In aktuellen Debatten der Schweiz um die grundlegende Transformation des Bauwesens zur Reduzierung seiner Auswirkungen auf die Umwelt – die sogenannte Bauwende – spielen Erhalt und Pflege des Gebäudebestandes eine zentrale Rolle. Der Umbau oder die Umnutzung eines bereits existierenden Gebäudes ist gegenüber einem vergleichbaren Neubau wesentlich ressourcenschonender. Entsprechend verändert sich das Wesen der Architektur: Wo früher der Fokus auf Neubau lag, gilt nun das Bauen im Bestand als die Zukunft der Disziplin. Aus diesem Grund ist eine Ausstellung des S AM Schweizerisches Architekturmuseum in Zusammenarbeit mit dem für Konstruktionserbe und Denkmalpflege unter der Leitung von Prof. Dr. Silke Langenberg an der ETH Zürich entstanden.
Vor diesem Hintergrund bekommen die Theorie und Praxis der Denkmalpflege eine neue Dringlichkeit. Seit jeher versteht diese Disziplin den gebauten Bestand als eine wertvolle Ressource und hat verschiedene Ansätze und Methoden dafür entwickelt, das Vorhandene sorgsam in die Zukunft zu überführen. Was lässt sich von dieser Herangehensweise lernen und welche neuen Impulse können aus einem vertieften Dialog zwischen Denkmalpflege und Architektur entstehen? Allzu oft sind Vertreter*innen beider Disziplinen in der Vergangenheit einander eher
misstrauisch begegnet.
![]() |
![]() |
2025 jährt sich zum fünfzigsten Mal das Europäische Denkmalschutzjahr 1975, in dem durch koordinierte Kampagnen in ganz Europa eindringlich auf die Bedeutung des gebauten Erbes aufmerksam gemacht wurde. Die Ausstellung nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, einen näheren Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Denkmalpflege zu werfen, um neue Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit Architekturschaffenden auszuloten. Künstlerische Leitung: Andreas Ruby (S AM); Kuratiert von: Yuma Shinohara (S AM).
Die Ausstellungen im S AM Basel teilen sich in 4 Ausstellungsräume auf, die seitlich im gleichen Gebäude der Kunsthalle Basel am Steinenberg 7 angesiedelt sind. Eingangsraum und drei Seitenräume sind durchquerbar. Die Ausstellungsräume 2 und 3 sind durch eine geöffnete Tür miteinander verbunden, Raum 4 ist durch eine leicht überwindbare dünne Vorhangwand getrennt und dient als Raum der Kontemplation. An einer Bar die über Kreuz angelegt ist, befinden sich zahlreiche literarische Werke aus Architektur und Denkmalpflege in der offenen Vitrine,, worin geblättert und gelesen werden darf. Obst, Gebäck und Getränke liegen auf der Theke aus.
Ausstellungsraum 2: Sudent*innen des Wahlfachs ‹Denkmalpflege: Ausstellen und Vermitteln›, Herbstsemester 2024, ETH Zürich
Ausstellungsraum 3: ARGE Boesch Diener – Eisabeth Boesch, Martin Boesch, Roger Diener, Fabian Kiepenheuer Dieter Righetti
Ausstellungsraum 4: (Denk-Mal-Bar): Architekturkollektiv squadra
Film: Jens Franke
Raum 1 zeigt wie eine Messlatte, welche Veränderungen sich seit den 1966er Jahren zwischen Architektur und Denkmalschutz aus Schweizer Sicht ereignet haben.
Seit dem 19. Jahrhundert gibt es die Bestrebungen nach Erhalt schweizerischer Altertümer. Seit 1898 gehören kantonale Denkmalpflegestellen zu den Einrichtungen des Landes. 1832 wurde die Antiquarische Gesellschaft in Zürich AGZ gegründet. Literarische Werke tragen erheblich zum Verständnis im Umgang mit Denkmalschutz und Architektur bei. Bücher und Beiträge sorgen von je her für umfangreiche mediale Verbreitung im Austausch der Fachleute.
1975 wurde vom Europarat ein Europäisches Denkmalschutzjahr ausgerufen. Unter dem Motto ‹Eine Zukunft für unsere Vergangenheit› wurden in diesem Jahr in verschiedenen europäischen Staaten, darunter auch in der Schweiz, Kampagnen und Aktivitäten veranstaltet, um die Öffentlichkeit für die Belange des baukulturellen Erbes zu sensibilisieren. Die Initiative reagierte damit auf eine anhaltende Neubau- und Abrisswelle, die in den wirtschaftlichen Boomjahren nach dem Zweiten Weltkrieg die historisch gewachsenen Landschaften und Altstädte Europas rasant verändert hatte. Dem wirtschaftlich begründeten Prinzip des grenzenlosen Wachstums hielten die Akteur*innen der Denkmalpflege das Bild des Baubestands als eine wertvolle, begrenzte Ressource entgegen und setzten den Erhalt auf die politische Agenda.
