Interview mit dem Regisseur Christoph Eder WEM GEHÖRT MEIN DORF? (2021)


In seinen Filmen setzt sich der Regisseur und Autor Christoph Eder vor allem mit gesellschaftspolitischen Fragen unserer Zeit auseinander. Neben seiner Arbeit an Dokumentarfilmen ist er bei Online- und Fernseh-Produktionen tätig. Unter anderem führt er für das mit dem Grimme Preis 2019 ausgezeichnete Satire-Format “Browser Ballett” (ARD/ZDF) Regie. Eders Kurzfilme liefen auf nationalen und internationalen Festivals und wurden mehrfach ausgezeichnet. Er studierte Medienkunst an der Bauhaus-Universität Weimar und Regie an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Zusammen mit vier weiteren Filmemachern gründete er 2013 das KAMMER11 Filmkollektiv.

1. Was hat Sie dazu bewegt, diesen Film zu drehen?

Mit WEM GEHÖRT MEIN DORF? erzähle ich aus persönlicher Sicht eine große Geschichte über Demokratie in einem kleinen Dorf. Es ist ein Dokumentarfilm, der dringende Fragen zum Thema „Ausverkauf in den Kommunen“ stellt. Göhren auf Rügen ist meine Heimat, der Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Ich bin nach meinem Schulabschluss weggezogen, aber meine Familie wohnt immer noch dort und irgendwann möchte ich auch wieder dort leben. Mir widerstrebt die Vorstellung, dass sich Göhren mit seiner malerischen Landschaft irgendwann zu einem leblosen Touristenort ohne soziale Strukturen entwickelt, der nur einmal im Jahr seinen Zweck erfüllt: Im Sommer zur Hauptsaison.

Ob es so kommt, entscheidet weitgehend die Mehrheit im Gemeinderat. Und weil es dort immer wieder Beschlüsse gab, die offenbar nicht für das Gemeinwohl durchgesetzt wurden, drehte ich diesen Film.

2. Welchen Fokus legen Sie dabei im Film?

Mich interessiert vor allem das Spannungsfeld zwischen den Interessen Einzelner und den Interessen der Gemeinschaft und welche Rolle dabei Kapital spielt. Am Beispiel von Göhren stelle ich im Film die zentralen Fragen: Wie wollen wir leben und wer bestimmt darüber? In meinem Film treffen Menschen aufeinander, die für sich glauben, das Richtige für ihren Heimatort zu tun und solche, die zu zweifeln beginnen und nach neuen Wegen suchen. Diese Entwicklungen erzähle ich nahe an den Protagonist*innen und öffne damit den Blick auf die Strukturen der Lokalpolitik und die Auswirkungen auf die Bürger*innen – aber auch die Handlungsmöglichkeiten und Chancen. WEM GEHÖRT MEIN DORF? erzählt von Menschen mit verschiedenen Ansichten und Zielen. Es ist ein Film über die Kraft der Demokratie.

3. Wie sehen Sie heute den Konflikt zwischen Naturschutz und touristischer Nutzung?

Ich denke, dass es keine Lösung ist, den Fokus weiterhin ausschließlich auf den Ausbau des Tourismus und auf Wachstum in Göhren zu legen. Die Infrastruktur auf Rügen ist jetzt schon im Sommer überlastet. Es braucht gemeinsame Lösungen für die ganze Insel, die dafür sorgen, dass Rügen auch ein lebenswerter Ort für die Einheimischen und für junge Familien bleibt. Eine große Chance sehe ich dabei unter anderem in einem nachhaltigen Tourismus, in neuen generationsübergreifenden Wohn- und Lebenskonzepten, damit Menschen bezahlbare Wohnungen finden und zusammenleben können. Auch die Digitalisierung spielt eine große Rolle. Jobs, die man aus dem Homeoffice machen kann, bieten neue Chancen für Menschen auf Rügen, aber auch anderswo, um zu bleiben oder außerhalb von Städten zu leben.

4. Welche Herausforderungen hatten Sie während des Drehs?

Die Menschen in Göhren kennen mich. Ich bin der Sohn vom Tischlermeister Eder im Dorf. Das hat mir viele Türen geöffnet. Dennoch war viel Geduld und Zeit nötig, um das Vertrauen einiger Protagonist*innen zu gewinnen, wenn es um heikle Themen wie die politischen Entscheidungen im Dorf ging. Manche hatten Bedenken, sich zu bestimmten Themen vor der Kamera zu äußern. Im Mikrokosmos Dorf bestehen Abhängigkeiten und Verstrickungen, die manchmal Jahrzehnte zurückliegen. Dazu kommt, dass ich Protagonist*innen portraitierte, die sich untereinander nicht immer grün sind und unterschiedliche Ansichten haben – und das über einen längeren Zeitraum, in dem einige entscheidende Entwicklungen stattfanden. Das war sehr herausfordernd für mich.

