CALL JANE Regie: Phyllis Nagy (USA) sozialkritischer Film zum Thema Abtreibung der sich unablässig auf einem schmalen Grat der immer noch kriminalisierten Handlungen bewegt


Kinostart 06. Dezember 2022: Chicago, 1968. Die Stadt und die Nation stehen vor einem gewaltigen Umbruch. Hausfrau Joy führt mit ihrem Mann und ihrer Tochter ein gewöhnliches Leben in der Vorstadt. Doch Joys erneute Schwangerschaft führt sie unerwartet in eine schwierige Lage. Der Film erzählt aus der Perspektive von Joy (Elizabeth Banks), Ehefrau aus den Suburbs, Mutter einer scharfsinnigen Teenagerin. Joys Leben begnügte sich bisher damit, dass sie sich um ihre Familie kümmert und vertraulich mit ihrer besten Freundin Lara (Kate Mara) über diese Angelegenheiten redet. Doch jetzt ist Ihr Leben aus der Bahn zu geraten, als ihre herbeigesehnte Schwangerschaft bedrohliche Formen annimmt und lebensgefährlich wird.  Sie muss sich mit einem medizinischen System und Ärzten auseinandersetzen, die nicht bereit sind, ihr zu helfen. Eine legale Abtreibung ist nicht möglich. Als sie einen Schwangerschaftsabbruch beantragen wollen, sehen sich Joy und ihr Mann Will (Chris Messina) mit einer Riege männlicher Ärzte konfrontiert. Die Suche nach einer Lösung führt sie zu den “Janes”, einer geheimen Frauen-Organisation, die Joy eine sicherere Alternative anbieten – sie damit nicht nur retten, sondern ihr Leben damit auch grundsätzlich verändern.

Phyllis Nagy übernimmt die Regie und inszeniert einen sich prekär anbahnenden Verlauf, der zum Teil auf wahren Begebenheiten rund um das Jane-Kollektiv beruht, das in einem Zeitraum von vier Jahren durch seine verdeckte und präzise Mobilisierung Tausende von Abtreibungen ermöglichte. Unterstützt von einer beeindruckenden Besetzung, spielt Elizabeth Banks die bemerkenswerte Hauptrolle der Joy, deren Entschlossenheit und Charakterstärke auch mehr als ein halbes Jahrhundert später noch aktuell ist. CALL JANE wirft dringende Fragen über systemische Barrieren, die sich ständig verändernde Natur der Politik und den Kampf der Frauen um die Kontrolle über ihren Körper auf.

CAST

CREW

ELIZABETH BANKS (,JOY‘)
SIGOURNEY WEAVER (‚VIRGINIA‘)
CHRIS MESSINA (‚WILL‘)
KATE MARA (‚LARA‘)
WUNMI MOSAKU (‚GWEN‘)
CORY MICHAEL SMITH (‚DEAN‘)
GRACE EDWARDS (‚CHARLOTTE‘)
JOHN MAGARO (‚DETECTIVE CHILMARK‘)
PHYLLIS NAGY | REGISSEURIN
HAYLEY SCHORE | DREHBUCHAUTORIN
ROSHAN SETHI | AUTORIN
ROBBIE BRENNER | PRODUZENTIN
DAVID WULF | PRODUZENT
KEVIN MCKEON | PRODUZENT
LEE BRODA | PRODUZENTIN
CLAUDE AMADEO | PRODUZENT
MICHAEL D’ALTO | PRODUZENT
GRETA ZOZULA | KAMERAFRAU
JONA TOCHET | PRODUKTIONSDESIGNERIN
PETER MCNULTY | SCHNITT

Technische Daten

Produktionsjahr: 2022, Produktionsland: USA, Laufzeit: 122 min., Bildformat: 1:1,85, Farbe: ja, Ton: 5.1 Dolby Digital, Sprachfassungen: OV(en), OmdU, DE, FSK: 12 Jahre, Verleih: DCM

Zur Filmwebsite: Call Jane – DCM Stories

 

Produktionsnotizen

Um das Chicago der 1960er Jahre nachzuempfinden, machte sich das Produktionsteam zunächst auf die Suche nach einer Stadt, die wie Chicago vor 50 Jahren aussieht. Sie fanden diesen Ort in Hartford, Connecticut, einer Stadt, deren Ästhetik an diese Zeit erinnert.