Das Denkmalschutzjahr war keine isolierte Erscheinung, sondern lässt sich in den Kontext unterschiedlicher gesellschaftlicher Strömungen einordnen, die um diese Zeit ein Neudenken herrschender Verhältnisse forderten. Gleichwohl brachte es auch neue Dynamiken ins Spiel, die bis heute nachwirken. In der Denkmalpflege setzte zum Beispiel 1975 eine Debatte um die Erweiterung des Denkmalbegriffs ein, die über den Schutz von Einzelgebäuden hinaus eine ganzheitliche Betrachtung von Ensembles und Kulturlandschaften einforderte. In der Schweiz kamen mit dem Denkmalschutzjahr politische Prozesse in Gang, welche in den Jahren danach zu einer weiteren Verankerung der Denkmalpflege im politischen System führten.
Konstruktive Kooperationen
Fünfzig Jahre später steht die Gesellschaft zwar vor neuen Herausforderungen, aber der Appell zum behutsamen Umgang mit endlichen Ressourcen und zur Wertschätzung des bereits Vorhandenen erscheint mehr denn je relevant. Mit der Frage, wo wir nach fünfzig Jahren Europäischer Denkmalschutzjahr stehen, beschäftigt sich Raum 2, der in einem experimentellen kollektiven Prozess entwickelt wurde. Im Rahmen des Wahlfachs ‹Denkmalpflege: Ausstellen und Vermitteln› im Herbstsemester 2024 an der ETH Zürich setzte sich eine Gruppe von Studierenden mit der Analyse und Vermittlung von neueren exemplarischen Projekten zwischen Denkmalpflege und Architektur auseinander.
![]() |
![]()
|
Kollektiv wurde eine Auswahl von Projekten getroffen, die eine Bandbreite an Typologien, Maßstäben, Ansätzen und Eingriffstiefen darstellen. Den ausgewählten Projekten wurden entsprechende Stellen aus den ‹Leitsätzen zur Denkmalpflege in der Schweiz› zugeordnet, welche eine denkmalpflegerische Lesart der jeweiligen Interventionen bieten.
Die anschließende Aufgabe bestand darin, das jeweilige Projekt in der Tiefe zu durchdringen und einen kuratorischen Vorschlag für seine Darstellung zu erarbeiten. Die Projekte zeigen, dass die Arbeit mit historischen Bauten nie standardisierte Lösungen zulässt, sondern dass jeder Ansatz durch einen intensiven Analyse- und Verhandlungsprozess auf das jeweilige Objekt zugeschnitten werden muss.

Im Dialog mit der Bauherrschaft, der Denkmalpflege und dem Bestand selbst müssen unterschiedliche Interessen abgewogen und auf Kompromisse eingegangen werden. Im besten Fall entstehen daraus experimentelle oder innovativ Ideen, die die Disziplin vorantreiben. Manchmal steckt gerade in den subtilen oder unsichtbaren Eingriffen die meiste Arbeit.
Nicht alle ausgestellten Projekte haben mit als Denkmal geschützten Bauten zu tun. In vielen Fällen kam der Impuls, den Bestand so behutsam wie möglich zu behandeln – oder gar zu erhalten – von den Planenden selbst, ohne gesetzliche Vorgabe und manchmal an den ursprünglichen Absichten der Bauherrschaft vorbei. Darin zeigt sich ein bemerkenswerter Wertewandel.

Instandsetzung und Weiterbau Kongresshaus und Tonhalle Zürich
Raum 3 widmet sich einem der größten und komplexesten denkmalpflegerischen Architekturprojekte in der Schweiz der letzten Jahre: die Instandsetzung und der Weiterbau am Kongresshaus und der Tonhalle Zürich. Um den Umfang dieses Projekts angemessen präsentieren zu können, hat das S AM zusammen mit den Autor*innen des Projekts, der ARGE Boesch Diener (Elisabeth & Martin Boesch Architekten, Zürich, Diener & Diener Architekten, Basel) zusammengearbeitet, um eine Darstellung ihres Ansatzes sowie der daraus entstehenden Interventionen für das Ensemble zu entwickeln.
Das Kongresshaus Zürich von Max Ernst Haefeli, Werner Max Moser und Rudolf Steiger wurde 1939 anlässlich der Schweizerischen Landesausstellung eröffnet. Durch seine Vereinigung von Prinzipien des damals aufstrebenden Neuen Bauens – klare geometrische Formen, fließende Übergänge zwischen Innen- und Außenräumen – mit schwungvoll organischer Ornamentik gilt der Bau als herausragendes Beispiel der Schweizer Moderne, der respektvoll zwischen Vergangenheit und Gegenwart vermittelt. Dabei baute das Gebäude selbst wortwörtlich auf der Geschichte auf: Der Entwurf integrierte das 1895 vom Wiener Architekturbüro Fellner und Helmer im Stil des Historismus erbaute Trocadéro, dessen Musiksaal mitsamt der historischen Fassade durch den Neubau weiterinterpretiert wurde.
