Architektur im Ringturm „Heinrich Kulka. Loos-Schüler und Nachfolger“. bis 7. November 2025 - Ausstellungszentrum im Ringturm, Schottenring 30, 1011 Wien


Der im mährischen Litovel (deutsch: Littau, heutige Tschechische Republik) geborene Heinrich (Jindřich) Kulka war ab 1927/28 als Partner von Adolf Loos an nahezu allen seinen Entwürfen wesentlich beteiligt. Die aktuelle Ausstellung der Reihe „Architektur im Ringturm“ widmet sich ausführlich dem eigenständigen Werk Heinrich Kulkas vor seiner Emigration. Die Schau wurde am Montagabend, dem 7. Juli offiziell eröffnet. Der Einladung des Wiener Städtischen Versicherungsvereins folgten zahlreiche Gäste, u.a. Dr. Jiří Šitler, Botschafter der Tschechischen Republik in Österreich oder Architekt Hermann Czech.

Die Ausstellung „Heinrich Kulka. Loos-Schüler und Nachfolger“ ist bis 7. November 2025 bei freiem Eintritt im Ausstellungszentrum im Ringturm (Schottenring 30,1010 Wien) zu sehen. Im Fokus stehen – neben einigen Wiener Arbeiten aus der Zeit vor 1938 (erste Emigration nach Hradec Králové / Königgrätz) – vor allem die von Heinrich Kulka in Böhmen realisierten Bauten, die ganz dem Gedanken des Raumplans verpflichtet sind.

Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag, 9:00 bis 18:00 Uhr
(an Feiertagen geschlossen

Haus Semler 1933–35 Pilsen | Plzeň Klatovská třida 110 Heinrich Kulka Fotos: Gallery of West Bohemia in Pilsen, Semler Residence

Unsichtbar sichtbar: Heinrich Kulka

„Ich wollte immer vollständig im Hintergrund bleiben.“ – diese für Heinrich Kulka so typischen Worte erinnerte Friedrich Kurrent an die Situation, als er den Architekten 1966 nach 28 Jahren erzwungenem Exil wieder in Wien begrüßte. Kulka war mehr als nur ein Schüler von Adolf Loos: Binnen kurzer Zeit wurde er zu einem ebenbürtigen Partner. Als Kulka 1938 Wien verlassen musste, war Loos bereits seit fünf Jahren tot. Ohne Kulka gäbe es kein Doppelhaus in der Werkbundsiedlung, keinen Kniže in Paris, keine Matzner-Geschäftslokale, kein Haus Khuner, kein Haus Müller in Prag und viele andere Projekte nicht. Kulka war zudem der erste Chronist von Loos’ Werk. In seiner 1931 erschienenen Monograpfie prägte er den heute weltbekannten Begriff Raumplan, dessen Entwicklung er gemeinsam mit Loos vorantrieb. Bis zu seinem Tod 1971 trug er Loos’ Ideen über den halben Erdball hinaus. Die Ausstellung im Ringturm und die begleitende Publikation widmen sich anhand neuer Materialien aus internationalen Archiven auch bislang wenig bekannten Projekten wie dem Haus Kantor in Gablonz (heute Jablonec) und der Wohnung Semler in Pilsen – zwei herausragende Beispiele für Kulkas eigenständige Raumplan-Lösungen, die er vor seiner Flucht nach Neuseeland verwirklichen konnte.

Wichtigste Werke in Einzeldarstellungen (Auszug) Haus Konto, Gablonz / Jablonec Einfamilienhaus Kantor 1933–34 Gablonz an der Neiße | Jablonec nad Nisou Palackého ul. 26 Heinrich Kulka Fotos: Archiv Adolph Stiller

