Gespräch mit Drehbuchautorin Lea Schmidbauer OSTWIND - ARIS ANKUNFT (2019)


Sie sind von Anfang an mit dabei bei OSTWIND, haben alle Drehbücher und die Romane geschrieben. Was macht den ureigenen Reiz der Marke aus, was macht den Stoff so langlebig?

Der Zauber von OSTWIND liegt darin, dass wir nie versucht haben, uns bei jemandem anzubiedern. Am Anfang stand keine Marketingidee, wir wollten keine Zielgruppe mit einem Produkt bedienen, das auf sie zugeschnitten ist. Als wir vor acht Jahren anfingen, mit der Idee von OSTWIND zu spielen, haben wir nie überlegt: Was will der Markt, was gefällt den Mädchen? Meine damalige Ko-Autorin, Kristina Henn, und ich haben für OSTWIND nie die kleine Welt am Ponyhof mit Mädchen in rosa Leggins gesehen, sondern immer die ganz große Emotion: Ich und mein Pferd! Natürlich ist auch das ein Klischee. Aber wir wollten es so wahrhaftig und echt erzählen, wie wir konnten, weil wir uns dem Traum verpflichtet fühlten. Wir wollten etwas machen, das wir „barfüßig“ nannten, eigentlich etwas eher Unkommerzielles, etwas Geerdetes.

Vom Erfolg waren Sie also eher überrascht?

Es hat uns überrollt und umgehauen. OSTWIND bietet sich rückblickend vielleicht dafür an, war aber nie als Franchise konzipiert. Wir haben uns in die Figuren verliebt und in die Idee. Deshalb habe ich in jeden neuen Teil immer alles gepackt, was ich hatte. Ich war nach jedem Film immer überzeugt, dass es der letzte sein würde. Es gibt kein strategisches Kalkül. Wir haben OSTWIND immer ernst genommen. Deshalb stehen wir auch zur großen Emotion und zum Pathos. Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Bestandteil.

Als Sie angefangen haben, war das Genre des Pferdefilms in Deutschland im Grunde nicht existent. Sie haben ein Tor geöffnet, durch das danach auch viele andere geritten sind.

Als SamFilm bei uns anklopfte und fragte, ob wir nicht Lust auf einen Pferdefilm hätten, haben wir zuerst einmal den Kopf geschüttelt. Klar, auch wir hatten sofort die typischen Bilder im Kopf, und so etwas wollten wir nicht machen. Aber dann kamen auch nach und nach andere Bilder, und daraus entstand die Grundidee. Wenn man SamFilm eine Idee pitcht, dann pitcht man keine Geschichte, man präsentiert eine Emotion. Das kam sofort an, wir hatten gleich einen gemeinsamen Draht. Ich kann mir nicht vorstellen, mit einer anderen Produktionsfirma einen so unverändert guten Rapport zu haben. Während der gesamten acht Jahre, die wir OSTWIND machen, sind sie immer meine engsten und besten Komplizen. Es ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Später kam noch Katja von Garnier dazu und jetzt Theresa von Eltz, aber die Keimzelle waren immer wir vier, Ewa Karlström, Andreas Ulmke-Smeaton und Bernd Schiller vom SamFilm und ich.

Wenn Sie sagen, dass OSTWIND kein typischer Pferdefilm ist, dann hängt das sicherlich damit zusammen, dass Sie die Prämisse nutzen, um von Selbstverwirklichung, Identität und Freiheit zu erzählen.

Das ist ja der Traum. Darum geht es beim Reiten. Ich reite ja auch privat seit Mädchentagen. Aber ich war immer mehr ein Tomboy, ein Typ, wie es jetzt Ari ist, und meine Sehnsucht war es, ein Indianer zu sein, mich frei zu fühlen, ohne Sattel zu reiten, ohne Eltern und Helm. Und ich glaube, das ist im Grunde die „OSTWIND-DNA“, wie Ewa es nennt. Freiheit von Zwängen, Freiheit von Rollen, Freiheit von Korsetten. Bei Mika war es so, dass sie sich in eine Rolle gedrängt fühlte, so sein zu sollen, wie ihre Eltern das wollen. Und bei Ari geht es jetzt ganz stark und primär um Selbstfindung. Sie muss lernen, dass es nicht verkehrt ist, wie sie ist, wer sie ist. In beiden Fällen ist das Pferd ein Spiegel, ein Katalysator, eine Größe, die den Mädchen zu erkennen hilft, was ihr Weg ist.

