Wahlprüfsteine – Architektenkammer Hessen anlässlich Landtagswahlen 2023 im Oktober


Zum Leitbild und Wertekanon der Stadtentwicklung wurde die Neue Leipzig Charta 2020 verabschiedet. Dem Planen und Bauen kommt eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Themen wie Klimaschutz, Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit, Energiesicherheit und Mobilitätswende, aber auch die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu. Die Sicherung bezahlbaren Wohnraums kann Hinweise darauf geben, was mit einer zukunftsweisenden Gestaltung der Umwelt und Landesentwicklung gemeint ist.

Um den weltweiten Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, wie es im Pariser Klimaabkommen bereits 2015 fixiert wurde, muss der Ausstoß von Treibhausgasen massiv reduziert werden. Das Land Hessen strebt deshalb Klimaneutralität bis 2045 an. Städte und Kommunen sind neben der Bau- und Immobilienwirtschaft wesentlicher Motor.

Auf dem Weg des nachhaltigen Umbaus bestehender Gebäude, der klimaneutralen Ausrichtung des Neubaus, eines resilienten Stadtumbaus und einer integrierten Regionalentwicklung sind Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner wichtige Partner. Aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihrer Kompetenz als interdisziplinär Agierende sollen sie gemeinsam mit dem Handwerk, der Bauindustrie, der Immobilienwirtschaft sowie Kommunen einen wichtigen Beitrag zur klima- und sozialgerechten Zukunft Hessens leisten.

Die notwendigen Rahmenbedingungen werden aus Sicht der Berufsstände in fünf Themenfeldern zusammengefasst. Ziele wären einheitliche Standards sowie Förderung der freien Berufe durch verstärkte Digitalisierung. Dazu zählen auch faire Auftragsbedingungen.

Hessen ist ein Flächenland, in dem die Versiegelung von Flächen weiter zunimmt, während der Klimawandel zu einer Zunahme an Hitzetagen führt. Hitzeinseln in den verdichteten Städten belasten immer wieder vulnerable Gruppen im öffentlichen Raum. Starkregenereignisse verdeutlichen die Grenzen der Entwässerungssysteme in ganz Hessen aufgrund der steigenden Versiegelung und Bebauung. Ein Umdenken in der Verkehrsplanung, eine Verringerung der Stellplatzschlüssel in Kombination mit dem Ausbau attraktiver öffentlicher Verkehrssysteme, setzen sich nur langsam durch, markieren jedoch die ersten Schritte in Richtung einer Mobilitätswende.

Die Trennung von Funktionen innerhalb von Städten, im öffentlichen Raum und in Gebäuden sowie das Konzept der „autogerechten Stadt“ prägen den aktuellen baulich-räumlichen Bestand. Dabei sind neue Mischungen in Wohnvierteln genauso gefragt wie der Umbau von zentrumsnahen Gewerbegebieten. Der Rückgang des stationären Einzelhandels bietet auch den Innenstädten neue Chancen für eine vielfältige Durchmischung. Produktion in der Stadt scheint trotz ihrer Bedeutung für die lokale Wertschöpfung ein unterschätztes Thema zu sein.

Die Diskussion ist von Vorbehalten und Ängsten hinsichtlich Nutzungskonflikten geprägt. Der Druck, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, nimmt zu. Steigende Zinsen und Baupreise sowie Lieferkettenengpässe aufgrund des Ukrainekonflikts stellen Investitionen vor Herausforderungen und erhöhen die ohnehin schon hohen Baukosten, verursacht durch Klimaschutzauflagen, technische Standards und steigende Grundstückspreise.

Was ist zu tun? Sektorenübergreifendes Denken und Handeln gewinnt an Relevanz, um die ambitionierten Klimaschutzziele sozialgerecht und im Interesse größter Wirksamkeit umzusetzen. Eine qualifizierte Stadt-, Regional- und Landesplanung ist unerlässlich. Hierbei liegt ein besonderes Potenzial in der integrierenden Betrachtung von Siedlungs-, Freiraum- und Verkehrsentwicklung. Neue Parameter bei der Grünflächenplanung liefern im Hinblick auf Klimawirksamkeit und Biodiversität eine neue Werteskala. Leitbilder und Narrative können die Abwägung divergierender Interessen fördern.

Die Architektenkammer Hessen fordert eine gemeinsame Vision für die Landes- und Regionalentwicklung  Die Etablierung eines Strukturförderprogramms zur Stärkung der interkommunalen Zusammenarbeit und zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.

Die Umsetzung der neuen Leipzig Charta 2020 versteht sich als Strategie zu einer gemeinwohlorientierten als auch integrierten und nachhaltigen Stadtentwicklung. Gefordert wird die Einführung des Instruments der Landschaftsrahmenplanung im Hessischen Naturschutzgesetz (HeNatG) sowie die Einführung eines Grünflächenfaktors in die Planung. Dazu zählt die Integration der Mobilitäts- und Klimaplanung in die Stadt- und Quartiersplanung (ISEK 2.0). Die Entwicklung von Leitlinien des Landes für kommunale Klimawandel- und Klimaanpassungsstrategien  sowie die Unterstützung der Kommunen bei der Umsetzung kommunaler Wärmeplanung.

Vergaben und Förderungen an  Qualitätskriterien ausrichten

Die gesellschaftliche Bedeutung einer qualitativ hochwertig gebauten Umwelt ist unbestreitbar. Baukultur
wird zu einem entscheidenden Standortfaktor. Exzellente Gestaltung hat den Anspruch auf Investition und rechtfertigt den Einsatz von Fördermitteln. Unübersehbar bleibt, dass die Anforderungen des Klimaschutzes, der Ressourcenschonung und der Nachhaltigkeit sowie die gestiegenen Auflagen im Fördermittelrecht, den Bauordnungen und der Bauplanung die Komplexität der Planung zunehmend erhöhen. Hinzu kommen deutlich sichtbare Kostensteigerungen und Lieferengpässe aufgrund des Ukrainekonflikts. Neue Instrumente wie die Ökobilanz oder einer Kostenbetrachtung innerhalb des ganzheitlichen Lebenszyklus werden entscheidend sein bei den Investitionsfindungen. Planung wird damit zu einem iterativen Prozess.

Foto (c) Kulturexpress

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