Dass Künstlerinnen bezüglich ihrer Anerkennung gemessen am Wert der Erlöse ihrer Werke bis heute noch immer weit hinter ihren männlichen Kollegen zurückstehen, gehört nicht unbedingt zu den neuesten Erkenntnissen der Jetztzeit. Daher gilt es, diese anachronistische Einschätzung künstlerischer Fähigkeiten von Frauen endlich zu widerlegen, denn es gibt eine Vielzahl von Beispielen, die belegen, dass sie diese aufgrund vieler widriger, hauptsächlich den Konventionen geschuldeter Umstände, nicht genug zur Geltung bringen konnten.
Wir finden die Geschichte von Gabriele Münter, dieser starken Frau, symptomatisch für die mangelnde Anerkennung von Frauen in der Kunst und gerade heutzutage besonders erzählenswert. Ihre Geschichte ist aber nicht taxativ ohne die Berücksichtigung des Mannes, mit dem sie einen Mikrokosmos gemeinsamer Ambitionen geschaffen, mit dem sie Konflikte ausgetragen und ihre Selbstachtung nahezu komplett verloren, sie dann aber wieder mühsam zurück errungen hat: Wassily Kandinsky. Wir wollen das Klischee ihres aus der Vergangenheit entsprungenen Schattendaseins mit diesem Filmvorhaben brechen. Mittlerweile zählt Gabriele Münter in der Kunstwelt zu den bedeutendsten Malerinnen der Klassischen Moderne. Im vergangenen Jahr wurde erstmals eines ihrer Bilder zu einem siebenstelligen Betrag verkauft.
Es gab zuvor keine einzige fiktionale Verfilmung über diese beiden Künstler:innen bis auf einen jahrzehntelalten russischen Stummfilm in s/w. Es ist an der Zeit dafür, vor allem auch, weil es um eine der bedeutendsten Epochen der modernen Kunstgeschichte geht: der gewagte Ritt des Blauen Reiters zum Aufbruch in den Expressionismus und die abstrakte Malerei. Es geht den Gründern, neben Kandinsky und Münter, vor allem Franz Marc, August Macke und anderen um die Symbolik der Farben und das intuitive Herangehen, nicht um Nachbildung von Natur. Für Kandinsky, den Synästhetiker, der Klänge sieht und Farben hört (eine neurologische Störung, die eine Vertauschung der Sinne auslöst), ist das die entscheidende Phase für seine Experimente mit der Abstraktion. Marcus O. Rosenmüller hat dafür gemeinsam mit DOP Namche Okon die passende virtuose Bildsprache entwickelt.
Dieser erfolgreiche Befreiungsschlag beeinflusst auch Münters und Kandinskys Beziehung: Ihre Kunst und ihre Liebe erfährt eine neue Hochphase. Im gemeinsamen Haus in Murnau erleben sie ihre größte gemeinsame Schaffensperiode. Hier entwickelt sich Kandinsky vom Impressionisten, der von Monet inspiriert war, zum farbintensiven Expressionisten. Das Zusammenleben dieser Jahre befruchtet das Schaffen beider gegenseitig. Aber die Dinge ändern sich mit Beginn des I. Weltkrieges drastisch. Aus verzückt wird verliebt, verlobt, verlassen, schließlich Feindschaft. Zerfressen vom Hass auf einen Mann, der ihr vieles versprach und am Ende nichts hielt.
Eine zutiefst verletzte Frau, deren Tage auch noch Jahre nach der Trennung eher von Elend, denn von Glanz geprägt sind. Und dennoch ist die Kunst und die Resilienz dieser Frau am Ende stärker als ihr Groll. Mit dem Film MÜNTER & KANDINSKY möchten wir unterschiedlichen Generationen zeigen, wie aus Talent Leidenschaft und aus Leidenschaft Erfolg werden kann – trotz aller Konventionen. Die toxische Liebesbeziehung sowie die aus ihr heraus entstandenen Kunstwerke finden über unsere magischen Bilder ihren Weg auf die große Leinwand, wo sie hingehören. Die visuelle Vergegenwärtigung dieser bildgewaltigen Ära und ihrer Protagonisten wurde erstmalig fiktional inszeniert.
