Regiekommentar von Isabel Coixet DER BUCHLADEN DER FLORENCE GREEN (2018)


Ich habe den Roman von Penelope Fitzgerald vor fast zehn Jahren während eines besonders kalten Sommers auf den Britischen Inseln gelesen. Das Buch zu lesen, war eine wahre Offenbarung: Ich habe mich vollkommen in das Jahr 1959 hineinversetzt gefühlt und wirklich geglaubt, gewissermaßen die unbedarfte, süße und idealistische Florence Green zu sein. Genau genommen bin ich es immer noch. Ich fühle mich dieser Figur tief verbunden und das auf eine Art und Weise wie ich es noch nie bei den Hauptfiguren meiner anderen Filme erlebt habe.

Menschen gehen jeden Tag ein Risiko ein. Große und kleine Risiken, gefährliche oder ungefährliche, und die meisten von ihnen werden nicht einmal bemerkt. Aber was passiert, wenn sie beachtet werden? Wie reflektiert es die gegenwärtige Welt, in der wir wohnen?

Die Figur von Florence Green hat etwas Heldenhaftes, irgendwie einfach und vertraut. Sie traut sich etwas, einzig aus ihrem Wunsch heraus, einen Buchladen zu eröffnen. Sie schert sich weder um die Unterstützung ihrer Umgebung, noch bemüht sich Florence darum. Sie krempelt einfach ihre Ärmel hoch und macht sich an die Arbeit. Aus diesem Grund wird Florence Green wahrgenommen.

Ab hier wird es nun interessant. Diese stille Frau, in einem ruhigen Ort, in einem sehr ruhigen England der Nachkriegszeit, ist ein Aufruf an alle, endlich erwachsen zu werden und Verantwortung dafür zu übernehmen, das Leben für uns alle besser zu machen. Sie steht stellvertretend für jeden Underdog, der auf keine Unterstützer bauen kann und niemanden hat, der Trost spendet und ihm Selbstvertrauen gibt. Florence ist keine Person, die normalerweise die Führung übernimmt. Es gibt andere, die diese Rolle spielen und es nicht mögen, wenn sie verdrängt werden. Mit ihrem Handeln deckt Florence die Tatenlosigkeit der sozialen Führungselite auf und zieht so deren Zorn auf sich. Aber Florence zeigt Entschlossenheit: Sie macht trotz mehrfacher Warnungen unermüdlich weiter. 10© Aidan Monaghan

Florence repräsentiert so viele Welten, die mich als Filmemacherin interessieren – sie ist eine Frau mit einer Vision – einer Vision, die nicht jeder in ihrem Ort teilt. Florence beginnt etwas Neues. Sie sieht die Chance, eine Lücke zu füllen. Es gibt keinen Buchladen in ihrem Dörfchen. Florence‘ Selbstüberschätzung basiert auf dem festen Glauben daran, dass dieser Ort sich einen Buchladen ebenso sehr wünscht wie sie selbst. Sie riskiert viel und einige ihrer Zeitgenossen gehen extrem weit, um sie in ihre Schranken zu verweisen. Florence legt sich mit der einflussreichen sozialen Elite an, ohne es selbst zu bemerken. Sie erhält Unterstützung von der alten Garde, der „wahren“ Führung dieses Dörfchens, aber genügt das? Sie erinnert mich an das erste Aufkommen elektrischer Autos. Sie ist eine kleine Stimme mit einer großartigen Idee. Die Kräfte gegen Florence sind dabei die aufdringlichen Leute auf der Autobahn, die immer den langsameren Fahrer aus dem Weg räumen wollen. Florence‘ Triumphe sind dabei die wundervollen Nachmittage, an denen wir die Festnahmen dieser Raser erleben können.

Im Originaltext gibt es eine stetige Referenz an die Kräfte des Meeres. Feuchtigkeit oder Schimmel im Haus werden erwähnt und der allgemeine Wunsch von Florence, dass die Innenräume, gemessen an ihrer baulichen Substanz, trocken bleiben. Diese Zustandsbeschreibung kann wunderbar auf die Gemütsverfassung unserer Figuren übertragen werden. Ich liebe die Herausforderung, Florence als den frischen Windstoß zu zeigen, der die muffigen Ideen in ihrem kleinen Dorf in Frage stellt. Ihre gesellschaftliche Rivalin, Violet Gamart, ist die Königin dieses Schimmels – sie benutzt die von modrigem Papierkram geplagte Regierung, um Florence‘ Weg zu blockieren und platziert die schäbige und aufdringliche Klette Milo North in ihre Nähe. Der schmierige Literat lauert in Florence‘ Gegenwart bis er eine Gelegenheit findet, sich im Old House und damit im Buchladen selbst einzunisten.

Das Gleichgewicht des Films liegt dabei in den verschiedenen Ebenen der Auseinandersetzung, durch die sich Florence in ihrer kleinen Gesellschaft kämpfen muss. Diese Scharmützel summieren sich zu Kämpfen und diese Kämpfe zetteln den Krieg an.

Wenn wir ihr dabei zusehen, wie sie sich etabliert und sie bei den Entscheidungen beobachten, die sie trifft, um voranzukommen, erkennen wir auch die Wirkung der Welle, die sie verursacht – wie ein Tropfen, der in einen Teich fällt – und wie sie damit die Menschen um sich herum beeinflusst.

Und, auch wenn Florence nicht jeden Krieg gewinnen kann, so hat ihr Handeln dennoch Auswirkungen auf einige ihrer Mitmenschen, die vielleicht dazu veranlasst werden, die ein oder andere Entscheidung zu treffen, um ihre eigene Zukunft in die Hand zu nehmen.

Der Roman erschien zuerst 1978 und war Penelope Fitzgeralds zweiter Roman.

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