Gespräch zwischen Christoph Hochhäusler und Angela Schanelec DER TRAUMHAFTE WEG (2017)


Christoph Hochhäusler: In vielen deiner Filme spielen die Schauplätze selbst eine Hauptrolle – „Plätze in Städten”, „Marseille”, „Orly” tragen den Ort auch im Titel. Der neue Film heißt „Der traumhafte Weg”. Ist das programmatisch?

Angela Schanelec: Die Orte haben diesmal eher die Funktion, einen Weg zu beschreiben, es sind Stationen, was noch spürbarer dadurch wird, dass es so viele Stationen sind und dieser Weg über einen sehr langen Zeitraum erzählt wird.

Christoph Hochhäusler: Viele Filme, gerade wenn sie sich an biografischen Erzählungen versuchen über einen langen Zeitraum, folgen einer art „Zentralperspektive”: Ein wichtiges Ereignis bahnt sich über viele Szenen an. Einer solchen Logik folgst du nicht. Was hält deinen Film zusammen?

Angela Schanelec: Ich denke, die Personen. und genauer vielleicht: Die Körper.

Christoph Hochhäusler: Wie entsteht eine Figur bei dir? Charaktere zu schreiben, das ist das eine, aber Film werden sie erst, wenn der Körper gefunden ist?

Angela Schanelec: Es gibt ein bestimmtes Wesen, das ich vor Augen habe, das beschreibt es eigentlich besser, weil für mich in dem Begriff Wesen etwas nicht Erfundenes liegt, eher etwas, das bereits da ist. Wie jemand, der dir gegenübersteht, und du versuchst, etwas zu erkennen von ihm.

Christoph Hochhäusler: Du hast dieses Mal mit vielen Laien gearbeitet oder mit gefunden Leuten oder wie man sie nennen soll.

Angela Schanelec: Ja, also jedenfalls mit Darstellern, die vorher nicht gedreht haben oder vorher auch gar nicht gespielt haben.

Christoph Hochhäusler: Und ist das dann eine Suche nach einer Vorstellung oder sind das Begegnungen mit Unbekannten sozusagen?

Angela Schanelec: Ja, die Suche nach einer Vorstellung, nach einem Bild. Bei der Figur des Kenneth zum Beispiel wurde mir angesichts der Obdachlosen, denen ich jeden Tag begegne, klar, dass dieses Bild nicht mit Authentizität zu tun hat, sondern viel mehr mit Abstraktion. und dann habe ich Thorbjörn Björnsson gesehen, der ja Sänger ist und auf der Bühne steht, und dann wusste ich… also ich wusste, dass es nun diese Figur gibt, diese Verkörperung meiner Vorstellung.

Christoph Hochhäusler: In der Zusammenarbeit mit der Casterin Ulrike Mülller, was konntest du ihr denn sagen?

Angela Schanelec: Zum Beispiel bei Theres, der einen der beiden weiblichen Hauptfiguren, habe ich ihr gesagt, sie soll unter Tänzern gucken. und Miriam Jakob hat sie so auch gefunden. Maren Eggert wiederum wollte ich besetzen, weil ich beim Drehen Erfahrungen mit ihr gemacht habe, die zu einem bestimmten Bild von ihr als Mensch geführt haben…
Ich glaube, es hat mit Zuneigung zu tun, mit meiner Zuneigung zu den Figuren in meinen Drehbüchern, und ich spüre, wenn der Darsteller mir diese Zuneigung ermöglicht. Es sind Dinge, die er nicht verändern kann, sein Körper, seine Stimme, wie er sich bewegt, die Linien seines Gesichts, jenseits von einem momentanen Ausdruck. Dieses Interesse für den Körper, denke ich, das hat mit der Suche nach etwas Unbewusstem zu tun. Was kann ich zeigen von einem Menschen, wenn ich dieses Unbewusste, was sich für mich ausdrückt im Zwangsläufigem, Notwendigem, unausweichlichen, sichtbar machen möchte? Es äußert sich in der Bewegung des Körpers.