Über Gabriele Münter
Gabriele Münter zählt heute zu den bedeutendsten Vertreterinnen der Klassischen Moderne. Sie war nicht nur eine der Mitbegründer/innen der Neuen Künstlervereinigung München, sondern nahm auch großen Einfluss bei der Gründung der zu Weltruhm gelangten Künstlergemeinschaft Der Blaue Reiter.
Die aus einem lockeren Beziehungsnetz bestehende Gruppe kritisierte den herrschenden Kunstkanon als zu akademisch und elitär und forderte mehr Offenheit und Vielfalt. In ihrer Formensprache verabschiedeten sich die Künstler:innen vom Realismus und malten nun expressiv und zunehmend abstrakt.
Obwohl Münter von Anfang an ihren künstlerischen Input einbringt, wird ihr lange die große Anerkennung in der Kunstwelt versagt, die ihr Lebensgefährte Wassily Kandinsky und Franz Marc für sich in Anspruch nehmen konnten, die ihr aber heute von Galeristen, Kuratoren, Museen und Kunstsammlern auf der ganzen Welt zuteil wird. Aus dem langen Schatten Kandinskys ist Gabriele Münter endlich hervorgetreten.
Gabriele Münter wird am 19. Februar 1877 als jüngstes Kind des Zahnarztes Carl Münter und seiner Frau Wilhelmine in Berlin geboren. Münter, der sich in Berlin „Amerikanischer Dentist und Hofzahnarzt“ nannte, war als 23-Jähriger mit einem Freund in die USA ausgewandert, wo er am Dental College in Cincinnati Zahnmedizin studierte. Nach verschiedenen Ortswechseln ließ sich Münter, der inzwischen die Tochter eines deutschen Einwanderers aus Herford geheiratet hatte, mit seiner Frau in Savannah nieder, wo das Paar einen Drugstore mit angeschlossener Zahnarztpraxis führte. Wegen der zunehmenden Unruhen in den 1860er-Jahren und dem beginnenden Sezessionskrieg in Amerika, kehren die Münters 1864 nach Deutschland zurück und lassen sich in Berlin nieder. Während der kommenden Jahre bekommen Carl und Wilhelmine vier Kinder: August (1865), Carl Theodor (1866), Emmy (1869) und Gabriele (1877). 1879 siedelt die Familie von Berlin nach Herford um, kurze Zeit später nach Koblenz. Als Gabriele neun Jahre alt ist, stirbt ihr Vater. Zwei Jahre später, 1888, stirbt auch ihr ältester Bruder August, der wie sein Vater Zahnmedizin studiert hatte. Gemeinsam mit zwei Geschwistern wächst Gabriele Münter nun ohne viel Erziehung bei der zurückgezogen lebenden Mutter auf.
Im Frühjahr 1897 beginnt sie im Alter von 20 Jahren ihr Studium mit dem Schwerpunkt Zeichnen an der Düsseldorfer Damenkunstschule von Willi Spatz. Im November des gleichen Jahres verstirbt ihre Mutter, ein tragisches Ereignis, das Gabriele aus der Bahn wirft. Denn das eher abgeschiedene Leben bei der Mutter, die nie richtig Deutsch gelernt hatte, führte dazu, dass die junge Frau jenseits der Familie wenig Kontakt zu anderen hatte, was später dazu beiträgt, dass sie sehr unbeholfen im Umgang mit anderen Menschen ist.
