AUF DER ADAMANT Ein Film von Nicolas Philibert (Frankreich) Doku über Tageseinrichtung mit Vorbildfunktion am Ufer der Seine in Paris auf einem Holzschiff - Gewinner Goldener Bär Berlinale 2023


Ab 15. März 2024 als DVD und VOD: Wie ein elegantes Holzschiff liegt die Adamant am rechten Seine Ufer im Herzen von Paris vor Anker. Bei diesem Schiff, das dort in aller Seelenruhe wartet, handelt es sich um eine einzigartige Tagesklinik. Erwachsene mit psychischen Störungen gehen dort hin, die therapeutisch begleitet werden, sich hier vor allem aber kreativ entfalten: Sie schreiben Chansons, veranstalten Filmfestivals, dichten, malen und zeichnen. Das Team der Adamant zeigt tagtäglich, wie es auch in Zeiten eines angespannten Gesundheitssystems in der Krise gelingen kann, zugewandt und offen auf Menschen mit psychischer Erkrankung einzugehen. Aus sensiblen Beobachtungen und Gesprächen mit den Adamant-„Passagier*innen“ entsteht das leichtfüßige Portrait einer Einrichtung, deren Existenz Hoffnung macht.

Die Adamant liegt am Quai de la Rapée, am rechten Seine-Ufer, nur einen Steinwurf vom Bahnhof Gare de Lyon entfernt. Sie ist ein „Tageszentrum“ und gehört zum Zentralen Psychiatrischen Verbund der Paris-Gruppe, zu der auch zwei CMPs (Centres Médicaux Psychologiques – Psychologische Medizinische Zentren), ein mobiles Team und zwei Abteilungen des psychiatrischen Krankenhauses Esquirol, das wiederum dem Krankenhauskomplex Saint-Maurice angegliedert ist, angehören.

Der Film zeigt nur wenige Augenblicke aus der Umgebung in Frankreich in und um Paris. Im Mittelpunkt des Films steht das Schiff  mit dem Inneren der Adamant, somit steht das Gespräch mit den Beteiligten im Vordergrund. Insofern ist etwas wie ein Dialogfilm entstanden, der überwiegend aus Teilen der Rede und Antworten besteht. Aufschlussreich ist, was die Gefilmten zu erzählen haben und wie sie es formulieren was sie sagen. Das erfordert Einfühlungsvermögen, damit überhaupt jemand was sagt. Niemand zeigt sich verschlossen, alle Beteiligten wirken aufgeschlossen gegenüber dem Filmprojekt. Manchmal werden Interviews geführt. Eine Art Fragenkatalog wird abgearbeitet, wozu der oder die Befragte Stellung nimmt. Das geschieht auf freundliche Art, um niemanden zu verstören. Sonst wird nicht allzu viel über die Dreharbeiten und deren Hintergründe verraten. Das Projekt soll seine filmische Geschlossenheit bewahren. Im Mittelpunkt stehen, wie gesagt, die Besucher und Besucherinnen der Tagesklinik. Eine solche Einrichtung könnten andere Orte auf der Welt genauso gebrauchen, Flusslandschaften zum Ankern finden sich in Hülle und Fülle. Es müsste nur jemand eine Idee haben und diese praktisch umsetzen. 

Es handelt sich also nicht um einen isolierten Ort, denn die miteinander verknüpften Einheiten, aus denen die Gruppe besteht, bilden ein Netzwerk, in dem Patienten und Betreuer ständig in Bewegung sind und mittels der verschiedenen Angebote eine für sie passende Lösung finden können. Die Adamant ist ein schwimmendes Holzgebäude mit einer Fläche von 650 qm und großen Fenstern, die sich zur Seine hin öffnen. Für den Entwurf arbeiteten die Architekten eng mit den Betreuern und den Patienten der Einrichtung zusammen. Im Juli 2010 wurde sie eröffnet. Da die öffentliche psychiatrische Versorgung in Frankreich in Sektoren unterteilt ist, ist die Adamant, wie auch die anderen Aufnahmezentren der Pariser Zentralgruppe, für Patienten aus den ersten vier Arrondissements der Hauptstadt vorgesehen. Manche kommen jeden Tag, andere nur ab und zu, in regelmäßigen oder unregelmäßigen Abständen. Sie kommen aus allen Altersgruppen und aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten. Der Tag beginnt mit einem Frühstück für alle Anwesenden. Am Montag findet ein wöchentliches Treffen statt, bei dem Beteiligte zusammenkommen. Jeder kann Punkte auf die Tagesordnung setzen, die er oder sie besprochen haben möchte, Neuigkeiten werden ausgetauscht, Projekte geplant: ein Theaterbesuch, der bevorstehende Besuch eines Gastes, ein Waldspaziergang, ein Konzert, eine Ausstellung… Das Betreuungsteam besteht aus Krankenpflegern, Psychologen, Ergotherapeuten, einem Psychiater, einem Sekretariat, zwei Krankenhausmitarbeitern und verschiedenen externen Mitarbeitern mit unterschiedlichem Hintergrund.