Loos-Schüler und Nachfolger

Ausgehend von der Tatsache, dass Adolf Loos für seine Bauten immer sehr gute Mitarbeitende hatte, drängte sich die Frage nach dem Werk seines gemeinhin gerne als „rechte Hand“ bezeichneten – heute vermutlich nur wenigen Spezialist:innen als selbständiger Architekt bekannten – Heinrich Kulka auf. Der aus dem mährischen Litovel (deutsch Littau, heute in der Tschechischen Republik gelegen) stammende Heinrich (Jindřich) Kulka begann sein Studium an der Technischen Hochschule in Wien, um parallel dazu in der Loos-Bauschule das zu erlernen, was eine Hochschule nicht bieten konnte. Nachdem er zwei von Loos unter seinen Schülern veranstaltete Wettbewerbe gewann, wurde er bevorzugter Mitarbeiter in dessen Baukanzlei und war ab 1927/28 als Partner bei fast allen Entwürfen eingebunden, wobei ihm der um 30 Jahre Ältere großes Vertrauen entgegenbrachte bzw. wirklich freie Hand auch in Entwurfsdingen überließ. Insbesondere bei der Entstehung des sogenannten RAUMPLAN-Konzepts war Kulka seit dem Entwurf für das Haus Rufer (1922) nicht nur wesentlich beteiligt; es ist auch sichtbar, dass sich Loos’ Werk ab dem Zeitpunkt des Eintretens von Kulka in dessen Büro merklich veränderte. Bereits ein Jahr zuvor hatte Kulka die Publikation „ins Leere gesprochen“ mit großem Einsatz betreut, wofür sich Loos im Nachwort deutlich bedankte. Neuesten Forschungen zufolge wird nun offensichtlich, dass für eine ganze Reihe von Projekten, Bauten und Einrichtungen Kulka als Mitautor gelten muss, insbesondere unter Bedachtnahme des stetigen Verfalls der Kräfte von Loos aufgrund dessen mit monatelangen Sanatoriumsaufenthalten verbundener schweren Krankheit.

Werkbundsiedlung, Einfamilien-Doppelhaus Nr. 49–52
Single-family semi-detached house Nos. 49–52, 1930–34
Wien 13, Woinovichgasse13, 15, 17, 19
Heinrich Kulka, Adolf Loos
Fotos | Photos: Österreichische Nationalbibliothek
Miethaus Löwenbach
Löwenbach rental house
1938–39
Königgrätz | Hradec Králové
Ambrožova 2
Heinrich Kulka
Foto | Photo: Adolph Stiller

Der Bauplatz des Hauses liegt inmitten eines nach dem Ersten Weltkrieg links und rechts der Ausfallstraße zum nächstgrößeren Reichenberg (Liberec) angelegten Stadterweiterungsgebietes, das mit seinen zahlreichen, dort innerhalb der zwei Jahrzehnte Zwischenkriegszeit, errichteten Villen heute noch von einem auf der Glasindustrie fußenden und mit der Brünner Textilindustrie vergleichbaren unheimlichen wirtschaftlichen Aufschwung zeugt. Ein bemerkenswerter Unterschied zu der in den 1920er und 1930er Jahren entstandenen Bausubstanz der Hauptstadt Mährens ist in den Stilrichtungen der Gablenzer Villen (aber auch in anderen Bauten wie Wohnhäusern oder dem Rathaus) für die tonangebende Schicht der Stadt zu finden, deren Blick mehr nach Berlin als nach Paris gerichtet war.

Die meisten Häuser hier sind entweder in eklektizistischem Vokabular mit traditionell-regionalen Anklängen oder in moderat-moderner, zwar im Entwurf funktionell organisierter, aber manchmal etwas schwer anmutender Architektursprache entworfen, die den Stolz der aufstrebenden Bürgerschicht durch das was sie sich sichtbar leisten konnte auch sichtbar machen sollte. (Karl Winter als Rathaus-Architekt, Wettbewerbsteilnehmer aus Berlin u. a. Lossow&-Kühne). Nur drei der für private Zwecke dienenden Häuser in Gablonz (zwei Bauten von Arch. Heinrich Lauterbach und das hier präsentierte Haus Kantor) sind der heute sogenannten funktionalistischen Moderne zuzurechnen: mit ihren klar ablesbaren Kubaturen der Baukörper mit glatten, verputzten Fassaden ohne ornamentalen Schmuck stellen sie beinahe Fremdkörper, im eher der konservativen Ausdrucksform der anderen Moderne zuzurechnenden Kontext, dar. Vom Vorraum aus erreichbare Praxisräume, eine spannungsvoll inszenierte und mit räumlichen Überraschungen erlebbare Erschließung, vom Eintreten bis zur Raumfolge der Wohnräume im Hauptgeschoss, das durch zwei kurze Stiegenläufe und die dadurch entstandenen drei Ebenen seine räumliche Dynamik erhält, inklusive Wegführung bis in die Schlafräume im obersten Geschoss. Insbesondere die Haupträume sind in gediegener Handwerksarbeit und edlen Materialien (Kirschholz, Brekzien-Marmor, Parkettböden mit Randlisenen) nobilitiert; die Möblierung (großteils raumbildende Einbauten) ist als integraler Bestandteil des Raumgedankens eingesetzt. Öffnungen für den Kontakt nach außen (Panoramafenster) sowie eine Terrasse mit Abgang als Zwischenzone erlauben ein zu allen Jahreszeiten gutes Verweben der Nutzungsabläufe zwischen Haus und Garten. Ein größeres Natur- und Erholungserlebnis bietet sich durch das Vis-à-Vis, den künstlichen See bei der Talsperre Mšeno.

