Händels ‚Hercules‘ an der Oper Frankfurt – Aufführung vom 15. September „Ein Mikrokosmos in dem sich alles organisch fügt" heißt es im Interview mit Regisseur Barrie Korsky


Gelungener Auftakt, gelungene Oper, wie am Beifall aus dem Publikum zu hören war. Die Inszenierung spielt hinter verschlossenen Gardinen, die im Hintergrund der Bühne aufgereiht sind und im Verlauf der Oper mehrmals wie in einem Szenenwechsel auf und zu gezogen werden. Im ersten Teil sitzt eine steinerne Skulptur im Raum Herkules symbolisierend unbeweglich auf dem Sofa. Insgesamt bietet sich mit den weichen Farben im Bühnenaufbau ein bürgerliches Ambiente. Die Weite des Wohnzimmers erstreckt sich bis in die äußersten Winkel der Bühne, die hell erleuchtet ist. Sowohl Oratorien als auch Opern in neuzeitlicher Ausprägung entstanden zuerst im 17. Jahrhundert. Von Händel selbst wurde sein englischsprachiges Oratorium ‚Hercules‘ in London anlässlich seiner Uraufführung 1745 als A New Musical Drama angekündigt.  

Anthony Robin Schneider (Hercules) ist zusammengebrochen. Vergeblich versucht er, sich das Hemd mit dem todbringenden Stoff vom Leib zu reißen (c) Monika Rittershaus

Regisseur der Frankfurter Aufführung Barrie Korsky stellt die Frage, was verbindet Jephta, Theodora, Saul, Semele und Hercules miteinander? Er erkennt, dass in Händels Oper noch nicht die psychologische Tiefe wie bei Mozart und Gluck zu finden sei. Händels Opern haben jedoch allesamt starke Frauenfiguren. Insofern findet er thematische Tiefe auch bei Händel wieder. Zudem stellt sich die Rolle des Chores heraus, der in ‚Hercules‘ sogar eine Doppelfunktion hat. Zum einen spielt die moralische Frage eine Rolle wie bei den griechischen Chören, als auch die Rolle als Teil des Volkes zu gelten, agierend und einschreitend. Händels Oratorien wurden zunächst nicht für die Bühne geschaffen, sie sind nach Meinung des Regisseurs aber viel dramatischer als Händels Opern. Opern waren hauptsächlich für die Stimmen gemacht, Oratorien dagegen muten ganz anders an, indem sie als radikale Form des Theaters fungieren. Handlungen sind komplexer als die in den Opern. Besonders bemerkenswert ist, dass in ‚Hercules‘ nicht der Titelheld im Mittelpunkt des Geschehens steht, der tritt insgesamt nur dreimal als Person auf. Es ist mit Dejanira vielmehr das Portrait einer traumatisierten Frau, das im Mittelpunkt des Geschehens verbleibt. Wobei Händel immer eine große Vorliebe für die griechische Tragödie und Shakespeare hegte. 

Paula Murrihy (Dejanira; links mit gestreifter Bluse) und Chor der Oper Frankfurt (c) Monika Rittershaus

Zum Inhalt des ersten Teil: Dejanira, die Gemahlin des Thrakischen Königs Hercules, beklagt sich über die lange Abwesenheit ihres Mannes. Die irische Sopranistin Paula Murrihy singt Dejanira, die bemitleidenswerte Gattin Hercules. Im ersten Teil trägt sie eine auffällig altmodisch, schwarzweiß, vertikal gestreifte Bluse, die ihre Erhabenheit zum Ausdruck bringen soll und zugleich die negative Rolle im Zusammenspiel zum Ausdruck bringt. Ihr Sohn Hyllus berichtet von einer düsteren Prophezeiung, dass Hercules sterben wird. Dejanira ist besorgt, dass sie ihren Ehemann erst im Schattenreich wiedersehen wird. Hyllus, gesungen von Michael Porter, entscheidet sich, seinen Vater zu finden.

