VW-Musterfeststellungsklage: Alle wichtigen Infos zur größten Sammelklage Deutschlands


Der Prozess um die Musterfeststellungsklage gegen VW startete am 30. September 2019. Ein finales Urteil wird frühestens im Jahr 2023 erwartet. Individuelle Klagen sind zu 95 Prozent erfolgreich und dauern im Schnitt acht Monate. Mehr als 400.000 Verbraucher haben sich in die Musterfeststellungsklage (MFK) gegen Volkswagen eingeschrieben. Das Verbraucherportal rightnow.eu beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.

Warum gibt es die Musterfeststellungsklage?

Volkswagen hat in den Jahren 2009 bis 2015 in mindestens 2,4 Millionen Diesel-Fahrzeugen in Deutschland Abschalteinrichtungen eingebaut, um die Abgaswerte der PKW in Testsituationen zu beeinflussen und vorgegebene Grenzwerte einhalten zu können. “Dieses Vorgehen war illegal und ein Betrug an sämtlichen Käufern von betroffenen Fahrzeugen”, kommentiert Alexander Voigt, Rechtsanwalt von rightnow.eu und führt fort:

“Die Halter der Fahrzeuge sind davon ausgegangen, dass ihre Fahrzeuge die EU-Umweltrichtlinien erfüllen. Dies war nicht der Fall. Zudem haben die Fahrzeuge nach Bekanntwerden des Skandals massiv an Wert verloren. Deshalb haben betroffene Personen die Möglichkeit, einen Schadensersatz von Volkswagen einzufordern. Dafür mussten sie bislang allerdings einen Anwalt mit der Betreuung ihrer Rechte beauftragen. Für Fahrzeughalter ohne Rechtschutzversicherung ging dies mit nicht abschätzbaren Kosten für Gerichte und Sachverständige einher.”

Um Verbrauchern ohne Rechtschutzversicherung die Möglichkeit zu geben, ihren Rechtsanspruch kostenfrei zu prüfen, hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz im Jahr 2018 das Instrument der Musterfeststellungsklage geschaffen. Die Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG wurde am 01.11.2018 eingereicht. Seitdem konnten sich betroffene Fahrzeughalter in das Klageregister eintragen. Bislang haben sich mehr als 400.000 Verbraucher darin versammelt.

Was wird im Rahmen des Verfahrens geregelt?

In der Musterfeststellungsklage wird geklärt, ob die vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeughalter einen Anspruch auf eine Entschädigung durch den Wolfsburger Konzern haben. Sollte dies so entschieden werden, müssen sämtliche Kläger ihren individuellen Anspruch anschließend noch einmal einzeln gerichtlich durchsetzen.

Wann wird ein Urteil erwartet?

Am 30. September starten die mündlichen Verhandlungen der Musterfeststellungsklage gegen VW am Oberlandesgericht Braunschweig. Ein erstes Urteil wird dort frühestens 2020 erwartet. Anschließend wird die Verliererseite den Prozess sehr sicher vor die nächste Instanz – den Bundesgerichtshof in Karlsruhe (BGH) – bringen.

Auch der Europäische Gerichtshof könnte danach mit dem Fall bedacht werden. Experten erwarten daher eine Prozessdauer von vier bis fünf Jahren. Danach muss jeder der über 400.000 Verbraucher seine individuelle Entschädigungssumme einzeln durchsetzen. “Aufgrund der Fülle an Einzelklagen wird das zu einer Überlastung der deutschen Justiz führen und je nach Fall weitere Jahre in Anspruch nehmen”, kommentiert Alexander Voigt.

Welches Ergebnis wird erwartet?

Das Oberlandesgericht Braunschweig wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu Gunsten von VW entscheiden. Das OLG Braunschweig hat bereits eine Klage gegen VW abgewiesen. Auffällig ist zudem, dass auch das Landgericht Braunschweig noch keiner einzigen Klage gegen VW stattgegeben hat. Das ist eine absolute Ausnahme in Deutschland.