Ein imaginierter Besuch – zurückversetzt in die Zeit der Entstehung – versucht, folgende, heute noch evozierte Eindrücke in Worte zu fassen: Durch die mittels Vordach geschützte, schwere Eingangstüre – wohlgemerkt an der Rückseite des Blocks in einer kleinen Gebäudeerweiterung gelegen – betritt ein:e Bewohner:in oder ein Gast den Vorraum in der Art eines römisches Atriums, das seine unmittelbare Wirkung kraft der durch Reduktion und Noblesse des Materials erzeugten Aura entfaltet. Am Ende des länglichen, niedrigen Raumes weisen kleine kubische Travertinblöcke im Bodenbereich subtil die Umlenkung des Weges; die eindringliche Monochromie, verstärkt durch das von oben, durch Mattglas gefiltert einfallende Tageslicht, schafft eine beinahe sakrale Aura. Der Spiegel an der Rückwand weist in die Unendlichkeit einer „anderen Welt“ (Jean Cocteau), durch die Propyläen (Travertin-Steinquader) hindurch geht es einige Stufen hinauf in eine tatsächliche Welt. Ankunft oben, im niedrigen Vorbereich zur Halle, unter der Galerie; rechts ein Sitzplatz mit „Onyxfenster“ als Beleuchtung, der Blick nach links eröffnet die Wahrnehmung des beeindruckenden Volumens der Halle.

Einfamilienhaus Holzner
Single-family house Holzner
1937
Hronow | Hronov
Jiřiho z Poděbrad 22
Heinrich Kulka
Foto | Photo: Volker Gressmann

Die vis-à-vis liegenden großen Fenster spenden nur Licht, eigentlich dienen sie als kleiner, gezähmter Garten im Zwischenraum der Verglasungen, wobei die äußere als Sichtschutz mattiert ist. Dass also de facto kein Blick ins Freie gegeben ist, stört keineswegs, im Gegenteil, es verstärkt das Gefühl, voll vom Raum umfangen zu sein. Die rundum in glatter, großflächiger Art angebrachte, politierte und raumhohe Pappelholzverkleidung vermittelt den bemerkenswerten Eindruck, man befände sich in einem begehbaren Möbel mit allerhand feinen Angeboten rundum: Kamin an der Stirnseite, in die Wand als Großbild eingelassene, wertvolle Seidenarbeit gegenüber, eine städtisch anmutende Bar, deren verspiegelte Rückwand eine Raumerweiterung vortäuscht, die glatte, weiße, Plafond Fläche liegt auf den als Architraven betonten Unterzügen und überspannt in beruhigender Art den Raum. Tatsächlich raumerweiternd wirken die Öffnungen zur Galerie. Eine geradlinige, zweiläufige Treppe mit merklich bequemer Steighöhe führt in das privatere Galeriegeschoss. Zum Großvolumen gerichtet Bibliothek und Sitznische als ruhige Rückzugsorte, von denen aus das Geschehen in der Halle aus sicherer Distanz erlebbar bleibt. Am anderen Ende der Galerie eine dreigliedrige Raumsequenz: Geradeaus die querliegende Veranda, einzig größerer, an den Bestand angefügter Bauteil, rechts das Speisezimmer als symmetrische Achteckform in den zuvor bestehenden Hauserker eingepasst, links Gästezimmer, die drei von der Verteilzone in die einzelnen Räumen führenden Türen sind raumhoch ausgeführt, eine vereinheitlichende Großzügigkeit, obwohl hinter der Tür zum Herrenzimmer mit Nasszelle ein niedrigerer Zugang versteckt ist.

