Unterhaltsam – das Musical KU’DAMM 56 in der Alten Oper Frankfurt Einerseits Unterhaltung, andererseits Erzählung feierte das Musical Ku'damm 56 am 21. Dezember fulminant Premiere vor vollem Haus


Im Großen Saal zeigten sich die jungen Tänzerinnen und Tänzer von ihrer charmantesten Seite nicht ohne herausfordernde Zwischentöne auf eine Epoche zu werfen, die zwischen Nachkriegsdeutschland und aufstrebendem Wirtschaftswunderland verzweifelt ihr eigenes Debüt suchte. Wären nicht die Gräuel der Vergangenheit, verbal stets beiseite geschoben aber die Psyche der Gesellschaft blutet mit. Es bleibt der Aufschrei gegen das Vergessen, den vor allem die junge Generation antreibt. Heiratswünsche, Kind und Familie, Beruf und Studium sind die Sehnsüchte, welche die Beteiligten insgeheim aussprechen.

Die fünfziger Jahre in Berlin, Nachkriegszeit, eine Tanzschule und ihre Akteure sind das Thema dieses Musiktheaters mit Heimatbezug. Mädchen und Jungs fallen von der Stange auf das Tanzparkett, nicht zuletzt um bei der Partnerwahl Gewinne zu verbuchen: Tanz ist Leben, Tanz ist Befreiung. Väter in Kriegsgefangenschaft warten auf ihre Heimkehr. Das Land, inzwischen in Ost und West geteilt, wirft neue Schlaglichter der politischen Ausrichtung auf Konservative wie Kommunisten. Manche träumen vom unternehmerischen Aufstieg im zweigeteilten Land. Die Rüstungsindustrie schwört bereits mit, um am Wirtschaftswunder teilzuhaben.

Die drei Schwestern v.l.n.r.: Helga (Pamina Lenn), Eva (Isabel Waltsgott) und Monika (Sandra Leitner)

Monika Schöllack, gespielt, getanzt und gesungen von Sandra Leitner, die modernste und zeitgenössischste unter den Dargestellten, kehrt zur Hochzeit ihrer Schwester Helga zurück nach Hause. Sie wurde wegen schlechten Benehmens aus der Hauswirtschaftsschule entlassen, was ihre Mutter Caterina beschämend aufgenommen hat. Letztere betreibt eine Tanzschule mit der sie sich in schlechten Zeiten über Wasser hält. Für Caterina ist der Ruf der Familie äußerst wichtig, sie hält an alten Klischees der Ordnungsliebe und der Sittsamkeit besonders in Bezug auf Ihre drei Töchter fest. Die Prüderie der 1950er Jahre und der Nachkriegszeit bekommt so ihren Beigeschmack. Alte Denkmuster bestimmen die Klischees, die allesamt musikalisch überzeugend interpretiert sind und der aufgebrachten Stimmung nirgends entgegenstehen. Manchmal entsteht der Eindruck, Nachwirkungen des verlorenen Krieges hätten ihre Fußstapfen hinterlassen, um nicht zu sagen den Stempel aufgesetzt. Viele tragen Kleidung in schlichtem Grauton. Ein Vorzug dieser Aufführung ist die schon wieder modisch anmutende Kostümierung. Frauenkleider  bestehen aus typischem Einheitsgewebe, wie das in der damaligen Epoche üblich war.  Viele Mädchenkleider tragen ein kariertes Muster. Corporate Identity wie sie damals vorherrschte wird auf diese Weise vorgespielt, um damit alte Heimatgefühle zu wecken. Manche der daher gebrachten Klischees neigen auch zu Oberflächlichkeit, ob blond, ob braun oder brünett: Den Spruch hätten sie sich sparen können. Zum Glück ist die musikalische Darbietung überzeugend gelungen, so dass der Beifall aus dem Publikum gesichert ist. Mitklatschen, der Stimmung zu Liebe, ist ebenfalls erlaubt. Langweile mag bei diesem Intermezzo bestimmt nicht aufkommen. Zahlreiche Revueeinlagen steigern den Moment der Identitätsfindung. 

Helgas Ehe wird dadurch getrübt, dass ihr Mann homosexuell ist. Er ist deshalb in Behandlung bei Prof. Fassbender, der ihn von der Krankheit kurieren soll, was nicht gelingt. Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten, was mit einer Aussprache endet und Verzweiflung Helgas. Caterina bringt Monika mit Joachim Franck, den Fabrikantensohn, in Verbindung, der Schriftsteller werden möchte. Joachim Franck vergewaltigt Monika, woraus sie auf Empfehlung ihrer Mutter hin aber keinerlei Nutzen ziehen will, da sie nicht das Opfer althergebrachter Prüderie werden möchte. Ein ansatzweise zuversichtliches Theaterstück mit  aussagekräftigen Inhalten kommen zur Geltung. 

Zugleich ein Musical ohne kitschig zu werden und ohne es mit der Hysterie Rock’n Roll zu übertreiben. Stück und Choreographie haben erzählerische Vielfalt, die der Stoff unterhaltsam weiterträgt. Der Inhalt bedeutet mehr als nur Heimatposse. Laut und auffordernd sind die Rufe:  Berlin ist meine Stadt! Berlin ist meine Welt! Somit Werbeträger für die eigene Stadt. Bühne und Kulisse erinnern durch schlichte Bauweise bisweilen an den Verzicht, der damals das Leben mitbestimmte. Wohinter sich auf der Bühne jedoch eine ausgeklügelte Schiebetechnik verbirgt, die sowohl in horizontaler Richtung, nach rechts und nach links, nach vorne und nach hinten, als auch nach oben über zwei Stockwerke verschiebbar ist. Die Bühne im Karree angeordnet, an den Rändern befinden sich die Schaubuden. Ein Schlafzimmer mit Doppelbett deutet das Innere einer Wohnung an. In der Mitte etwas versteckt thront die Mutter Brause Band, die abendfüllend dafür gemacht ist, die Bühne musikalisch auszufüllen, ohne lästige Übersteuerungseffekte der Musikanlage zu provozieren. Manche Schaufenster am Rand der Bühnenbauten wirken unaufgeräumt, zeigen die Enge städtischer Umgebung. Mit Frankfurt am Main hat es genau den richtigen Ort getroffen, um dieses Musikspektakel nach einer Vorlage des Theater des Westens in Berlin hierherzubringen.

Siehe auch: KU’DAMM 56 – Alte Oper Frankfurt, das mitreißende Musical nach der ZDF-Erfolgsserie