Nach jahrzehntelangem Betrieb und mehreren Umbauten stand in den frühen 2000er-Jahren ein Ersatzneubau für das Kongresshaus im Raum. Ein internationaler Wettbewerb wurde ausgerufen, aus dem Rafael Moneo siegreich hervorging. Das Konzept konnte jedoch das Stimmvolk nicht überzeugen und wurde 2008 an der Urne abgelehnt. In den darauffolgenden Jahren verfestigte sich die Absicht, das bestehende Kongresszentrum instand zu setzen, statt einen Neubau zu erzwingen.
Die Erneuerung durch die ARGE Boesch Diener (Martin und Elisabeth Boesch Architekten und Diener & Diener Architekten) entfernt entstellende Hinzufügungen aus den 1980er-Jahren und baut den Bestandsbau weiter, um die ursprünglichen Qualitäten des Komplexes wiederherzustellen. So wurde die seeseitige Terrasse von der nachträglichen Bebauung befreit und die freie Sicht auf den See vom Foyer aus wieder ermöglicht. Durch eine sorgfältige Reparatur wurde dem Bestand zu neuem Glanz verholfen: die in die Jahre gekommenen Ornamente wurden restauriert, verlorene Elemente anhand historischer Recherche akribisch rekreiert und die gesamte (unsichtbare) Infrastruktur erneuert. Aus der Verschmelzung von Alt und Neu entsteht ein komplexes Ganzes, das – wie schon damals der Entwurf von Haefeli Moser Steiger – die Geschichte dieses Ortes als Vermittler zwischen den Zeiten weiterschreibt.
Raum 4 lädt dazu ein, über die Denkmalpflege von morgen mitzudiskutieren – denn Denkmalpflege ist und war immer eine Verhandlungssache. Im Begleitprogramm sowie in einem für die Ausstellung neu produzierten Film des Filmemachers Jens Franke präsentieren Vertreter*innen der Denkmalpflege und Architektur unterschiedliche Visionen und Fragestellungen der Zukunft des Erhalts, während eine Leseecke Möglichkeiten zur Vertiefung in verschiedene Positionen aus historischen und aktuellen Debatten rund um Baudenkmäler bietet.
An ausgewählten Abenden findet hier die ‹Denk-Mal-Bar› statt, in der in lockerer Atmosphäre über Themen der Denkmalpflege und des Erhalts ausgetauscht werden kann.
Die Denk-Mal-Bar
Von 1984 bis 2003 existierte im hintersten Raum des heutigen S AM eine Bar, die Diener &. Diener Architekten für das Restaurant Kunsthalle entworfen hat. Für die Ausstellung ‹Was War Werden Könnte: Experimente zwischen Denkmalpflege und Architektur› greift das junge Architekturkollektiv squadra diese Geschichte auf und interpretiert sie als eine ‹Denk-Mal-Bar› neu. Ein zentral platzierter, X-förmiger Tresen bietet Platz für eine Bibliothek als auch für diskursive Veranstaltungen, die hier regelmässig stattfinden. An bestimmten Donnerstagabenden organisiert zudem das Kollektiv eine Pop-Up-Bar in Museum, in der über die Themen der Ausstellung im informellen Kontext ausgetauscht werden kann. Pro Abend wird das Kollektiv ein Gast oder eine Gästin aus den Bereichen Denkmalpflege und Architektur dazu einladen, den Abend mit zu betreuen und somit neue Möglichkeiten für den Austausch zwischen Fachpersonen und Publikum zu öffnen.
Termine ‹Denk-Mal-Bar›:
08.05., 17–20.30 Negroni Sbagliato mit Klaus Spechtenhauser (Kantonale Denkmalpflege BS)
15.05., 17–20.30 Eurofizzion Gin mit Sonja Flury (ProSaffa1985-Pavillon)
05.06., 17–20.30 Klär-Wässerchen mit Noël + Lukas (Malheur&Fortuna)
19.06., 17–20.30 Blue Citizen mit Blanka + Jens + Tamino (ZAS* Zürcher Arbeitsgruppe Städtebau)
03.07., 18–22 Dry Martini mit Reto Nussbaumer (Kantonaler Denkmalpfleger Aargau)
10.07., 18–22 Something Sparkling mit Team Professur Langenberg (Konstruktionserbe und Denkmalpflege ETH Zürich)
21.08., 18–22 Whiskey/Sake Highball mit Sandra + Yuma (S AM Schweizer Architekturmuseum)
28.08., 18–22 Tingeltangel mit Christian + Sebastian (Verein Beispiele sozialistischer Architektur)
11.09., 17–20.30 Hypokras mit Martina + Jonas (M.A. Denkmalpflege und Monumentenmanagement)