtigen Stütze des Senators, als sich in der Bremer Pelzerstraße verdächtige Todesfälle zu häufen beginnen. Giftspuren an Lebensmitteln alarmieren das Kriminalgericht, es zeigt sich schnell, dass die attraktive Gesche Gottfried (Suzan Anbeh), Witwe und scheinbare Wohltäterin, keineswegs selbst in Gefahr ist, wie sie behauptet. Vielmehr gilt sie in dem mysteriösen Fall schon bald als Hauptverdächtige.
Sie wird bezichtigt ihre eigenen Kinder, Ehemänner, Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn ermordet zu haben. Im Laufe der Untersuchung treffen mit Cato und Gesche zwei Frauen aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Obwohl die eine das Gesetz vertritt und die andere außerhalb von Regeln und Vorschriften lebt, ringen beide auf ihre Weise um das Gleiche: ihren Platz in einer Welt, in der Frauen den Männern gehorchen. In den Verhören wird sich zeigen, inwieweit Cato es gelingen wird, Gesche ihr dunkles Geheimnis zu entreißen und sie zu einem Geständnis zu bringen.
Beruhend auf Originalakten, die erst 1988 aufgetaucht waren, soll Gesche Gottfried 15 Menschen mit „Mäusebutter“ (ein Gemisch aus Schmalz und Arsen) zwischen den Jahren 1813 und 1827 ermordet haben, 20 ihrer Opfer überlebten. 1831 wurde sie im Alter von 46 Jahren hingerichtet – die letzte öffentliche Exekution, die in Bremen stattfand.
Der historische Kriminalfilm EFFIGIE – Das Gift und die Stadt ist das Regie-Debüt von Udo Flohr. Sensibler Historienfilm, der mit schönen Bildern und eben solchen Schauspielern beeindruckt. Schade, dass der Kinobesuch noch immer durch Corona-Schutzmaßnahmen nur eingeschränkte Einlassmöglichkeiten bietet. Denn dieser Film wird unvergänglich in Erinnerung bleiben. Das Drehbuch basiert auf Original-Gerichtsakten sowie einem Theaterstück von Peer Meter und zeichnet das spannende Bild einer Epoche, die uns – gerade auch in Feminismusfragen – näher ist, als es zunächst scheint. Interessant auch wie die Rolle der Anwaltsgehilfin Cato Böhmer filmisch herausgearbeitet wurde, obwohl Frauen die Ausbildung bis zur Juristin in den 1820er Jahre noch gar nicht möglich war. Sie ist diejenige, die Gesche Gottfried verhört und ihr als erste jedoch ohne Zeugen ein Geständnis abringt. Insofern handelt es sich auch nicht um einen Krimi, der von seinen Spannungsmomenten und der Verdunklung lebt, als vielmehr um eine tragische Geschichte, wie sie schon Gretchen, die eine Kindsmörderin war, in Goethes Faust erzählt. Wobei Gretchen in Goethes Faust fiktiv ist und lediglich auf Ähnlichkeiten zu einem tatsächlichen Gerichtsfall beruht.
War die Täterin aus Bremen psychisch krank, kaltblütig und berechnend oder ein Opfer der gesellschaftlichen Umstände, das sich auf eine – zugegebenermaßen unfassbar drastische – Weise wehrte? Das wird wohl niemals zu klären sein, was Gesche Gottfried, geboren 1785 als Tochter eines Bremer Schneidermeisters, zu ihren Verbrechen trieb. Tatsache ist jedoch, dass sie in die deutsche Kriminalgeschichte einging: als erste verbürgte Serienmörderin.
