Interview „Film: The Magazine“ HANNAH - EIN BUDDHISTISCHER WEG ZUR FREIHEIT (2014)


»Unser Film sollte sich von den anderen buddhistischen Dokumentarfilmen abheben. Wir wollten einen Film schaffen, der nicht nur die Kraft und Freiheit von Hannahs und Oles Arbeit ausdrückt, sondern auch die tiefe Bedeutung eines Lebens, das sich in der heutigen westlichen Gesellschaft ganz den Lehren des Buddhismus widmet. Um ein lebendiges Dokument der mehr als 35-jährigen Aktivität von Hannah und Ole zu schaffen, sind wir nach Indien, Nepal, den fernen Osten und Europa gereist, haben Interviews geführt und Szenen filmisch nachgestellt. Aber vor allem hatten wir den Wunsch, die Inspiration einer Frau zu vermitteln, die in ihrer Art zu leben und in dem, was sie in ihrem Leben erreicht hat, einzigartig war.«

Marta György-Kessler und Adam Penny

 

2009 begannen Marta György Kessler und Adam Penny, einen Film darüber zu drehen, wie Hannah und ihr Mann Ole –wilde Kinder der sechziger Jahre– zu den wichtigsten Wegbereitern des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert wurden. Anfangs ahnten sie nicht, wie weit sie für dieses Projekt würden gehen müssen.

Marta: „Neun Monate“, hat er gesagt. (Lacht.)

Adam: Stimmt, so lange, dachte ich, würde es dauern, den Dokumentarfilm zu machen. Naja…so dachte ich, ein paar Interviews… ein bisschen schneiden… Wie habe ich mich getäuscht! Letztlich dauerte es fünf Jahre!

Warum habt ihr„Hannah“ gemacht’?

Marta: Naja, Hannah war eine außergewöhnliche Frau, die durch ihr Verständnis vom Buddhismus das Leben Tausender Menschen weltweit verändert hat. Ich stand Hannah nah und bin viele Jahre mit ihr gereist. Wir haben also viel Zeit miteinander verbracht, besonders während ihrer letzten Monate.

Nach ihrem Tod, 2007, wurde ich immer wieder gebeten, Vorträge über sie zu halten. Ich war damals schon seit einiger Zeit buddhistische Lehrerin und mir wurde klar, dass es ein großes Interesse an ihr als Mensch gab. Sie war so einzigartig. Also habe ich beschlossen, ihre inspirierende Lebensgeschichte anderen mitzuteilen.

Adam: Marta kam zu mir und fragte, wie man einen Dokumentarfilm macht. Da hatte sie noch nicht entschieden, ob es eine Dokumentarfilm oder ein Buch werden sollte. Ich hatte bereits seit neun Jahren eine Produktionsfirma in London. Ich war sofort begeistert. Damals war ich vier Jahre praktizierender Buddhist und hielt das Projekt für eine unglaubliche Chance, tiefer in dieses Thema einzutauchen. Ich hatte schon einige Fernsehdokus gemacht, aber noch nichts in dieser Größenordnung. Eine völlig neue Erfahrung. Ich erinnere mich, einige Jahre zuvor hatte ein erfahrener Filmemacher zu mir gesagt: „Egal, was du tust – mach einen Film, der dein Leben verändert. Selbst wenn du damit nicht erfolgreich bist, hast du zumindest dein Leben verändert.“ Ein großartiger Zugang finde ich. Also haben wir angefangen.

Warum war Hannah Nydahl so einzigartig?