Was die beiden ansonsten doch sehr unterschiedlichen Mädchen – die Schläferin und die Kriegerin, wie es in OSTWIND heißt – eint, ist ihre rebellische Ader.

Wenn ich schreibe, habe ich keinen Fahrplan, keine Agenda. Ich setze mich nicht hin und sage: Ich denke mir jetzt eine Rebellin aus. Die Figuren entstehen wie von selbst in meiner Fantasie und entwickeln sich beim Schreiben. Sie folgen einem inneren Bedürfnis, das man als Geschichtenerzähler ja hat. Wie muss die Figur sein, damit sie mich interessiert und mein Herz berührt? Wenn ich mir das Ergebnis hinterher anschaue, bin ich selbst verblüfft, wie eindeutig meine Vorlieben sind. Da kommen dann im Zusammenhang mit Pferden offenbar unangepasste Mädchen mit großem Freiheitsdrang heraus. Die Verbindung mit dem Pferd ist wichtig, weil Pferde so fundamental anders sind als Menschen. Pferde sind Beutetiere, Menschen sind Jäger. Der Jäger reitet auf dem Beutetier. Aus dieser grundlegenden Situation entstehen Freundschaften, die ganz anders sind als übliche Freundschaften. Das ist wichtig für OSTWIND: Die Mädchen, die sich missverstanden und isoliert fühlen, treten dem Pferd ganz anders gegenüber, als es ihnen im Umgang mit Menschen möglich wäre. Das Pferd ermöglicht es ihnen, sich selbst zu entdecken und zu erkennen, dass sie ihre Probleme lösen können, wenn sie auf sich selbst vertrauen.

Und diese Intuition ist entscheidend?

Vor jeder neuen OSTWIND-Geschichte muss ich tief in mich gehen und erst einmal nach der Emotion suchen, die es braucht, um die Saga weiterzuerzählen. Ich bin jedes Mal aufs Neue fasziniert, dass es dann doch wie von selbst geschieht. Es ist für mich zwingend, dass die Geschichte dieser Figuren weitererzählt wird, weil sie noch nicht auserzählt ist, weil der Weg noch nicht zu Ende ist. Dass mir das ermöglicht wird, hat natürlich mit dem Erfolg der bisherigen Bücher und Filme zu tun. Dass die Geschichte aber tatsächlich weitergeht, hat andere Hintergründe. Es hat eine Zwangsläufigkeit, OSTWIND ist mir ein Anliegen. Und das ist gut so. Wenn es krampfig werden würde, könnte ich nicht weitermachen.

Die Aufrichtigkeit der Geschichten ermöglicht es auch Jungs, sich in OSTWIND wiederzufinden?

Das würde ich mir wünschen. Wir wollten ja gerade weg von den ganzen einengenden Mädchenklischees, die man sonst mit Pferdefilmen assoziiert. Ich finde, dass mit Ari nun eine Figur in den Mittelpunkt rückt, die Jungs mit ihrer wilden Art vielleicht sogar noch mehr ansprechen wird.

Welches Mädchen hatten Sie vor Augen, als Sie die Ari aus ARIS ANKUNFT erdachten?