Nach dem Tod der Mutter tut sie es ihrem Vater gleich und geht in die USA. Durch das bescheidene Erbe des Vaters verfügt sie über die nötigen finanziellen Mittel, um gemeinsam mit ihrer Schwester Emmy für zwei Jahre Verwandte und Freunde ihrer Eltern in den Staaten aufzusuchen. Dort entstehen erste Schwarzweißfotografien, die das karge Leben in den ländlichen Gegenden Amerikas porträtieren.
1901, nach ihrer Rückkehr, zieht Gabriele nach München. Da eine professionelle Ausbildung zur Künstlerin an staatlichen Kunstschulen Frauen zu dieser Zeit weitgehend verwehrt ist, entscheidet sie sich für eine private Akademie, die Geld kostet und deren Dozenten nicht den gleichen Ruf genießen wie die an staatlichen Akademien. Münter schreibt sich in der Malschule „Phalanx“ ein, an der u. a. der russische Künstler Wassily Kandinsky unterrichtet.
Schnell spüren die beiden eine innere Verbindung zueinander. Die zierliche und zurückhaltende junge Frau bleibt nicht nur Kandinskys Schülerin, sondern wird bald auch seine Lebensgefährtin, obwohl Wassily zu dieser Zeit ein verheirateter Mann ist.
Im Jahr 1908 ziehen Münter und Kandinsky nach Murnau in Oberbayern, gemeinsam mit den Künstlerkollegen Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin. Zusammen mit Wassily Kandinsky widmet sich die Künstlerin der Hinterglasmalerei und der Volkskunst. In dieser Zeit stellt sich für sie zumindest ein beachtenswerter künstlerischer Erfolg zu Lebzeiten ein. In ihrer Murnauer Epoche fertigt Münter großartige Bilder von der oberbayerischen Landschaft. So entsteht 1908 das Werk mit dem Titel „Blick aufs Murnauer Moos“, im Jahr darauf folgt „Grabkreuze in Kochel“.
Münters frühe Werke, zumeist Landschaftsstudien, orientieren sich am Stil des Impressionismus. In Murnau allerdings erfährt ihre Kunst eine ganz neue Stilrichtung. Unter dem Einfluss der Fauvisten, Kandinskys und vor allem durch die Werke von Jawlensky wandelt sich ihre Ausdruckssprache von der impressionistischen Malerei zum expressionistischen Charakter. Ihre neu entwickelte expressionistische Malerei besticht durch die charakteristische Vereinfachung und die individuelle Farbgebung, die sich in leuchtenden und frischen Farben ausdrückt. Auch ihre Bildkomposition zeigt einen eigenen Charakter, indem sie große Farbflächen nebeneinander aufträgt und diese durch eine breite schwarze Pinsellinie mit einer Kontur versieht.
In diesem Stil entstehen Werke mit Titeln wie „Dorfstraße im Winter“ (1911) oder „Kandinsky am Tisch“ aus dem gleichen Jahr. Die Beziehung mit dem russischen Künstler dauert bis zum Jahr 1914. Kandinsky setzt sich in den Wirren des Ersten Weltkriegs nach Russland ab. Münter siedelt nach Stockholm über, um im neutralen Ausland für ihn erreichbar zu sein. Hier lernt sie Werke der schwedischen Avantgardisten kennen und stellt dort bis zum Jahr 1920 selbst mehrmals aus.
1916 sehen sich Kandinsky und Münter ein letztes Mal. Von Juni 1917 an erhält sie keine Nachrichten mehr von ihm. Als Kandinsky 1921 wieder nach Deutschland zurückkehrt, bringt er seine 30 Jahre jüngere Frau Nina Nikolajewna Andreevskaja. Münter ist zutiefst verletzt, fühlt sich betrogen, wird rast und ruhelos und kommt kaum mehr zum Malen. In der Folgezeit siedelt sie nach Berlin um.
Im Jahr 1931 zieht es sie erneut nach Murnau. Dort entsteht ihr bedeutendes Spätwerk mit Landschaftsbildern und Stillleben im Charakter des Expressionismus. Spätere Bilder als Studien oder Stillleben dokumentierten einen weiteren Stilwechsel.
In dieser letzten Schaffensperiode lehnen sich ihre Darstellungen an die Strömung des Abstrakten Expressionismus an wie etwa der Titel „Schwarz entzweit“ aus dem Jahr 1952. Trotz einiger Erfolge konnte Gabriele Münter von ihrer Kunst kaum leben. Sie und ihr späterer Lebensgefährte, der Kunsthistoriker Johannes Eichner, den sie 1927 kennengelernt hatte, lebten bis zu ihrem Tod in sehr bescheidenen Verhältnissen in Münters kleinem Haus im Vorland der Bayerischen Alpen. Gabriele Münter stirbt verarmt am 19. Mai 1962 in Murnau, Eichner vier Jahre vor ihr. Gabriele Münter wurde in ihrem langen Leben gefeiert, vergessen und wiederentdeckt. Eine große Künstlerin, eine starke Frau.
Über Wassily Kandinsky
Kandinsky wird am 4. Dezember 1866 als Sohn des wohlhabenden Teehändlers Wassily Silvestrowitsch Kandinsky und dessen Frau Lidija in Moskau geboren.
Mitte der 1880er-Jahre studiert er Rechtswissenschaft. Dieser Laufbahn kehrt er jedoch bald den Rücken und übernimmt die künstlerische Leitung der Moskauer Druckerei Kušnerev.
1896 sieht er in einer Ausstellung französischer Kunst in Moskau ein Gemälde aus Claude Monets Serie der „Heuhaufen“. Für den Synästhetiker Kandinsky ein Schlüsselerlebnis: Er ist beeindruckt, wie sich bei Monet Farbe und Malerei vom Gegenstand befreien und verselbstständigen. Diese Haltung zeigt sich in Kandinskys Werk bis in die Jahre des Blauen Reiters. Im Dezember 1896 übersiedelt Wassily Kandinsky gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau nach München, um Malerei zu studieren. Nach dem Besuch der Privatschule des slowenischen Kunstlehrers Anton Azbe (1897–1899) setzt er seine Studien an der Münchner Kunstakademie in der Klasse von Franz von Stuck fort (1900–1903). In diesen Jahren trifft er zum ersten Mal den zwei Jahre älteren und malerisch sehr erfahrenen Alexej von Jawlensky, der ebenfalls bei Azbe studiert hat. Jawlenskys Lebensgefährtin, die Künstlerin Marianne von Werefkin, hatte ihre eigene Karriere aufgegeben, um den Partner zu fördern. Beide werden 1908 in Murnau wichtige Diskussionspartner für Kandinsky.
Enttäuscht von den Lehrmethoden Stucks gründet Kandinsky im Mai 1901 die Ausstellungsvereinigung „Phalanx“ (1901–1904), der er sehr bald als Präsident vorsteht. Die im Winter 1901/02 gegründete private Malschule gleichen Namens akzeptiert auch Frauen. Im Rahmen seiner dortigen Lehrtätigkeit trifft Kandinsky die 24-jährige Gabriele Münter. Um seiner Ehe zu entfliehen, brechen Wassily Kandinsky und Gabriele Münter im Mai 1904 gemeinsam zu einer mehrjährigen Reise auf: Auf Stationen in Holland, Tunesien, Dresden, Odessa und Rapallo folgt schlussendlich ein einjähriger Aufenthalt in Paris und Berlin.
Seine zwischen 1900 und 1906 entstandenen Landschaftsstudien, die malerische Auseinandersetzung mit dem Naturabbild, befriedigen ihn offensichtlich nicht mehr, da er sich schon längst mit anderen Fragestellungen beschäftigt. Wie lässt sich die Kraft der Natur einfangen? Wie funktioniert ein Bild? Und: Welche Strategien führen zu einer gelungenen Komposition?