Hercules‘ Schwester Lichas, mit der Stimme von Kelsey Lauritano verkündet den Sieg ihres Bruders. Er kehrt mit einem Zug von Gefangenen zurück, darunter auch Prinzessin lole, die Schwester des Königs der Oechalier. Iole wird gesungen  von der entzückenden Giulia Semenzato. Hercules hat festgelegt, dass Iole sich in Trachis frei bewegen darf. Dennoch ist sie traurig über den Verlust ihres Vaters und ihrer Heimat. Hercules ist bereit, die Waffen für immer zu vernichten und freut sich auf die Liebe seiner Ehefrau.

Dejanira ist von Eifersucht geplagt, da sie glaubt, Hercules habe Oechalia nur angegriffen, um Iole zu besitzen. Doch lole weist die Behauptung zurück. Ohne Erfolg versucht auch Lichas, Dejanira von ihren quälenden Gedanken zu befreien. Doch diese ist fest von der Untreue ihres Ehemanns überzeugt.

v.l.n.r. Michael Porter (Hyllus), Kelsey Lauritano (Lichas) und Paula Murrihy (Dejanira) (c) Monika Rittershaus

Im zweiten Teil hat sich der Bühnenaufbau nur unwesentlich verändert. Das bildprägende in der Mitte positionierte Sofa ist verschwunden und aus dem sitzenden Herkules aus Stein ist eine stehende Skulptur  geworden immer noch denselben symbolisierend. Etwas unglücklich ist die steinerne Wahl schon, da Hercules, gespielt und gesungen von Anthony Robin Schneider auch in persona als siegreicher Kriegsheimkehrer auf der Bühne vorkommt. 

Hyllus verliebt sich in Iole, doch sie lehnt den Sohn des Mannes ab, der ihren Vater getötet und ihre Heimat zerstört hat.

Vor der Siegesfeier hält Dejanira ihrem Ehemann Untreue vor. Er bestreitet die Vorwürfe und bittet sie, ihre grundlose Eifersucht zu vergessen. In ihrer Verzweiflung erinnert sie sich an ein Gewand, das ihr der Kentaur Nessos gegeben hatte, nachdem er von Hercules tödlich verletzt worden war. Nessos hatte ihr versichert, dass das blutgetränkte Hemd die erloschene Liebe wiederbeleben würde. Durch Lichas lässt Dejanira das Hemd als Versöhnungsgeschenk an Hercules überbringen. Dejanira bittet Iole um Verzeihung, da sie glaubt ihr Ehemann wird wieder ihr allein gehören. Worauf Lichas berichtet, wie Hercules das Hemd Dejaniras erhielt und es anzog: Die Hitze des Altarfeuers habe das Gift im Gewand zum Schmelzen gebracht und es sei durch seinen Körper geströmt. Hercules sei zusammengebrochen und habe vergeblich versucht, sich den todbringenden Stoff vom Leib zu reißen.

In seinen höllischen Qualen beschuldigt Hercules seine Frau und bittet Hyllus, seinen Leichnam auf den Berg Oeta zu tragen und dort auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen. Entsetzt darüber, dass sie zur Vollstreckerin von Nessos’ Rache wurde, sieht Dejanira im Wahn ihre schuldige Seele von den Furien gehetzt. Trotz ihrer eigenen Not bemitleidet lole Hercules’ Familie.

Jupiters Priester berichtet, ein Adler habe Hercules’ Leichnam vom Scheiterhaufen geholt und sei mit ihm zum Himmel emporgestiegen. Er sei in den Kreis der Götter aufgenommen worden. Auf Jupiters Befehl soll Hyllus nun lole heiraten.

Musikalische Leitung Laurence Cummings
Inszenierung Barrie Kosky
Szenische Leitung der Wiederaufnahme Alan Barnes
Bühnenbild, Kostüme Katrin Lea Tag
Licht Joachim Klein
Chor Álvaro Corral Matute
Dramaturgie Zsolt Horpácsy
Hercules Anthony Robin Schneider
Dejanira Paula Murrihy
Hyllus Michael Porter
Iole Giulia Semenzato
Lichas Kelsey Lauritano
Der Priester des Jupiter Sakhiwe Mkosana
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Georg Friedrich Händel 1685—1759

Oratorium in drei Akten
Text von Thomas Broughton
Uraufführung 1745, King’s Theatre, Haymarket, London

Premiere vom 30. April 2023

In englischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln