Deutschen Autobauern droht ein Ende der goldenen Zeiten in China Marktanalyse


Die erwartete Verlangsamung des über Jahre stetig hohen Wachstums in China könnte die dortige Nachfrage nach deutschen Autos belasten. Gleichzeitig nimmt der Wettbewerb durch chinesische Automobilhersteller in China, aber auch auf den heimischen Märkten zu. Was das für die deutsche Automobilindustrie zu bedeuten hat, die zuletzt einen erheblichen Teil ihrer Gewinne in China erwirtschaftet hat, erläutert die Prognose. In der aktuellen Blitz-Licht-Analyse beleuchten die Analysten der KfW IPEX-Bank die Auswirkungen der Entwicklungen in China auf die deutsche Automobilindustrie und die kurz- bis mittelfristigen Chancen und Herausforderungen, die sich daraus ergeben.

Deutsche Autobauer – vor allem die OEM-Premiummarken – profitieren seit Jahren vom wirtschaftlichen Aufschwung Chinas. Die erhebliche Absatz- und Gewinnverschiebung der letzten Jahre zu Gunsten der Volksrepublik führte zu einer deutlichen Abhängigkeit. Nun drohen die hohen Margen im Reich der Mitte durch eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und aufstrebende chinesische Wettbewerber unter Druck zu geraten.

Chinas schneller Aufstieg zum weltweit größten Pkw-Markt

Das hohe Wirtschaftswachstum Chinas und der damit verbundene Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt wirkten sich sehr positiv auf die Automobilindustrie aus. Die steigenden Einkommen und die aufstrebende Mittelschicht sowie die niedrige Pkw-Dichte führten in der Zeit nach der Fi- nanzkrise bis zum Peak 2017 zu einem stark steigenden Pkw-Absatz im Reich der Mitte (Greater China*: ~10 Prozent vs. Global: ~5 Prozent CAGR 09-17). Die Nachfrage wurde jedoch seit 2018 durch Handelskonflikte, die COVID-19- Pandemie und die Lieferkettenstörungen belastet.

*Greater China: Volksrepublik China (Festland, Hongkong, Macau) und Taiwan

Die Volksrepublik entwickelte sich schnell zum weltweit größten Pkw- Absatzmarkt: Chinas Anteil stieg (in einem weltweit bis 2017 wachsenden Pkw-Markt) von ~20 Prozent 2009 auf mehr als 30 Prozent im Jahr 2021. Dagegen entwickelte sich bspw. der Anteil des gesättigten europäischen Markts im gleichen Zeitraum von knapp 29 Prozent auf weniger als 21 Prozent rückläufig.

Absatzmarkt China – ein Klumpenrisiko für die deutschen Autobauer

Insbesondere die stark wachsende Mittelschicht in China verhalf der deut- schen Automobilbranche zu einem andauernden und profitablen Wachstum. Die jährlichen Steigerungsraten der Premiummarken lagen deutlich über dem bereits hohen Wachstum des chinesischen Pkw-Markts. In der Folge stieg der China-Absatzanteil deutscher OEM stetig an. Mittlerweile liegen die Anteile weit über 30 Prozent (laut IHS bei der VW-Tochter Audi sogar bei 43 Prozent). Aufgrund der robusten Pkw-Nachfrage in China während der COVID19- Pandemie ist die Abhängigkeit sogar noch angestiegen. Zusammen verfü- gen die deutschen Hersteller in China über einen Marktanteil von rund 20 Prozent.

Ausländische Autobauer zu Joint Ventures (JV) gezwungen

Um Fahrzeuge in China zollfrei verkaufen zu dürfen, mussten alle ausländi- schen Hersteller Joint Ventures (max. 50 Prozent-Beteiligung) mit heimischen OEM eingehen und Produktionsstandorte vor Ort errichten. So ging Volks- wagen JVs mit FAW und SAIC, Mercedes Benz mit BAIC und BMW mit Bril- liance ein. Für die Zulieferindustrie gab es diese Anforderung nicht.

Mit dieser Industriepolitik entwickelte sich das Reich der Mitte nicht nur zum weltweit größten Pkw-Absatzmarkt, sondern in ähnlichem Umfang auch zum größten Pkw-Produzenten (2021: ~25 Mio. Einheiten). Die Lokalisierung führte dazu, dass die deutschen OEM 2019 erstmals deutlich mehr Pkw in China (~5 Mio.) fertigten als an den heimischen Produktionsstandorten.