Aufgaben des täglichen Lebens werden kontinuierlich begleitet. Alle, sowohl die Patienten als auch die Betreuer, sind eingeladen, daran mitzuhelfen, es „gemeinsam zu schaffen“. Die therapeutische Funktion der Einrichtung betrifft die Gruppe als Ganzes. Jeder kann sich einbringen, unabhängig von Status, Ausbildung, Platz in der Hierarchie, Persönlichkeit oder Lebensstil. Es wird hier niemanden vor den Kopf stoßen, wenn eine Patientin der Person, die an diesem Tag die Bar leitet – sei es eine Betreuerin, eine Krankenschwester, ein „einfacher“ Praktikant oder ein anderer Patient -, wichtige Dinge anvertraut und dem Psychiater bei der Konsultation am nächsten Tag nicht viel sagt, denn das Team wird einen Weg finden, die verstreuten Informationen miteinander zu verknüpfen.

Es gibt zahlreiche Workshops: Nähen, Musik, Lesen, die Herausgabe einer Zeitung, einen Filmclub, Schreiben, Zeichnen und Malen, Radio, Entspannung, Lederarbeiten, Marmeladenherstellung, kulturelle Ausflüge… Aber die Patienten können auch einfach nur kommen, um dort einen Moment zu verbringen, einen Kaffee zu trinken, sich willkommen und unterstützt zu fühlen und sich von der Atmosphäre des Ortes einfangen zu lassen. Die angebotenen Workshops erfüllen keinen Selbstzweck, sie sind vielmehr eine Einladung, sich nicht zu Hause einzuschließen, sondern sich wieder mit der Welt zu verbinden und die Beziehung zu ihr neu zu gestalten.

Filmwebiste:  GRANDFILM – AUF DER ADAMANT

Regie, Kamera, Schnitt Nicolas Philibert
Regie unter Mitwirkung von Linda De Zitter
Kameraassistenz Rémi Jennequin, Pauline Pénichout,
Camille Bertin, Katell Djian
Ton Erik Ménard, François Abdelnour
Praktikant Baptiste Vidal
Schnittassistenz Janusz Baranek, Meryll Chandru
Tonschnitt/Tonmischung Nathalie Vidal
Assistenz Tonschnitt/Tonmischung Élias Boughedir
Grading Christophe Bousquet
Postproduktion Delphine Passant
Koproduzent Norio Hatano
Produzent*innen Miléna Poylo & Gilles Sacuto, Céline Loisea
Produktionsassistenz Clément Reffo
Eine Koproduktion von TS Productions, France 3 Cinéma, Longride
Mit Beteiligung von Ciné+, France Télévisions,
Centre national du cinéma et de l’image animée,
Les Films du Losange, Universciné
Mit Unterstützung durch Région Île-de-FranceIn Zusammenarbeit mit CNC
Mit Patient*innen und therapeutischem
Personal der Adamant-Tagesklinik

Produktionsland und -jahr: Frankreich/Japan 2022, Spieldauer: 109 Minuten, Gattung: Dokumentarfilm, Format: DCP-2K, 1,85 : 1, Sprache: franz. OmU-Fassung,  franz. Originaltitel: Sur l ‘Adamant

Siehe auch:  Interview mit Nicolas Philibert AUF DER ADAMANT (Frankreich 2022)

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