5. Welche Entwicklungen gab es in Göhren seit der Wahl?

Einer unserer Protagonisten behauptete nach seiner Wahlniederlage, es habe Wahlfälschung gegeben und klagte gegen das Ergebnis. Das wurde direkt vom Verwaltungsgericht in Greifswald abgewiesen. Der neue Gemeinderat beschloss, dass der Südstrand ein Naturstrand bleiben soll und dass keine Wohnungen mehr in Ferienwohnungen umgewandelt werden dürfen, mit dem Ziel, den Wohnraum in Göhren zu schützen. Aktuell gibt es Pläne für eine neue, sehr große Klinik am Südstrand, die noch durch den alten Gemeinderat beschlossen wurde. Es wäre mit Abstand das größte Gebäude auf diesem Teil der Insel. Und es stellt sich mir die Frage, ob es am Ende auch wirklich die versprochene Klinik wird und nicht wieder ein Wellness-Hotel, wie es schon einmal am Südstrand passiert ist. Der neue Gemeinderat versucht aktuell, die Investoren zu überzeugen, das geplante Gebäude kleiner zu realisieren und der Umgebung anzupassen. Die Diskussionen über die Zukunft Göhrens gehen also weiter.

6. Der Film greift Material aus Ihrem Familien-Video-Archiv auf – wie haben Sie Ihre Kindheit in Göhren in Erinnerung? Was hat sich für die nächste Generation heranwachsender Kinder hier ganz besonders verändert?

Ich hatte eine tolle Kindheit in Göhren. Wir waren ständig draußen unterwegs und haben viel in der Gemeinschaft unternommen. Meine Eltern hatten einen großen Freundeskreis mit vielen Kindern. Ich denke gerne an die Sommer am Strand zurück. Ich war mit meiner Schwester immer so lange baden, bis meine Lippen blau wurden und meine Eltern mich aus dem Wasser holten. Bis heute ist es für mich ein magischer Moment, wenn ich über die Düne gehe und das Meeresrauschen immer lauter wird. Es löst ein wohliges Gefühl in mir aus und lässt mich runterkommen. Deswegen beginnt der Film auch mit den Badeszenen am Strand.

Schon bei meinem Bruder, der 11 Jahre jünger ist als ich, war es ein anderes Göhren. Es gibt heute dort viel weniger Kinder und zwischen der Generation meiner Eltern und der ganz jungen Generation klafft ein riesiges Loch, weil viele weggegangen sind. Der Fußballverein, in dem ich früher gespielt habe, hat den Spielbetrieb aufgegeben, weil es nicht mehr genug Nachwuchs gibt. Es ist aber schön zu sehen, dass andere Strukturen trotzdem noch vorhanden sind: Es gibt eine Schule und einen Jugendclub.

7. Was kann uns die Göhrener Kommunalpolitik über das Wesen der Demokratie lehren?

Wenn dir etwas wichtig ist, engagiere dich. Setze dich dafür ein und warte nicht so lange, bis es zu spät ist. Ja, Kommunalpolitik ist anstrengend, komplex und oft auch ein bisschen langweilig. Aber sie prägt deine unmittelbare Umwelt und kann auch sehr belebend und fruchtbar sein.

8. Zeigt der Film eine neu ostdeutsche Perspektive auf die Transformation des Ostens?

WEM GEHÖRT MEIN DORF? ist ein Film, der eine Geschichte über Demokratie in Ostdeutschland erzählt, ohne dabei das Ost-Klischeebild von Nazis, Plattenbauten oder Stasi zu reproduzieren. In meiner Recherche ist mir immer wieder aufgefallen, dass gerade die oft eindimensionale Berichterstattung über den Osten in den 90er-Jahren in einer Art und Weise bestimmt wurde, die die westdeutsche Perspektive als vorherrschendes Narrative etabliert hat. Auch über Göhren und Rügen gab es teils abwertende Fernsehbeiträge. Diese Sichtweise dominiert mitunter bis heute die Berichterstattung über den Osten Deutschlands und damit auch das Bild vieler Westdeutscher vom Osten – und gleichzeitig auch das Selbstbild der Ostdeutschen. Mein Film bricht mit diesen Klischees und ich glaube, dass es auch über 30 Jahre nach der Wende wichtig ist, sich darüber auszutauschen, was in den 90er Jahren passiert ist und wie es unser Land und die Menschen bis heute prägt. Meine Perspektive auf diesen Diskurs ist davon bestimmt, dass ich zwar in der DDR geboren wurde, davon aber nichts mehr mitbekommen habe. In meiner Lebenswelt waren aber viele Werte aus dieser Zeit präsent.

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