“Dass die Braunschweiger Gerichte im Abgasskandal stets gegen die Klägerseite urteilen, kann durchaus damit zu tun haben, dass VW seinen Gerichtsstand dort hat. Im Rahmen des Abgasskandals haben betroffene Verbraucher nämlich die Möglichkeit, die Klage an ihrem eigenen Wohnort oder dem Sitz der Klägerseite einzureichen. Würden die Braunschweiger Gerichte nun stets für die Verbraucher entscheiden, würden wahrscheinlich sämtliche betroffenen Fahrzeughalter aus ganz Europa dorthin ziehen. Daher gehen wir davon aus, dass das Braunschweiger Gericht die Prozesse bewusst abblockt, um nicht in VW-Verfahren zu ersticken”, erklärt Alexander Voigt.

Am Bundesgerichtshof in Karlsruhe könnte das Urteil anschließend anders ausfallen. Zwar gibt es bislang noch kein BGH-Urteil, doch die deutliche Mehrheit der deutschen Gerichte entscheidet für die Verbraucher. In der Regel erhalten die betroffenen Fahrzeughalter die Möglichkeit, ihren PKW zurückzugeben, um dafür eine finanzielle Entschädigung zu erhalten. Diese setzt sich aus dem ursprünglichen Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung zusammen. Letztere ist von der jeweiligen Laufleistung des betroffenen Fahrzeuges abhängig. Teilweise sprechen die Gerichte den Verbrauchern auch die Auszahlung von Deliktzinsen in Höhe von 4 Prozent ab Kaufpreiszahlung zu.

Was gibt es für Alternativen für betroffene Verbraucher?

“Mittlerweile ist die Musterfeststellungsklage gar keine sinnvolle Option mehr für Verbraucher”, sagt Alexander Voigt. “Dadurch, dass sich der Prozess mehrere Jahre lang hinzieht, verlieren die Fahrzeuge weiter an Wert. Am Ende könnten die Fahrzeughalter aufgrund der fälligen Nutzungsentschädigung also selbst im Falle eines positiven Urteils leer ausgehen.

Deshalb gibt es Prozessfinanzierer, die auch Verbrauchern ohne Rechtsschutzversicherung die Möglichkeit bieten, ihre Rechte risikofrei durchzusetzen. Diese strecken die Prozesskosten vor und beziehen dafür ausschließlich im Erfolgsfall eine Provision, die von der Entschädigungssumme abhängt. Auch wir von rightnow.eu arbeiten diesbezüglich mit der ROLAND Prozessfinanz AG zusammen.

Aktuell sind wir mit 95 Prozent unserer Individualklagen erfolgreich und unsere Mandanten erhalten ihre Entschädigung im Schnitt nach gerade einmal acht Monaten. Daher raten wir betroffenen Verbrauchern unbedingt davon ab, Teil der Musterfeststellungsklage zu sein. Dafür müssen sie sich noch vor dem Start des Verfahrens am 30.9.2019 aus der Klage austragen. Danach ist das nicht mehr möglich.”

Ist es möglich, Teil der Musterfeststellungsklage zu sein und seinen Anspruch trotzdem individuell durchzusetzen?

Eine Einzelklage parallel zur MFK laufen zu lassen, ist grundsätzlich möglich, jedoch wenig sinnvoll. Während der MFK ruht die Einzelklage und wird erst nach Abschluss der MFK wieder aufgenommen. “Das ist keine ernsthafte Option für Verbraucher. Sollte die MFK nämlich ergeben, dass die betroffenen Verbraucher keinen Anspruch auf eine Entschädigung seitens VW haben, müssten diese die bisherigen Prozesskosten wahrscheinlich selbst tragen – sogar wenn sie eine Rechtsschutzversicherung haben. Die Kosten für die eigenen Anwälte beider Seiten sowie die Gerichtskosten würden sich in dem Fall auf mindestens 4.000 Euro belaufen. Daher sollten sich die betroffenen Fahrzeughalter sofort aus der Musterfeststellungsklage austragen”, rät Alexander Voigt.

Können betroffene Fahrzeughalter ihre Fahrzeuge trotz eines Verfahrens nutzen?

Betroffene Verbraucher können ihr Fahrzeug bis Ende des Verfahrens nutzen. Erst dann ist es möglich, das Fahrzeug gegen eine Entschädigungszahlung an VW zurückzugeben. Alternativ besteht auch die Möglichkeit, das Fahrzeug nach dem Prozess weiterhin zu nutzen und eine dementsprechend geringere Entschädigung von VW zu erhalten.

Foto (c) Kulturexpress, Meldung: Nils Leidloff, tonka-pr, Berlin