PERSISCHSTUNDEN Regie: Vadim Perelman (BRD) SS-Offizier will persisch lernen und erkennt seinen Irrtum nicht


Filmposter

Kinostart ab 24. September 2020: Gilles ist ein junger Belgier, der zusammen mit anderen Juden 1942 an der französischen Grenze von der SS verhaftet wird und in ein Lager nach Deutschland gebracht werden soll. Im Wald entgeht er der Exekution, indem er schwört kein Jude zu sein, sondern behauptet er sei Perser. Diese Lüge rettet ihm zunächst das Leben. SS-Offizier Koch gespielt von Lars Eidinger, der Küchenchef im Lager, hegt einen Fabel für Perser. Das wissen die diensthabenden Soldaten und die Einheit im Wald.  Seine Behauptung Perser zu sein, soll Gilles noch zum Verhängnis werden, sagen die Soldaten zu ihm, doch zunächst kommt er mit ins Lager und wird Hauptsturmführer Koch vorgestellt. Farsi ist die Sprache, die im Iran auf der Straße gesprochen wird. Wort für Wort erfindet Gilles eine Sprache, die er nicht beherrscht. Einziger Beleg ist ein Buch mit persischen Mythen, das er kurz vor seiner Verhaftung von einem anderen Flüchtling erworben hat. Nach dem Krieg will der Küchenchef nach Teheran auswandern und dort ein Deutsches Restaurant eröffnen. Als im Dialog zwischen den beiden Männern Missgunst aufkommt, wird Gilles schmerzhaft bewusst, dass ihn jeder Fehltritt auffliegen lassen könnte. Währenddem genießt er Vorzüge, darf in der Lagerküche arbeiten und darf aufgrund seiner ordentlichen Handschrift die Namenliste der Lagerinsassen führen. Eine Tätigkeit, die zuvor eine Frau der Lageraufsicht (Leonie Benesch) inne hatte.

Schon etwas aufgerieben ist die Angelegenheit um den Sträfling Gilles (Nahuel Pérez Biscayart), der nur mit knapper Not dem Tod entkommen ist. Seine instinktiv richtig handelnde Art einerseits, aber immer wieder auch die Vehemenz mit der Gilles so tut als ob er jemand sei, der persisch unterrichten könnte, ist schon äußerst belustigend.  Aber natürlich zeigt das immer nur eine reduzierte Auffassung von der Welt auf das komische und groteske der Situation bezogen.

Inspiriert von wahren Begebenheiten, erschuf Regisseur Vadim Perelman mit PERSISCHSTUNDEN ein hochspannendes, wendungsreiches Drama, das eine packende und emotionale Geschichte vom menschlichen Überlebenswillen erzählt. In den Hauptrollen beeindrucken Lars Eidinger und Nahuel Pérez Biscayart, die literarische Vorlage lieferte Wolfgang Kohlhaase. Seine Weltpremiere feierte PERSISCHSTUNDEN auf der Berlinale 2020.

 

Besetzung
Gilles Nahuel Pérez Biscayart
Klaus Koch Lars Eidinger
Max Beyer Jonas Nay
Elsa Leonie Benesch
Kommandant Alexander Beyer
Jana Luisa-Céline Gaffron
Paul David Schütter
Technische Daten

Länge: 127 Minuten
Produktionsland/Jahr: Deutschland, Russland 2019
Stab
Regie Vadim Perelman
Drehbuch Ilya Zofin
Kamera Vladislav Opelyants
Schnitt Vessela Martschewski, Thibault Hague
Szenenbild Dmitriy Tatarnikov, Vlad Ogai
Musik Evgueni Galperine, Sacha Galperine
Kostüme Alexey Kamyshov
Produzenten Ilya Stewart, Murad Osmann, Pavel Buria, Ilya Zofin, Vadim Perelman, Timur Bekmambetov, Rauf Atamalibekov, Sol Bondy, Jamila Wenske