Christoph Hochhäusler: Was ich interessant finde ist: durch die Auffassung, dass das Gesicht nichts meinen darf, geht es um ein Zeigen. Und zugleich ist das Zeigen aber immer auch allergorisch. Zum Beispiel wenn ich diese Nahaufnahme in deinem Film auf die Schuhe sehe, dann ist das ja kein Interesse für Schuhe…

Angela Schanelec: Was sich vermittelt über die Schuhe, sind die Füße, die gehen oder die stehen. Wenn ich erzählen will, dass jemand steht oder geht, und ich zeige nur seine Füße, dann weist das Bild zwar auf die Person hin, aber auch über sie hinaus.

Christoph Hochhäusler: Das ist eigentlich eine Versprachlichung. Und das ist etwas Neues bei dir, oder? Die Plansequenz, die ja deine anderen Filme sehr bestimmt, ist ja eher anti-narrativ, also ein Zustand, der sich entfaltet, aber der ja vielleicht erst einmal ist.

Angela Schanelec: Ja, es ging dabei aber auch immer um eine Zwangsläufigkeit, einfach durch die Wahrnehmung der vergehenden Zeit, auf die ich keinen Einfluss nehme, indem ich nicht schneide. und dieses Nicht-Einflussnehmen, das taucht jetzt auch wieder auf, ich kann auf das Spiel der Darsteller Einfluss nehmen, aber nicht auf ihren Körper. Die Schuhe sind ohne Ausdruck, ich kann die Schuhe nicht inszenieren. Jetzt findet die Inszenierung mit dem Ausschnitt und dem aufeinanderfolgen der Einstellungen statt, und durch die Ausschnitthaftigkeit war ich gezwungen, deutlich mehr Einstellungen zu machen. und ja, das war neu für mich.

Christoph Hochhäusler: Es gibt ein ganz interessantes Paradox, oder vielleicht ist es auch kein Paradox für dich, aber zwischen einerseits der Entwicklung einer Sprachlichkeit und einer Erzählfreude oder Erzählstreben und zugleich einer Geschichte, die überhaupt keine Summe ziehen will und die voller Rätsel ist.

Angela Schanelec: Es ist eine andere Sprache, aber was ich erzählen will… im Grunde ist es nur ein anderer Weg, mich mit dem zu befassen, was ich nicht lösen kann, ich kann es nicht zusammenfassen oder aufklären, das ist nicht mein thema.

Christoph Hochhäusler: Du hast einmal gesagt, dein Thema sei Schönheit. Oder dein Streben danach. Kannst du versuchen das zu beschreiben, was ist Schönheit?

Angela Schanelec: Ich denke, Schönheit ist für mich Trost. Wenn ich die Dinge ernst nehme, dann entwickelt sich die Erzählung ohne Trost. und dieser Konsequenz, mit der eins aufs andere folgt bis zum Ende, der kann ich nicht ausweichen. aber um diesem Ende nicht auszuweichen, brauche ich eine gewisse Schönheit der Form, ich kann das gar nicht anders denken.

Christoph Hochhäusler: Zum Beispiel die erste Einstellung gefällt mir so sehr, mit diesen Haaren im Wind. Warum tröstet uns das? Das ist natürlich unbeantwortbar auf eine Art.

Angela Schanelec: Wenn ich nicht in der Lage wäre, Dinge oder Menschen schön zu finden, und für mich daraus folgen würde, es muss einen Grund für diese Schönheit geben, hätte ich gar nicht das Bedürfnis, etwas zu erzählen. Dieses Schöne ist für mich verbunden mit Wahrheit, es ist etwas, woran ich glaube, was ich für wahr halte, was mir weiter hilft. Es kann auch eine Geste sein, ein Satz… Ich hatte zum Beispiel in der Zeit, in der ich begonnen habe, über den film nachzudenken, “traurige tropen” gelesen, was mich auch beeinflusst hat, meinen Blick, meine Wahrnehmung, jedenfalls bin ich dabei auf einen Satz von Claude LéviStrauss gestoßen, der mich dann weiter beschäftigt hat: „ …nämlich zu verstehen, dass der Mensch ein Lebewesen und damit ein leidendes Wesen ist, noch bevor er ein denkendes Wesen ist.“ und man kann sagen, dass ich eine Form dafür finden wollte.

Meldung: Piffl Medien