Es war Nagys ausdrücklicher Wunsch, keine fiktionalisierte, nostalgische Version der 1960er zu präsentieren. „Davon hatten wir bereits genug“, sagt sie. „Ich wollte zeigen, wie sich echte Menschen, auch ohne viel Geld, kleiden, wie ihre Wohnungen aussehen und wie sie sich einrichten. Wir passten auf, dass wir nie in diesen Mythos abglitten, wie die 60er Jahre angeblich aussahen. Ich habe diese Zeit als kleines Kind erlebt, und das, was wir in Filmen sehen, diese wunderbaren, opulenten Neuerfindungen der Mods und so, entspricht nicht der Welt, an die ich mich erinnere.“

Nagy hatte bereits eine genaue Vorstellung des Films, als sie zum ersten Mal Greta Zozula begegnete, der Kamerafrau des Films und begriff schnell, dass sie und Zozula auf einer Wellenlänge waren. In ihrem ersten Gespräch ging es um Vivian Maier, eine Fotografin, die jahrzehntelang die Menschen und die Architektur Chicagos fotografierte, während sie gleichzeitig als Kindermädchen arbeitete. Maiers Arbeit wird für ihre Ehrlichkeit und ihre strukturellen Aspekte geschätzt.

Ihre Farbfotografien gaben Nagy, Zozula, Produktionsdesignerin Jona Tochet und Kostümbildnerin Julie Weiss, die Ideen für das Farbkonzept des Films, das verschiedene Schattierungen von braun, kastanienbraun und blau in den Vordergrund stellt.

Joy und Virginia mit einer jungen Frau

Das Team nutzte spezifische Farben für einige der Protagonist*innen. So spiegelt sich Joys Handlungsstrang in einer Vielzahl von Blautönen, während Dr. Dean, eine Figur, die sowohl sympathisch als auch schäbig dargestellt wird, von Gelbtönen umgeben ist. Eine zentrale Szene im Haus des Arztes spielt mit dem blauen und gelben Farbschema, während Protagonistin und Protagonist einander umkreisen.

Joy und Virginia, Foto: Wilson Webb/ DCM

Eine weitere Herausforderung für Zozula war es, diese so authentisch wirkende Geschichte visuell umzusetzen und die turbulente Zeit akkurat darzustellen, ohne auf Metaphern zurückgreifen zu müssen. „Wir wollten nicht einfach so tun, als drehten wir in den 60ern und seien hautnah dabei“, sagt sie. „In Super-16 zu drehen war der erste Schritt, dem zu entkommen. Es verlieh dem Film Struktur und Tiefe, und er ist recht fehlertolerant.

Um einen „Vintage Look“ zu vermeiden, der nicht gepasst hätte, und als Ausgleich für die 16-mm benutzte Zozula lichtstarke Objektive, die ein breites Spektrum ermöglichten. Zudem filmte sie mit einer Steadicam, um die Atmosphäre und die Persönlichkeit der Protagonisten mit einer freieren Kadrierung zu untermalen.

Jona Tochet recherchierte ausführlich zu Gebäuden und Mauerwerk im Chicago der 1960er. Ihr besonderes Augenmerk galt Dingen, die das Land um 1968 herum beschäftigten: die Ermordung Martin Luther Kings, die Proteste gegen den Vietnamkrieg und die zweite Welle der Frauenbewegung. Mit diesen Informationen im Kopf entwarf sie das Umfeld aller Protagonist*innen. „Jona tauchte hinein“, sagt Brenner. „Sie war eine der ersten vor Ort. Sie ging in Antiquitätengeschäfte, Trödelläden, und sie entwarf einige der Räume für den Film, darunter das Set für die Abtreibungsszenen. Besonders das war unglaublich wichtig, denn es ist eine sehr intime, sehr eindringliche Umgebung. Jona stellte sicher, dass es ein geschützter Ort für die Schauspieler*innen war, und das Set vermittelt nie den Eindruck, dass es sich in einer Wohnung oder irgendeinem Laden befindet.“