Inhalt

Ein kleiner Lastwagen, auf der Ladefläche zusammengekauerte Menschen. Einer von ihnen, der jüdische Belgier Gilles (Nahuel Pérez Biscayart), tauscht ein halbes Baguette mit einem Leidensgenossen gegen ein Buch über persische Mythen. Die Fahrt endet auf einer Waldlichtung. Die Männer werden von SS-Leuten aus dem LKW gezerrt und erschossen. Als Gilles in die nächste Reihe gestoßen wird, lässt er sich fallen. Die SS-Schergen unter Rottenführer Max Beyer (Jonas Nay) halten das für eine Finte. Erst als Gilles behauptet, Perser zu sein und als Beleg das frisch erworbene Buch zeigt, zögern die Uniformierten. Schließlich hat SS-Hauptsturmführer Koch denjenigen zehn Dosen Fleisch versprochen, die ihm einen „echten Perser“ bringen, weil er nach dem Krieg zu seinem Bruder nach Teheran auswandern will, um ein Restaurant zu eröffnen. Deshalb will Koch Farsi lernen.

Also wird Gilles ins Durchgangslager gebracht. Koch (Lars Eidinger), verantwortlich für Verpflegung und Küchenorganisation, ist zunächst skeptisch. Aber als Gilles ihm eröffnet, sein Vater sei Perser und seine Mutter Belgierin, er beherrsche Farsi nur in Wort und ihm ein paar Brocken hinwirft, ist er überzeugt. Und als er darüber hinaus ein persisches Sprichwort rezitiert, sind Kochs Zweifel verschwunden. Da im Buch der Name Reza Joon steht, heißt Gilles fortan so. Die Notlüge rettet ihm das Leben. Nur wie lange?

Erstmal soll er in der Küche arbeiten und Koch abends die Sprache beibringen, pro Woche 24 Worte. Während Reza an Topf und Herd schuftet, kommen permanent Menschen im Lager an, es bilden sich lange Schlangen vor der Registrierung. Beim Unterricht muss Reza schnell reagieren und improvisieren, denkt sich Fantasiebegriffe aus. Koch warnt jedoch seinen „Lehrer“, dass er ihn ganz besonders brutal töten würde, sollte Reza lügen.

Der hinterhältige Max Beyer intrigiert bei Koch mit dem Verdacht, Reza mime nur den Perser, er erkenne Juden an Nase und Gesicht, sogar am Geruch. Doch Koch lässt ihn nur kühl abtreten. Schwierig wird es, als Koch das Lernpensum erhöht und 40 Worte verlangt. Gefahr droht auch von der zur Küchenaufseherin degradierten Elsa (Leonie Benesch). Koch hat sie als „Buchhalterin“ für Namensregistratur rausgeworfen und durch den akkurater schreibenden Reza ersetzt. Um sich bei Elsa einzuschmeicheln, verspricht Max, sie von ihrem Konkurrenten auf einer fingierten Flucht zu erlösen. Mit dem Gewehr im Anschlag folgt er Reza, der Schmutzwasser entsorgen soll und den dicken Nebel wie vorausgesehen zur Flucht nutzt. Im Wald trifft er auf einen älteren Mann, dem er sein Leid klagt. Der rät ihm, zurückzukehren und gibt ihm einen Satz mit auf den Weg: „Das Erfinden ist einfach, aber das Vergessen ist gefährlich“. Es gelingt Reza, heil das Lager wieder zu erreichen.

Dort listet er nun die Neuzugänge mit Nummer, Geburtsort und Geburtsdatum auf, streicht die Ermordeten und die bei der Deportation Verstorbenen. Er kommt auf die Idee, Silben aus diesen Namen zu verfremden und in sein „Farsi“ umzuwandeln. Und wenn er dünne Suppe an die ausgehungerten Häftlinge verteilt, lässt er sich deren Namen geben und zu neuen Vokabeln inspirieren. Je mehr Worte Reza erfindet, umso mehr steigt die Gefahr, einen Fehler zu begehen und entlarvt zu werden.

