DER MENSCHLICHE FAKTOR Regie: Ronny Trocker (Deutschland) Aus verschiedenen Blickwinkeln hinterfragt der Film die zuverlässige Perspektive der Familie


Kinostart ab 30. Juni 2022: Jan, Nina und ihre beiden Kinder sind eine junge, moderne Familie. Das Paar leitet zusammen erfolgreich eine innovative Werbeagentur, aber als Jan ohne Rücksprache mit seiner Frau den heiklen Auftrag einer politischen Partei annimmt, will Nina aus der gemeinsamen Firma aussteigen. Um zumindest ihre Ehe zu retten, beschließen sie ein gemeinsames Wochenende an der belgischen Küste zu verbringen. Die Ankunft im familieneigenen Ferienhaus wird jedoch von einem mysteriösen Hauseinbruch überschattet. Während der beängstigende Vorfall die Vier anfangs wieder zusammenschweißt, droht die unterschiedliche Wahrnehmung der Geschehnisse das fragile Familienidyll bald darauf wieder zu zerstören.

Filmwebsite: farbfilm verleih und Der Menschliche Faktor

Thematisch finde ich den Film hinreißend. Die Aufghabe sich der modernen Familie zu widmen, schlägt immer wieder Wellen. Doch was hier passiert, ist letztlich eine Mischung aus Psycho- oder Sozialdrama und Kriminalfilm, wovon es schon zu Hauf auf dem Markt gibt, die im täglichen Filmprogramm reihenweise dahinlaufen. Die Produktion “DER MENSCHLICHE FAKTOR” entstand im ZDF unter der Regide “Das kleine Fernsehspiel”, was in der Vergangenheit immer als Grundlage für niveauvolle Filme galt. Abendfüllendes Intermezzo das geboten werden soll. Die medialen Zeiten haben sich verändert. Ist das noch zeitgemäß, jemanden auf die Warteliste zu setzen, bis der Film ins Programm kommen darf? Wobei junge Filmemacher von sich aus dabei sind ihren Weg zu finden. Welche Perspektiven auf den Zuschauer warten, wird sich zeigen. So wie auch bei diesem Film, geben sich Bedeutung, Blick in die Vergangenheit und die Zeit danach die mitfühlende ausgestreckte Hand. Es dauert immer etwas, bis die wahre Schärfe der Situation richtig erfasst ist. 

Dem Anschein nach erinnern Rhythmus und Handlungsabläufe an den Film von Franka Potente “HOME” aus dem Jahr 2021. Die fortwährende Zeitschiene, die filmisch in Angriff genommen werden soll, beginnt zu entgleiten. Das soll zu niemandes Schaden sein, erfordert vielmehr konsequentes Umdenken auch in den Belangen gegenüber der Filmindustrie. 

CAST

NINA Sabine Timoteo
JAN Mark Waschke
EMMA Jule Hermann
MAX Wanja Valentin Kube
ALEXANDER Hannes Perkmann
FLO Daniel Séjourné

TECHNISCHE DATEN

Filmdauer: 102 Minuten
Format: 1:1,66
Genre: Suspense Drama
Produktionsland: Deutschland/Italien/Dänemark
Produktionsjahr: 2021
Weltpremiere: Sundance Film Festival 2021
Deutschlandpremiere: Internationale Filmfestspiele Berlin 2021

CREW (ÜBERSICHT)

Regie und Drehbuch Ronny Trocker
Produzenten Susanne Mann, Paul Zischler, Martin Rehbock
Ko-Produzenten Ronny Trocker, Eva Jakobsen, Katrin Pors, Mikkel Jersin
Kamera Klemens Hufnagl
Schnitt Julia Drack
Szenenbild Stefan Oppenländer
Kostüm Ildiko Okolicsanyi
Maske Malaika Katharina Boserup
Musik A. Dixen
Ton Jacques Pedersen, Kristian Selin Eidnes Andersen

Produktion zischlermann filmproduktion GmbH
in Koproduktion mit Bagarrefilm, Snowglobe, ZDF – Das kleine Fernsehspiel
Gefördert von: Der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur- und Medien (BKM)
Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH)
Medienboard Berlin-Brandenburg (MBB)
Deutschen Filmförderfonds (DFFF)
Filmförderung Südtirol (IDM Alto Adige)
The Danish Film Institute (DFI)

 

Director’s note

DER MENSCHLICHE FAKTOR erzählt die Geschichte einer jungen, modernen Familie aus einer deutschen Großstadt: aufgeschlossene Kosmopoliten, erfolgreich in ihren kreativen Jobs und engagierte Eltern. Auf den ersten Blick eine Bilderbuchfamilie. Als ein mysteriöser Einbruch in ihrem geliebten Ferienhaus die fragile Familienidylle bedroht, wird er zum Auslöser einer schleichenden Zersetzung der Ehe. Mir ging es darum, das allgemeine Unbehagen, das wir in unserer heutigen Gesellschaft beobachten können, durch den Mikrokosmos der Familie wiederzugeben. Angst und Verunsicherung manipulieren die Figuren der Geschichte. Ihr bürgerliches Ideal wird durch ihre eigenen hohen Ansprüche an persönliche und soziale Sicherheit verraten. Aus verschiedenen Blickwinkeln und wie in einem Röntgenbild verdeutlicht der Film die inneren Konflikte der Familie. Die Erzählschleifen, die nicht sofort als solche zu erkennen sind, treiben die Erzählung Schritt für Schritt voran. Die Chronologie der Ereignisse wird unwichtiger und die Perspektive, aus der sie erzählt werden, bedeutender. In einer hyper-mediatisierten Welt, in der alles zu Image und Marketing wird, vom Privatleben bis zur Politik, ist die Wahrnehmung leicht manipulierbar. Die Kommunikationsstrategien werden immer ausgefeilter, aber auch oberflächlicher, und es bleibt kaum noch Zeit, den ganzen Informationsfluss zu verarbeiten. Das emotionale Drama der Familie hängt mit diesem Phänomen zusammen, denn es gibt ein Paradoxon, in dem das Paar gefangen zu sein scheint. Als Inhaber einer Werbeagentur sind sie selbst Geschichtenerzähler und professionelle Kommunikatoren. Dennoch scheinen sie die Fähigkeit verloren zu haben, miteinander zu sprechen oder ihren Kindern zuzuhören. Wahrscheinlich ist das der Punkt, an dem dieser Film eine Art Spiegel wird und eine selbstreflexive Ebene einnimmt. Die multiplen Perspektiven im Film sind ein formaler Aspekt, der nicht nur hilft, tiefer in die Familienkonflikte einzudringen, sondern auch verschiedene Zugänge zur Geschichte und den Figuren bietet. Es ist sicherlich ein herausforderndes Seherlebnis, da der Zuschauer seinen eigenen Standpunkt immer wieder neu definieren und wahrscheinlich auch hinterfragen muss.

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