Ausstattung

Die gesamte Ausstattung mit Einzelmöbeln folgt großteils dem von Loos bekannten Repertoire existierender Stücke (Sessel, Tische, Fauteuils, Rohrstühle etc.), wenn auch mit leichten Abänderungen. Für den reibungslosen Ablauf des Wohn- und Repräsentationsgeschehens ist neben einem Speisenlift eine eiserne, gefinkelt in die Substanz eingeschobene Nebentreppe für das Personal eingebaut. Sie verbindet diskret von der Waschküche im Souterrain den Vorraum, die Küche mit Speisezimmer und Galerie sowie dem Schlafgeschoss etc., die über diesen internen vertikalen Weg direkt erreichbar sind. Die im Obergeschoss liegenden Schlafräume haben durchwegs privat-intimen Charakter: vom Erschließungsgang öffnet sich eine Tür in das allgemeine Stiegenhaus, die beim Öffnen einen ungewöhnlichen Kontrast zwischen dem ca. zehn Jahre älteren Wohnbau und der darin verschachtelten „Wohnung“ sichtbar werden lässt. Konstruktiv ist dem Ganzen eine ebenso große Meisterschaft abzulesen. Das in Pilsen ansässige, schon lange für Loos unter der Beteiligung von Kulka tätige Bauunternehmen Kapsa & Müller – für František Müller wurde sein eigenes Haus in Prag errichtet, an dem Kulka maßgeblich beteiligt gewesen sein muss – hat mittels unspektakulärer Maßnahmen diese Raumkomposition möglich gemacht.

KAWAFAG-Eigenheim KAWAFAG-Weekendhouse 1930–31 II. Internationale Hygiene-Ausstellung Dresden II. International Hygiene Exhibition Dresden Heinrich Kulka 4 Einfamilienhaus Kantor Single-family house Kantor 1933–34 Gablonz an der Neiße | Jablonec nad Nisou Palackého ul. 26 Heinrich Kulka Fotos | Photos: Archiv Adolph Stiller 2B 5 

Eines der schwierigsten Unterfangen war die Absenkung des Erdgeschosses um nahezu einen Meter im Bereich der Halle, um für letztere dort die gewünschte Raumhöhe zu erzielen und eine Galerie unterzubringen. Das räumliche Ensemble steht – mit all seinen Unterschieden zu ihnen – in einer Reihe der besten Beispiele ähnlicher gehobener Wohnarchitekturen bzw. Häuser der europäischen Zwischenkriegszeit – ohne diese einem unzulässigen Vergleich zu unterziehen – wie Corbusier’s Villa Savoy, Pierre Chareau’s maison de verre in Paris, Mies’ Villa Tugendhat oder Josef Frank’s Villa Beer oder eines der von Josef Hoffmann durchgestalteten Häuser in Wien, die mittlerweile als sogenannte Ikonen des Wohnens gelten. Die Stadt Pilsen hat das Werk vorbildlich restauriert, als Außenstelle wird es von der Galerie Westböhmens in Pilsen verwaltet.



Podiumsdiskussion mit Enkelsohn
Am 15. September findet um 17:00 Uhr im Ausstellungszentrum im Ringturm (Schottenring 30 / 1010 Wien) eine Podiumsveranstaltung zum Thema „Umgang mit dem Werk von Heinrich Kulka“ statt. Am Podium vertreten sind Arch. Hermann Czech (Wien), Arch. Prof. Ruggero Tropeano (Zürich), MgA. Jakub Chuchlík (Vizebürgermeister von Jablonec, Tschechische Republik), Stephan Templ (Prag/Wien) sowie Ira Bing (Kulka estate, Auckland, Neuseeland), der Enkelsohn von Heinrich Kulka. Die Diskussion wird moderiert von Ausstellungskurator Prof. Adolph Stiller. Anmeldungen zur Podiumsdiskussion bitte per E-Mail an info@airt.at – Eintritt frei!

Exklusive Führungen
Am 30. September und 9. Oktober lädt der Wiener Städtische Versicherungsverein zu Exklusivführungen durch die Ausstellung mit Kurator Stiller. Die Führungen beginnen jeweils um 17:30 Uhr, Treffpunkt ist das Ausstellungszentrum im Ringturm. Anmeldungen zu den Führungen bitte per E-Mail an info@airt.at – Eintritt frei!

Heinrich Kulka (1900 – 1971)
Loos-Schüler und Nachfolger
8. Juli 2025 – 7. November 2025
Ausstellungszentrum im Ringturm
Schottenring 30, 1011 Wien

Heinrich Kulka – #AIRT