Welchen [geistigen] Gehalt vermag ein Bild zu transportieren? Wassily Kandinsky ist zunehmend an kompositionellen Problemen interessiert und lehnt es ab, die Eindrücke sichtbarer „Realität“ abzubilden.
Um 1906 beendet Kandinsky die Versuche, landschaftliche Szenen festzuhalten. Gerade in diesen Landschaftsstudien hatte er allerdings, ohne dies vielleicht im Nachhinein selbst wahrnehmen zu können, schon längst unbewusst die Entfernung von der sichtbaren Welt vorangetrieben.
Obwohl Kandinsky bis 1911 mit seiner ersten Ehefrau verheiratet bleibt, leben er und Gabriele Münter als Paar zusammen. Im Frühjahr 1908 entdecken sie den Ort Murnau, wo sie gemeinsam mit Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin einen produktiven Malaufenthalt verbringen. Hier gelingt den Vieren der Durchbruch zum expressiven Malstil.
Zu dieser Zeit beginnt Wassily Kandinsky, Prosagedichte zu verfassen (1908 bis 1912), die er 1913 im Piper Verlag unter dem Titel „Klänge“ veröffentlicht. 1909 gründet er die „Neue Künstlervereinigung München“, kurz NKVM, als Sammelbecken avantgardistischer Tendenzen (1909–1912). Der noch unbekannte Maler Franz Marc schreibt 1910 eine Entgegnung in der Presse, welche die zweite Ausstellung der NKVM vernichtend kritisiert hatte.
Am Neujahrsabend 1911 lernen die beiden einander persönlich kennen und beginnen intensiv zusammenzuarbeiten. Am 8. Oktober wird ihm auch Paul Klee vorgestellt; die Freundschaft zwischen den beiden Nachbarn in München intensiviert sich allerdings erst während der Bauhaus-Zeit.
Im Herbst 1911 bereiten Kandinsky und Marc – parallel zur Ausstellungsvorbereitung der NKVM – eine eigene Gruppenausstellung samt Almanach vor. Da Kandinskys abstraktes Werk „Komposition V“ aufgrund seiner Größe von NKVM zurückgewiesen wird, kommt es zum Bruch und zum Austritt. Wenige Wochen später initiiert er gemeinsam mit Franz Marc und Gabriele Münter die insgeheim bereits lose formierte Gruppe Der Blaue Reiter.
So gelingt den Expressionist:innen die erste Ausstellung bereits im Dezember 1911. Der Almanach Der Blaue Reiter erscheint im Mai 1912. Gleichzeitig stellt Wassily Kandinsky auch sein erstes Buch „Über das Geistige in der Kunst“ (Publikationsjahr 1912) fertig. Mit den Aufzeichnungen zu einer Farbenlehre hatte er bereits 1904 begonnen.
1914 verlässt Kandinsky als „feindlicher ausländer“ das Deutsche Kaiserreich und reist zunächst in die Schweiz, wo er Klee kontaktiert, bevor er im November in seine Heimatstadt Moskau zurückkehrt. Gabriele Münter übersiedelt in das neutrale Stockholm und lagert das Werk von Kandinsky ein. Im Winter 1916 trifft sich das Paar in Schweden. Kandinsky reist zurück nach Moskau und verspricht Münter, sich um die Ehepapiere zu kümmern. Nur wenig später lernt Wassily Kandinsky Nina Andreevskaja kennen, die er am 11. Februar 1917 heiratet.
Der gemeinsame Sohn verstirbt im Alter von drei Jahren.
Münter erstreitet später gerichtlich das Eigentum an zahlreichen Werken Kandinskys, die während der gemeinsamen Jahre entstanden sind. Diese während der NSZeit als „entartet“ diffamierten Bilder versteckt sie später erfolgreich hinter Marmeladengläsern in der Lebensmittelkammer ihres Murnauer Hauses.