Uns war klar, dass wir uns nach AUFBRUCH NACH ORA inhaltlich neu orientieren mussten. Mika als absolute Hauptfigur zu verlieren, tat mir in der Seele weh. Ich habe so viel mit ihr erlebt und durchgemacht. Sie ist Teil der DNA. Uns war klar, dass wir nur dann weitermachen würden, wenn wir eine zwingende Idee hätten, die dem Wesen der Reihe entspricht und einen neuen Akzent setzen würde. Ari war ein echtes Geschenk, eine starke neue Figur, die nur durch ihr Zusammenspiel mit Mika wirklich zu sich finden kann – die Kriegerin und die Schläferin.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Ich habe auf YouTube einen Clip gesehen über die Weltmeisterschaft im berittenen Bogenschießen. Das brachte mich auf die Idee: Die ältesten Darstellungen von Menschen und Pferden sind die berittenen Bogenschützen. So fügte sich das zusammen, weil ich auch gezielt nach einer neuen reiterlichen Disziplin gesucht habe, die man bei OSTWIND in den Fokus rücken könnte. Und weil in mir ja auch immer noch der alte Indianertraum schlummert, kam ich auf diesen kleinen Indianer. Das beschreibt Ari am besten. Sie ist eine Verwandte im Geiste von Mika, aber eben ein ganz anderer Typ von Mädchen. Ihre Art, mit Pferden umzugehen, entspricht mehr der Art, wie sich jedermann Pferden nähert. Weil sie eine Kriegerin ist, muss sie sich einbremsen, um die Pferde nicht zu ängstigen und mit ihnen kommunizieren zu können. Mika musste das nicht lernen, es steckte immer in ihr, sie hatte die Gabe. Ari muss erst lernen mit Pferden zu kommunizieren, sich auf sie einzulassen – und lernt auf diese Weise auch, ihre Wut und Aggression zu zügeln und zu kontrollieren.

Eine sehr schöne Figur.

Finde ich auch. Sie fasziniert mich. Ich muss sie selbst erst noch richtig kennenlernen. Darauf freue ich mich, da gibt es noch viel zu entdecken. Und ich bin froh, dass Mika immer noch da ist. Ihre Entwicklung ist toll, von der Suchenden hin zur Mentorin, die ihre Erfahrung teilen kann.

Eine neue Größe im OSTWIND-Universum ist auch die neue Regisseurin, Theresa von Eltz.

Ich bin erstaunt, wie anders als Katja sie ist. Katja ist wahnsinnig impulsiv, man konnte am besten mit ihr kommunizieren, wenn man über Stimmungen und Emotionen sprach. Sie nähert sich ihren Filmen einfach auf diese Weise, findet so ihre großartigen Bilder. Theresa ist dagegen viel aufgeräumter. Sie ist aber auch einfühlsam, interessiert sich für alle Charaktere, will wissen, wer sie sind, was in ihnen vorgeht, ist voller Fragen. Ich habe sie nicht beneidet: Sie musste ja nicht nur eine etablierte Filmreihe übernehmen und sich zu eigen machen, sondern sich auch noch mit einer Autorin arrangieren, die schon vier dieser Drehbücher geschrieben hat und die Welt von OSTWIND in- und auswendig kennt und deshalb alles immer besser weiß. Ich fand es toll, wie Theresa an die Sache ranging. Da gab es kein Konkurrenzdenken. Vielmehr hat sie mein Wissen angezapft, um sich so in den Stoff einarbeiten zu können, dass es ihr Film werden konnte. Sie hat sich alles erklären lassen, sie war neugierig, sie hatte Lust darauf. Ich bin sehr gespannt, wie ihr OSTWIND aussehen wird.

Sie freuen sich darauf, wie es weitergeht?

Es macht mir große Freude, mich in die Welt von OSTWIND zu versenken. Aber ich gestehe auch, dass es mir nicht immer leicht fällt. Diese Bücher verlangen mir viel ab, und ich stelle hohe Ansprüche an mich. Keiner weiß besser als ich, dass diese Geschichten immer eine Gratwanderung sind, bei der man viel falsch machen kann. Es geht um die ganz große Emotion, aber wenn man es übertreibt, wird es kitschig. Es muss viel auf dem Spiel stehen, aber es darf doch niemals schwer sein. Man muss humorvoll erzählen, aber es darf nicht albern werden. Die Mischung muss stimmen, und es ist eine Mischung, die in dieser Form nur bei OSTWIND funktionieren kann. Das ist harte Arbeit. Nichts ist schwerer als das Leichte. Da steckt unheimlich viel Mühe dahinter, darf aber nie so wirken. Ich bin sehr stolz, dass mir das bisher ganz gut gelungen ist. Und so soll es auch weiterhin sein. In dieser Welt steckt noch viel drin, das wir nicht erforscht haben.

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