Erlöse aus dem China-JV-Absatz fließen nicht in den Konzernumsatz ein

Aufgrund der fehlenden Beherrschung der China-JV werden die erzielten Erlöse aus dem Verkauf der vor Ort produzierten Pkw nicht im Konzernum- satz der deutschen Hersteller berücksichtigt. Durch die Bilanzierung nach der sog. „At-Equity-Methode“ wird lediglich das anteilige JV-Ergebnis sowie die JV-Beteiligung in der Bilanz ausgewiesen. Anders sieht es bei der Berichterstattung der Absatzzahlen aus. Hier fließen auch die in den China-JV produzierten Pkw mit ein. Die Konsequenz ist eine Diskrepanz zwischen den Absatz- und Umsatzanteilen. Die ausgewiesenen Konzernumsatzanteile von China liegen bei etwa 20 Prozent und setzen sich wie folgt zusammen:

  1. Dem Export von Fahrzeugen nach China. Hier wird ein Zoll von 25 Prozent erhoben, was im Wesentlichen nur bei Premium-Autos durchsetzbar ist.
  2. Der Vereinnahmung von Lizenzgebühren (~3 Prozent des Fahrzeugpreises) für jedes in China JV-produzierte und verkaufte Fahrzeug.
  3. Teile und Komponenten die außerhalb Chinas produziert und an die JVs verkauft werden (Anteil hängt von dem Grad der Lokalisierung ab).

Fazit: Die Profitabilität des China-Geschäfts lässt sich kaum genau ermitteln. Branchenkenner schätzen, dass die drei Autokonzerne gewöhnlich rund die Hälfte ihres gesamten Profits in China erwirtschaften. Die ausgewiesenen anteiligen JV-Gewinne stellen damit nur einen Teil der „China-Gewinne“ dar.

Deutsche Autobauer streben die Mehrheitsbeteiligung an den China-JVs an

Peking kündigte 2018 an, die Obergrenzen für JV-Beteiligungen im Automo- bilsektor bis 2022 aufzuheben. Da die JV sehr profitabel sind und wichtige Beiträge zum Konzernergebnis der Autohersteller leisten, besteht seitens der OEM ein sehr hohes Interesse, die Mehrheit an den JV zu erlangen. Damit würde der Umsatz deutlich zulegen und die operativen Margen ten- denziell steigen. BMW gelang 2022 als erstem OEM die Mehrheitsübernah- me an seinem China-JV. Mercedes und VW hatten bislang keinen Erfolg.

Mit der Elektromobilität schwinden die hohen Markteintrittsbarrieren…

Die Autoindustrie wird von Peking als eine der Schlüsselindustrien angese- hen. Man will ein führender globaler Akteur in der Branche werden. Das ehrgeizige Ziel könnte auf dem Markt für E-Autos gelingen: Mit der Trans- formation der Antriebstechnik besteht die Möglichkeit, den technologischen Vorsprung der Deutschen bei den Verbrennungsmotoren zu überspringen. Chinas Autobauer profitieren einerseits von einer erheblichen staatlichen Förderung und andererseits von einem großen und nachfragestarken Markt. So ist mit etwa 3,5 Mio. verkauften E-Autos 2021 (BEV ~3 Mio. und PHEV 0,5 Mio.) die Volksrepublik neben Europa (~2,3 Mio.) bereits der wichtigste Markt für E-Autos. Der E-Auto-Anteil stieg 2021 auf ~14 Prozent (2020: 5,4 Prozent).

BYD erreichte 2021 in China bei den sog. NEV** einen Marktanteil von knapp 20 Prozent. Dagegen verfügen die deutschen OEM aufgrund des über- schaubaren NEV-Angebots in dem Segment derzeit nur über einen geringen Marktanteil von ca. 5 Prozent.

**New energy vehicles: BEV = Battery electric vehicles; PHEV = Plug-in hybrid electric vehicles; FCEV = Fuel-cell electric vehicles

…und das Wettbewerbsumfeld intensiviert sich

Chinesische OEM (z.B. NIO, BYD, XPeng, Great Wall Motors, Geely, Li Auto, Aiways) sind auf dem Weg, ernst zu nehmende Rivalen deutscher Hersteller zu werden. Nicht nur weil die Chinesen konsequent auf E-Mobilität setzen, sondern sich auch auf Software und Digitalisierung fokussieren. Die in China hergestellten Modelle fordern deutsche OEM bei Bedienung (Enter- tainment/Vernetzung) und der Batterietechnik. Aber auch chinesische Tech- Konzerne (z.B. Xiaomi) treiben die E-Offensive voran. Andere wie Huawei, Baidu, Alibaba und Tencent arbeiten mit der Autoindustrie zusammen.

Chinesische Pkw-Exporte werden zunehmen

2021 entfiel etwa die Hälfte der weltweit verkauften E-Autos (~6,5 Mio.) auf chinesische Automarken – bei weniger als 15 Prozent Anteil am globalen Pkw- Markt. Ein Großteil der E-Autos entfällt damit noch auf die Binnennachfrage. Laut dem 2020 verkündeten 15-Jahresplan (2021-2035) wünscht Peking eine Export-Offensive für E-Autos und wird einheimische Unternehmen un- terstützen. Es ist zu erwarten, dass die chinesischen Exporte von E-Autos schnell steigen dürften, was auf die Faktoren (1) überschüssige Kapazitäten (2) schwächere Binnennachfrage (3) bessere Qualität zurückzuführen ist. Dabei weckt der schnell wachsende europäische E-Automarkt Begehrlich- keiten und die chinesischen Hersteller drängen verstärkt auf diesen Markt (ein beliebter Start aufgrund der hohen E-Auto-Anteils ist Norwegen). Ihr Marktanteil in Europa liegt allerdings aktuell bei noch überschaubaren rund 1,2 Prozent.