Litt sie, wie Flohr vermutet, an der sogenannten Ego-State-Störung und dem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, einer Form der (Kindes-) Misshandlung, die häufig bis zum Tod führen kann? Ihr Fall lässt viel Raum für Spekulationen, denn die Ursache oder Motivation für Gottfrieds Mordserie 180 Jahre später mit Sicherheit zu benennen, ist unmöglich. Der Regisseur Rainer Werner Fassbinder etwa, der das Theaterstück „Bremer Freiheit“ schrieb, machte darin aus Gesche Gottfried ein Opfer der Verhältnisse und lässt sie an einer Stelle sagen, dass eine Frau „ein Mensch“ sei, nicht das „Haustier eines Mannes“. Ihr Amoklauf gegen die Institution Ehe und Familie musste freilich erfolglos bleiben, denn – so Fassbinder – „zur falschen Zeit das richtige Bewusstsein nutzt gar nichts.“
35.000 Menschen sahen Gesche Gottfrieds Hinrichtung 1831 auf dem Bremer Domshof zu. Als der Henker ihr mit dem Schwert den Kopf abschlug, war die Mörderin 46 Jahre alt. Es sollte die letzte öffentliche Exekution sein, die in der Hansestadt vollzogen wurde. Der Film verzichtet weitestgehend auf unnötige Grausamkeiten der Hinrichtungsprozedur, versteht sich vielmehr als einfühlsames Zeitdokument im Wandel der Geschichte.
Der Film versucht Bezug auf die frühe Industrialisierung zu nehmen. England ist das Vorbild der technischen Veränderungen. Es waren die Jahre der ersten Eisenbahnen, die schon bis nach Bremen fuhren. Viele Menschen wanderten nach Amerika aus, um dort sesshaft zu werden und veröffentlichten Bücher, wie eine der Beteiligten im Film dies beschreibt. Frauenrecht schien dort im Übrigen weiter entwickelt zu sein als dies in heimatlichen Gefilden der Fall war. Ich halte den Versuch, auf die späteren Jahre der deutschen Revolution in den 1848er Jahren zu verweisen, was in Wirklichkeit keine Revolution war, für etwas übertrieben. Viel spannender finde ich die Tatsache, dass die Geschehnisse in den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts spielen, weil sich gerade diese Epoche durch eine hohe Sensibilität auch in gesellschaftlichen Fragen und deren Ideen auszeichnet. Die einfühlsame Musik, passend zum Film, entstand in enger Zusammenarbeit zwischen Komponist und Dirigent Nic Raine und den Prager Philharmonikern. Auch requisatorisch geht der Film eher behutsam vor. Der Einsatz zeitgemäßer Gebrauchsgegenstände des frühen 19. Jahrhunderts erscheint nicht überschwänglich, es ist kein Zuviel des Guten, was geboten wird. Die Aussage des Films bleibt durch seinen schauspielerischen Einsatz prägend und lässt durchblicken, welche Motive und Triebe die Täterin gesteuert haben könnten.
Effigie, was effígië ausgesprochen wird, ist ein lateinischer Ausdruck, der im Bildnis oder als Bildnis verstanden werden kann. Im Englischen gibt es das Wort effigy – was eine Puppe bezeichnet, die bestraft wird. Der Independent-Film kostete laut Wikipedia rund 400.000 Euro.
Filmwebsite: Effigie – Das Gift und die Stadt Produktionsland/Jahr Deutschland/ USA 2019 Spieldauer 85 Minuten
BESETZUNG Gesche Gottfried Suzan Anbeh Cato Böhmer Elisa Thiemann Senator Droste Christoph Gottschalch Kapitän Ehlers Roland Jankowsky Kommissar Tonjes Uwe Bohm Bürgermeister Smidt Ulrich Sachsse Kanzlist Müller Tom Keidel Dr. Luce Eugen Daniel Krössner Dr. Hoffschläger Marc Ottiker |
STAB Regie Udo Flohr Drehbuch Peer Meter, nach seinem Theaterstück, Udo Flohr, Antonia Roeller Kamera Thomas Kist Schnitt Sven Pape Szenenbild Christina v. Ahlefeld, Knut Splett-Henning Requisite Detlef Kappis Musik Nic Raine mit den Prager Philharmonikern Tonmeisterin Tsvetelina Valkova Sound Design Moritz Busch Kostüm Katja Pilgrim Make-Up Hjørdis Supplieth, Sarah te Laak, SFX Janine Kusche Regieassistenz Max Gleschinski Wissenschaftlicher Berater Ulrich Sachsse Creative Producer Henning Ahlers Produzenten Patricia Ryan, Udo Flohr Produktion GeekFrog Media Llc Verleih/Vertrieb Filmdisposition Wessel [de] |