Das Haus von Joy und Will dient als subtiler Schaukasten für die sich verändernde Familiendynamik. „Joy ist schwedischer Abstammung und sie und Will werden als moderner dargestellt als ihr Umfeld“, sagt Tochet. „Ich habe viele Mid-Century-Akzente wie klare Räume und helles Holz verwendet. Doch als Joy sich immer mehr für die Sache der Janes engagiert, habe ich Dekor hinzugefügt, das ihre Reise von der Hausfrau aus den Suburbs zur Pro-Choice-Aktivistin illustriert.“

Nagy verließ sich bei den Kostümen der Protagonist*innen ganz auf Julie Weiss, mit der sie zuvor bereits zusammengearbeitet hatte. „Julie ist eine Legende, ein Genie mit großen Visionen“, sagt Nagy. „Sie hat für den Film ganze Arbeit geleistet und war eine meiner wichtigsten Mitarbeiterinnen.“ Weiss näherte sich ihrer Arbeit aus der Perspektive der Protagonist*innen und stellte für die Hauptdarsteller*innen ganze Schränke voller Kleidung zusammen. Noch bevor sie mit den Entwürfen begann, überlegte sie, wie und wo jede Person ihre Kleidung kaufen würde. Ihr tiefes Verständnis bezüglich der Entwicklung der Protagonist*innen, insbesondere Joy, spiegelt sich in den kleinsten Details eines jeden Kostüms.

Ein ernüchternder Nachtrag

Am 1. Dezember 2021 fand im U.S.-amerikanischen Supreme Court eine Anhörung im Fall Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization statt, der das offensichtlich verfassungswidrige Gesetz in Mississippi verhandelt, dass die Abtreibung bis zur 15. Woche untersagt. Dieser Fall ist eine unmittelbare Gefahr für Roe v. Wade, die richtungsweisende Supreme-Court-Entscheidung aus dem Jahr 1973, die das grundgesetzliche Recht auf Abtreibung bestätigte. In den beinahe 50 Jahren seit Roe greifen Anti-Abtreibungs-Politiker zunehmend den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen an. Mit dem Fall aus Mississippi verlangten sie unverblümt, dass der Supreme Court den etablierten rechtlichen Präzedenzfall ignorieren und Roe aufheben sollte. Indem der Supreme Court dem Fall zugestimmt hat, signalisierte er seine potenzielle Bereitschaft, Jahrzehnte eigener Entscheidungen in Hinblick auf Abtreibungsrechte umzustoßen. In einer parallelen Entwicklung erlaubte der Supreme Court das Inkrafttreten eines texanischen Gesetzes, das das Abtreibungsverbot nach sechs Wochen verbietet und damit eine Verletzung von Roe darstellt.

CALL JANE Buttons

Abtreibung vor dem Supreme Court. Das Urteil der Richter*innen über das Gesetz in Mississippi veränderte den Zugang zu Abtreibungen in den USA dramatisch und kippte auch die Grundsatzentscheidung von Roe v. Wade, die ein grundgesetzliches Recht auf Abtreibung einführte. Am 24. Juni 2022 wurde das bundesweit eingeführte Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt und ist somit Sache der Bundesstaaten.

Auf Ebene der Bundesstaaten. Noch vor dem Urteil des Supreme Courts hatten es republikanisch regierte Staaten eilig, neue Beschränkungen für Schwangerschaftsabbrüche einzuführen. Am 3. März verbot Florida die Durchführung nach der 15. Schwangerschaftswoche. Mit der Aufhebung von Roe v. Wade bleibt Abtreibung in mehr als der Hälfte aller Staaten legal, nicht jedoch in einem breiten Gebiet im mittleren Westen und im Süden. Einige Frauen können in einen anderen Staat reisen oder mittels einer Abtreibungspille die Schwangerschaft beenden, viele Frauen in niedrigeren Einkommensschichten haben jedoch keinen Zugang dazu. Wer bekommt Abtreibungen in Amerika? Das Bild der Schwangerschaftsabbrüche hat sich zusammen mit der Gesellschaft gewandelt. Heute treiben Jugendliche weit seltener ab. Die typische Patientin ist bereits Mutter, arm, unverheiratet, Ende 20, hat studiert und ist seit kurzem schwanger.

 

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