Die günstigen Preise dürften zunächst vor allem Volumenherstellern (Ford, Fiat, Opel) Marktanteile abnehmen. Aber auch für die Premiumhersteller wird der Wettbewerbsdruck zunehmen (z.B. Aiways U5/U6 oder Nio ET7). Markteintritte über Beteiligungen an westlichen Marken sind bereits erfolgt. So ist Geely mit Volvo Car, Polestar, Lotus, Smart oder Lynk vertreten. SAIC übernahm die britische Marke MG und verkauft Elektro-SUVs in Europa.

Künftiges Wachstum des chinesischen Pkw-Marktes wird geringer ausfallen

China steht vor diversen Herausforderungen, welche sich auch auf die hei- mische Pkw-Nachfrage auswirken werden. Kurzfristig sind hier verstärkte Lockdown-Maßnahmen durch die Null-COVID-Strategie und Produktionsbe- hinderungen durch Lieferengpässe zu nennen. Langfristig hemmen eine stagnierende und alternde Bevölkerung sowie ein rückläufiger Anteil der arbeitsfähigen Menschen die Nachfrage. Hinzu kommt die Gefahr eines sich abschwächenden Immobilienmarkts. Generell wird erwartet, dass sich das chinesische BIP-Wachstum in den kommenden Jahren abschwächen wird. Ein erneutes Aufflammen des weiterhin schwelenden Handelskonfliktes zwischen den USA und China sowie die Bekämpfung der stark gestiegenen Ungleichheit im Reich der Mitte (Stichwort „Common Prosperity“), können die Wirtschaft und die Nachfrage nach Luxuswagen zusätzlich belasten.

Die künftigen jährlichen Pkw-Wachstumsraten werden wohl deutlich unter dem Niveau vor der Corona-Pandemie liegen (CAGR 2022-2029 ~3,7 Prozent; Global ~3 Prozent). Stützend wirkt die im Vergleich zu den Industrienationen im- mer noch geringe Pkw-Dichte (214 Fahrzeuge pro 1.000 Einwohnern in 2021; Vgl. USA: 800).

Die Herausforderungen und Risiken für die Autobauer sind vielfältig

Der chinesische Markt besitzt allein durch seine Größe einen immensen Stellenwert mit Trendsetzungscharakter. Die Sicherung der Profite und Marktanteile durch die richtige Kundenansprache ist sehr wichtig (Fokus der Produktstrategie u.a. auf Software, Entertainment, Vernetzung).

Um nicht den Anschluss an die wachsende Konkurrenz zu verlieren und um auf Wohlwollen der Regierung zu stoßen, verschieben deutsche OEM ver- stärkt Wertschöpfung nach China (Entwicklung, Produktion z.B. von Smart, Mini sowie SUVs). Die Verlagerung ist vor dem Hintergrund des mög- lichen Verlusts von Technologie Know-how kritisch zu sehen.

Die hohen Absatzanteile jenseits von 30 Prozent zeigen, wie abhängig die Geschäftsmodelle der deutschen Autobauer von der wirtschaftlichen Entwicklung der Volksrepublik sind. Das Klumpenrisiko sowie die wachsende Konkurrenz aus dem Reich der Mitte bergen nicht unerhebliche Risiken. Weiterhin können aktuelle Sanktions-Diskussionen auf EU-Ebene sowie politische oder regulatorische Eingriffe seitens Peking sich negativ auf die Profite der deutschen Autobauer auswirken.

Fazit: Der “Motor” China kommt ins Stottern

Aufgrund schwächerer Wachstumserwartungen sowie tendenziell sinkender Renditen durch die zunehmende Konkurrenz, ist davon auszugehen, dass sich das hohe profitable Wachstum der Vergangenheit nicht fortschreiben lässt. Insgesamt sehen wir die deutschen Autobauer im Oberklassesegment kurz- bis mittelfristig gut positioniert und gehen davon aus, dass sie am chinesischen Wachstumspotenzial weiterhin partizipieren können.

Da andere Absatzmärkte das „China-Geschäft“ schlicht nicht ersetzen können, gilt es für die OEM, auf die Herausforderungen und Risiken des chine- sischen Marktes – wie in der Automobilindustrie üblich – flexibel zu reagieren. Das bedeutet, auf die besonderen Kundenbedürfnisse stärker einzugehen und Chancen (z.B. durch M&A der JV-Aktivitäten) zu ergreifen.

Foto (c) Kulturexpress, Meldung: Mladen Hucic – Kreditanalyse Automobilindustrie – KfW IPEX-Bank, Frankfurt am Main

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