Die Situation eskaliert bei einem Picknick der Lagerleitung, die sich mit deutschem Essen, Alkohol und Volksliedern in Stimmung bringt. Versehentlich verwendet Reza einen falschen Begriff, Koch fühlt sich reingelegt und verprügelt ihn voller Wut, schickt ihn zur Fronarbeit in den Steinbruch, wo Beyer ihn mit perfider Lust quält. Nach kurzer Zeit bricht Reza zusammen und redet in seinen Fieberträumen „persisch“, für Koch ein Indiz für seinen Irrtum. Er lässt ihn auf die Krankenstation bringen. Im Lager machen derweil Gerüchte die Runde, Koch beherberge einen Juden und halte ihn als Lustknabe, was ihm sein Kommandant streng mitteilt. Koch reagiert süffisant und verweist auf ein anderes Gerücht, nach dem der Kommandant nur über einen kleinen Penis verfüge.

Koch, der inzwischen 1500 Worte gelernt hat, öffnet sich sukzessive Reza, erzählt ihm von seinem Elternhaus und seiner Kindheit, lässt verborgene Verletzlichkeit spüren. Eine so heikle wie ambivalente Beziehung zwischen Täter und Opfer, Schüler und Lehrer entwickelt sich.

Im Lager herrscht Angst. Nachts überlegen die Häftlinge in der Baracke, wohin wohl die Reise geht, nach Madagaskar oder in ein neues Lager, in die Hölle oder in den Himmel. Da Häftlingstransporte nach Polen den sichereren Tod bedeuten, schickt Koch Reza auf einen Bauernhof. Eine Atempause im alltäglichen Grauen. Von Reza auf den Tod von Tausenden angesprochen, markiert Koch den Unschuldigen.

Der Untergang des Dritten Reichs kündigt sich an, die Schornsteine des Krematoriums rauchen ständig, Leichen werden abtransportiert, bei den SS-Leuten nimmt die Nervosität zu. Koch entzieht sich dem Geschehen, vertieft sich zunehmend in das Sprachelernen, trägt Reza ein von ihm verfasstes Gedicht in „Farsi“ vor. In einer Anwandlung von Menschlichkeit gibt er ihm sogar ein paar Dosen Fleisch für andere Häftlinge mit.

Eines Morgens entdeckt Rottenführer Beyer unter Neuankömmlingen einen Engländer mit persischen Wurzeln und hofft, durch eine Gegenüberstellung Kochs Schützling endlich demaskieren und umbringen zu können. Doch der Gefangene kommt zu Tode, was Beyers Plan scheitern und ihn ausrasten lässt. Koch bedauert, dass Reza seinen Landsmann nicht treffen kann und schlägt ihm vor, sich am nächsten Tag wieder zum Bauernhof zu begeben. Er ist nicht mehr nur der harte SS-Schinder, sondern ein verunsicherter Mann, der klagt, dass sein Bruder ihm jegliches Gespräch verweigerte, als er in die Partei eintrat. Rezas Angst wischt Koch weg. Ihm passiere nichts, solange er bei ihm bleibe.

Doch Reza will und kann nicht mehr kämpfen, wechselt die Jacke mit einem italienischen Mithäftling, damit dieser zum rettenden Bauernhof kommt und reiht sich ein in den Todesmarsch zum Bahnhof. In letzter Sekunde holt ihn Koch aus der Menge, versteht nicht, warum Reza die Jacke getauscht hat, um in einem Haufen Namenloser zu sterben. Und stellt zur eigenen Beruhigung fest: „Ich bin kein Mörder.“ Aber einer, der dafür sorgt, dass die Mörder gut speisen, rückt Reza Kochs falsches Selbstbild zurecht. Die Nachricht von anrückenden Alliierten macht die Runde, der Kommandant verbrennt derweil sämtliche Beweise für die Gräueltaten.

Koch verlässt mit Reza in letzter Minute das Lager und will sich über Istanbul nach Teheran absetzen. Ihre Wege trennen sich im Wald.

Reza, der jetzt wieder Gilles heißen darf und sich in Sicherheit befindet, wird von einem englischen Offizier gefragt, wieviel Gefangene das Lager während seiner Zeit passierten. Vielleicht 25 000 oder 30 000, er erinnert sich nicht genau. Die Namen seien im Register. Als er von den verbrannten Archiven erfährt, hebt er den Kopf und spricht sie aus: 2840 Namen und Vornamen. Er spricht sie aus mit Tränen in den Augen, einen nach dem anderen, gibt den Nummern einen Namen. Eine Erinnerung, eine Würdigung, ein Gebet. Schutz vor dem Vergessen.

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