Marta: Aus vielen Gründen. Sie lebte sehr einfach und war ausgesprochen bescheiden. Hannah war eine buddhistische Gelehrte, eine hochverwirklichte Praktizierende und eine autorisierte Lehrerin, ein Lama. Jeder – wirklich jeder Lama, jeder hohe Lehrer, mit dem wir geredet haben – sprach davon, wie Hannah durch ihre Art zu leben die buddhistischen Lehren verkörperte. Das ist nicht so leicht wie es klingt. Sie und Ole (ihr Mann) haben es geschafft, das grundlegende Wesen der buddhistischen Belehrungen herauszufiltern und Menschen, in allen besuchten Ländern näher zu bringen – dadurch haben sie Tausende inspiriert. Und sie reisten nicht an die einfachen, bequemen Orte. Sie waren in Polen und Russland, als der Kommunismus zusammenbrach, sie wurden in Südamerika von Guerillas entführt. Sie gingen an wilde Orte, wo sie etwas verändern wollten.

So hat Hannah tausende Frauen auf der ganzen Welt inspiriert. Sie war vielen von uns nicht nur eine unterstützende Freundin, sondern arbeitete auch hart und war ganz ehrlich einfach die coolste Frau, die ich je getroffen habe. Stark, ausdauernd und dabei trotzdem weiblich. Außerdem verbrachte sie als Frau sehr viel Zeit in einer Männerwelt. Die Welt des tibetischen Buddhismus ist sehr durch Männer dominiert. Doch sie schaffte es, das Vertrauen und die Achtung der Lamas zu gewinnen.

Adam: Ich denke, zum einen war es Hannahs Geschick als Übersetzerin der tibetischen Belehrungen. Auch das klingt wieder so leicht, doch sprechen wir hier von tiefgreifenden Texten über Meditationspraktiken und unsere Wahrnehmung. Davon hatte sie ein so tiefes Verständnis.

Marta: Selbst Hannahs Tod war außergewöhnlich. Ich erinnere mich, wie ihr Körper vom Krebs zerfressen war, aber dank ihrer buddhistischen Praxis blieb sie bemerkenswert bewusst. Es war faszinierend zu sehen, wozu ein starker Geist fähig ist.

Wie habt ihr Hannahs Leben zu einem Film gemacht?

Marta: Wir wollten einfach etwas ganz anderes als die üblichen buddhistischen Dokumentarfilme, die wir gese- hen hatten; nicht allzu fromm oder heilig. Wir wollten die Kraft und Freiheit zeigen, die dieser Buddhismus gibt.

Adam: Genau. Wir wollten keine netten Geschichten, sondern dem Zuschauer einen wirklichen Eindruck ihrer Reise geben – ein Gefühl dafür, wer Hannah war und welcher unglaublichen Welt sie angehörte. Hannah war ein wildes Kind der Sechziger. Zum Teil wollten wir auch zeigen, was aus dieser Wildheit, diesem Idealismus jener Menschen geworden ist. 13

Wie hat es sich verstärkt, wie hat es sich über die nächsten 50 Jahre verändert?

Marta: Wir haben ein Jahr recherchiert: Filme gesehen, Bücher gelesen und Aufnahmen gehört, die wir von Hannah gefunden haben. Wir haben viel diskutiert.

Adam: Wir mussten auch sicherstellen, dass wir alle Geschichten richtig wiedergaben. Zusätzlich zu ihrer Persönlichkeit gab es so viele weitere Ebenen in ihrem Leben; 60 Jahre und mehrere Kontinente. Was geschah in der Welt? Was im buddhistischen Kontext? Und was geschah mit dem Frauenbild, und was betraf Hannah direkt? Wir haben viel an der Geschichte gearbeitet, bevor wir überhaupt zu filmen begannen.

Wir hatten diese alles verbindende, übergeordnete Matrix. Dann kam die Frage, wen wir interviewen und was wir zeigen wollten, um den Stoff für unseren Film zusammenzustellen. Und dann hatte Marta die Idee, dass Hannah im Film ihre eigene Geschichte erzählen sollte. Das hielt ich einfach für eine fantastische Idee.