Nach der Russischen Revolution hatte Wassily Kandinsky sein gesamtes Vermögen verloren. Dennoch arbeitet er aktiv an der Neuordnung der russischen Kunstszene nach der Revolution mit und übernimmt Leitungsfunktionen in Moskau. Das Lehrprogramm des im Mai 1920 gegründeten Instituts für Künstlerische Kultur (INChUK) wird von den Vertretern des Konstruktivismus als subjektiv, Kandinskys Kunstauffassung als „bourgeois [bürgerlich]“ zurückgewiesen. Dennoch wird er Anfang 1921 in das Komitee zur Gründung einer Russischen Akademie der Kunstwissenschaften berufen. Aufgrund der kunstpolitischen Schwierigkeiten und der schlechten Versorgungslage, verlassen Wassily und Nina Kandinsky im Dezember 1921 Russland und ziehen nach Berlin.
Im März 1922 besucht Walter Gropius Wassily Kandinsky in Berlin und lädt ihn ein, als Lehrer ans Bauhaus zu kommen. Am 1. Juli 1922 tritt Wassily Kandinsky in den Lehrkörper in Weimar ein. Wie Paul Klee wird ihm ein Teil der Grundausbildung übertragen: „Gestaltungslehre Farbe“, „Analytisches Zeichnen“, die künstlerische Leitung der Werkstatt für Wandmalerei. Schon zwei Jahre später findet sich der Maler im Zentrum einer Debatte von Mitgliedern der konservativen Thüringer Landesregierung wieder, die ihn als „Kommunisten und gefährlichen Agitator“ brandmarken. Deshalb sieht sich Kandinsky gezwungen, Weimar zu verlassen und nach Dresden zu übersiedeln. Dort beteiligt er sich kurz an den Bemühungen zur Wiederbelebung der Kunstakademie.
Im Juni 1925 zieht Wassily Kandinksy mit dem Bauhaus nach Dessau um, wo er sich mit Paul Klee und dessen Familie ein Doppelhaus teilt. Wegen der zunehmenden Ausrichtung des Bauhauses auf Industriedesign, fordert er dort die Einrichtung freier Malklassen. Ab Oktober 1932 unterrichtet er im ehemaligen Bauhaus nun das private „Freie Lehrund Forschungsinstitut“ in Berlin.
Am 16. Dezember 1933 verlässt der Künstler, dessen Bilder von den Nationalsozialisten als „entartet“ gebrandmarkt werden, zusammen mit Nina Deutschland und trifft am 21. Dezember in Paris ein. Mehrmals wird ihm eine Lehrtätigkeit in den USA angeboten (1931 Arts Students League in New York, 1935 Black Mountain College in Asheville), die der Maler aber jedes Mal ausschlägt.
Die Kandinskys wohnen in Neuilly-surSeine. Der bis zu seinem Lebensende täglich malende Kandinsky wird von Christian Zervos in einer Einzelausstellung 1934 dem Pariser Publikum vorgestellt. Während der 1920erund auch noch in den 1930er-Jahren hat es Kandinsky schwer, mit seiner Kunst Anerkennung zu finden. Häufig werden seine abstrakten Kompositionen als „dekorativ“ abgetan. Der wichtigste Sammler des Künstlers wird der New Yorker Solomon Guggenheim, der sich für ungegenständliche Kunst begeistert.
Guggenheim kauft auch aus der Ausstellung „Entartete Kunst“, in der 14 Werke Kandinskys gezeigt werden. Insgesamt werden 57 Werke Kandinskys aus deutschen Museen konfisziert und verkauft. Obwohl Kandinsky mehrfach eingeladen wird, nach Amerika zu emigrieren, lehnt er stets ab.
Im Frühjahr 1944 erkrankt Wassily Kandinsky, arbeitet aber bis Ende Juli weiter. Am 25. August wird Paris durch die Alliierten von den deutschen Besatzern befreit. Am 13. Dezember stirbt Kandinsky im Alter von 78 Jahren an einem Hirnschlag.