Marta: Das war noch bevor „Senna“ mit etwas Ähnlichem herauskam. Wir wussten, dass es viele Aufnahmen von Hannah gab. Es lag also im Bereich des Möglichen. Das Ganze erwies sich als Fluch und Segen gleichermaßen. Ihrer Stimme Gehör zu verleihen, war wundervoll, aber das machte es sehr schwer den Film objektiv wirken zu lassen. Immer wieder scheint ihre Stimme, ihre Erfahrung durch.

Adam: Wir haben schließlich zweieinhalb Jahre lang in Kathmandu, Delhi, Darjeeling, Sonada, Hong Kong, Deutschland und natürlich Dänemark, ihrer Heimat, gefilmt und dabei etwa 60 Interviews geführt: das kürzeste dauerte etwa 20 Minuten, das längste zwei Tage.

Wie sah euer Team aus?

Adam: Wir hatten das Glück, mit Guy Nisbett, einem wundervollen Kameramann, zu arbeiten, mit dem ich schon viele Jahre lang zusammengearbeitet hatte. Er hatte bereits viel Erfahrung mit Musikvideos und Modefotografie. Das verlieh dem Film eine unglaublich reiche Bildwirkung, die es dem Zuschauer ermöglicht, ganz in die Reise einzutauchen.

Marta: Dann waren da noch unsere zwei Cutter: den fantastischen australischen Cutter, Hamish Lyons, der 30 bis 40 Wochen lang den Film aus dem Gröbsten herausbrachte; sowie in den letzten 15 Wochen den sehr erfahrenen Cutter Simon Barker, der während dieser Zeit für einen Oskar nominiert wurde. Es war beeindruckend zu sehen, wie sein Geist die Geschichte zusammensetzte.

Adam: Des weiteren leisteten die Komponisten Christ Hill und Tom Hickox phänomenale Arbeit. Ihre Musik versetzte den Film in eine andere Dimension.

Marta: Und zusätzlich hatten wir enorme Unterstützung aus der ganzen Welt. Von Freunden und Buddhisten, die Hannah gekannt hatten und es für wichtig hielten, diese Geschichte zu erzählen. Das hat uns wirklich angetrieben. Sie haben in so vielerlei Weise geholfen: Übersetzen, Transkribieren; sie fanden Fotos, Filmmaterial, Audioaufnahmen und halfen natürlich mit der Finanzierung des Projekts. Und nicht zuletzt erhielten wir unglaubliche Unterstützung von den tibetischen Lamas und natürlich von Lama Ole, Hannahs Mann, der unglaublich großzügig seine Zeit und Unterstützung anbot.

Adam: Die wunderbarste Überraschung war die Kickstarter Kampagne, als letzte große Anstrengung, mit der wir innerhalb von fünf Wochen 54000 Dollar zusammenbekamen. Wirklich atemberaubend. Die Großzügigkeit der Menschen war unglaublich bewegend.

Was würdet ihr anderen raten, die einen ersten Dokumentarfilm machen?

Marta: Als Neuling unter den Regisseuren würde ich sagen, vertraut denen mit Erfahrung, aber bleibt gleichzeitig bei der eigenen Vision und folgt ihr. Möglicherweise erschafft man so etwas gänzlich Neues, was noch nie zuvor gemacht worden ist!

Adam: Es ist wirklich ein Marathon. Wenn man das fünf Jahre lang macht, muss man sich darauf einstellen, sich zu verlaufen und doch immer, immer wieder einen Weg zu finden. Es gibt dieses großartige Zitat aus einem Dokumentarfilm über Pixar, der vor einigen Jahren herauskam: „Der Schmerz ist vorübergehend, aber der Film bleibt für immer.“ Und ich würde sagen, das war‘s: „Einfach weitermachen, Leute, weitermachen.“ Jetzt mag es vielleicht weh tun, aber wenn es einmal fertig ist… dann ist es genau das. Genau das. Und nicht nur jetzt, sondern für die nächsten 30, 40, 50 Jahre oder wie lange auch immer der Film gezeigt werden wird.

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