Interview mit Regisseur Grégory Magne PARFÜM DES LEBENS (2019)


Grégory Magne, geboren 1976, wuchs im Burgund auf. Im Jahr 2007 brach er vom französischen La Rochelle zu einer Solo-Segeltour quer über den Atlantik mit Ziel Salvador de Bahia auf. Die Reise auf dem nicht einmal sieben Meter langen Segelboot ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt hielt er mit einer Kamera fest; daraus entstand sein erster Film „Vingt-quatre heures par jour de mer“. Seitdem hat Grégory Magne als Drehbuchautor und Regisseur an zahlreichen dokumentarischen und fiktionalen Filmprojekten gearbeitet. 2012 kam L’AIR DE RIEN ins Kino. PARFÜM DES LEBENS ist Grégory Magnes zweiter Kinofilm.

Interview

Was hat sie auf die Idee zum Film gebracht?

Die Idee kam mir in einer Situation, die wohl jeder schon einmal erlebt hat. Mitten im Gedrängel bemerkte ich auf einmal einen ganz vertrauten Geruch. Ganz reflexartig sah ich mich in der Menge um, wer es wohl war, der dieses Parfum verwendet hatte. Ich beobachtete die Leute um mich herum und überlegte mir, wer es sein könnte. Und ich stellte mir vor, wie anders das tägliche Leben für jemanden sein müsste, der einen überdurchschnittlich ausgeprägten Geruchssinn hat. Wie sich diese Fähigkeit auch verändern könnte, je nachdem, mit wem dieser Mensch umgeht, und wie das vielleicht auch sein Sozialleben, seine Emotionen und seinen ganzen Charakter verändern würde. Das alles brachte mich dazu, eine ganz besondere Figur zu erfinden – wobei mir schon beim Schreiben des Drehbuchs klar war, dass es eine Herausforderung werden würde, Geruch auf der Kinoleinwand erfahrbar zu machen. So entstand letztendlich die Figur Anne Walberg.

Sie erzählen von zwei einsamen Menschen; der Parfumeurin Anne und Guillaume, ihrem Chauffeur…

Anne Walberg ist eine Diva, die einen tiefen Absturz hinter sich hat. Sie wirkt anfangs sehr kurz angebunden und hochnäsig. Mit ihrem bürgerlichen Habitus kommt sie schon ziemlich arrogant rüber, aber tatsächlich steckt etwas ganz anderes dahinter: Sie hat sich in sich selbst zurückgezogen, und sie findet es schwierig, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Guillaume macht seinerseits gerade eine schwierige Zeit durch, er trennt sich von seiner Frau und muss sich um sein Besuchsrecht kümmern… Was den Umgang mit anderen Menschen angeht, ist er aber das genaue Gegenteil von Anne: Er kommt in jeder Situation zurecht, egal, mit wem er es zu tun hat. Vielleicht fällt es ihm sogar ein wenig zu leicht. Diese Art, die er hat, erregt jedenfalls die Neugier seiner Kundin.

So sehr, dass sie ihn fast schon als ihren Übersetzer für alle Kontakte mit der Außenwelt nutzt…

Genau. Anne macht Guillaume quasi zu ihrem Bodyguard. Sie mag ein besonderes Gespür für Düfte haben, aber er besitzt Flair. Sie macht sich diesen Umstand zunutze und versteckt sich manchmal geradezu dahinter. Guillaume fehlt es zwar an allen Eigenschaften, die einen guten Fahrer ausmachen, aber er ist gut darin, andere Menschen zu lesen. Ihm fehlt es an Geduld und am Willen, sich unterzuordnen. In seinem Job fühlt er sich immer unwohl und fehl am Platz, was für eine Komödie natürlich viel Stoff bietet.

Wie haben Sie sich auf den Film vorbereitet? Haben Sie dazu mit echten Parfumeuren gesprochen?

Mein Ziel war es ja nicht, mit wissenschaftlicher Genauigkeit einen Film über die Herstellung von Düften oder den Beruf eines Parfumeurs zu machen. Anne Walbergs Aufträge im Film beruhen auf wahren Geschichten, von denen ich gehört oder gelesen hatte. Ihr Job beispielsweise, den Duft einer Höhle originalgetreu nachzuahmen, beruht auf einer Episode in Werner Herzogs Doku „Die Höhle der vergessenen Träume“. Mir ging es darum, dass es schauspielerisch exakt ist und dass wir die richtige Terminologie verwenden. Ich habe das Drehbuch einigen Geruchs-Profis gezeigt, und sie haben darin noch manches angemerkt. Es ist tatsächlich ein faszinierender Beruf. Es gibt gerade mal ein paar hundert Parfumeure auf der Welt, und von denen haben die meisten ihren Beruf in Frankreich gelernt und ausgeübt. Eine von ihnen, Christine Nagel, die Parfumeurin von Hermès, hat Emmanuelle beraten. Sie ist ein viel offenerer Mensch als Anne Walberg, aber sie erkannte doch einige ihrer eigenen Charakterzüge und Reaktionen in der Figur wieder. Sie lud Emmanuelle in ihr Labor ein und leitete sie an, einen eigenen Duft zu kreieren, um so die Kniffe des Berufs besser zu verstehen.

War Ihnen von Anfang klar, dass Emmanuelle Devos die Rolle der Anne spielen sollte?

Schon als ich die erste Fassung des Drehbuchs schrieb, hatte ich Bilder von Christine und Emmanuelle nebeneinander auf dem Schreibtisch liegen. Wahrscheinlich, weil mich ihr überdurchschnittlicher Geruchssinn an Jacques Audiards „Tödliche Bekenntnisse“ erinnerte. Ich kannte Emmanuelle nicht persönlich und schickte daher ihrem Agenten das Drehbuch. Das war an einem Mittwochabend, und Donnerstagmorgen hatte sie das Skript schon gelesen und war davon angetan. Wir trafen uns am Freitag, und so fügte sich innerhalb von 48 Stunden alles zusammen. Emmanuelle fiel es leicht, sich in die unsoziale Ader ihrer Figur einzufühlen; es erinnerte sie an ihre Teenagerzeit. Sie fühlte sich auch von den Szenen angesprochen, in denen sie Düfte wahrnimmt, weil sie darin sehr subtil spielen konnte. Und schließlich gefiel ihr auch der komödiantische Ansatz. Grégory und sie bringen ganz unterschiedliche Erfahrungen mit und sie haben auch sehr verschiedene Arten zu spielen. Emmanuelle ist sehr genau und hat eine unglaubliche Fähigkeit, ihre ganze Vorbereitung in einen perfekten Take zu packen; Grégory dagegen spielt sehr viel spontaner. Er bietet immer noch sehr viel mehr an als das, was im Drehbuch steht. Aber genau darum ging es mir. Ihre Schauspielstile spiegeln die Unterschiede zwischen ihren Figuren; die eine ist äußerst sorgfältig, der andere ist spontan.

Auch wenn der Film sehr viele komische Momente hat, ist er dennoch keine Komödie…

Mir gefällt es immer sehr, wenn jeder Zuschauer auf seine ganz eigene Weise den Humor erfahren kann – wenn der Humor ganz sachte angedeutet und nicht mit dem Megafon herausgeschrien wird. Ich finde, so kommt man dem näher, wie Humor im wirklichen Leben funktioniert. Dasselbe gilt für die Geschichte selbst. Wenn sich zwei Figuren ineinander verlieben, zeigt man ihre Unruhe, ihre Missverständnisse, ihre Verzweiflung, und wie sie schließlich wieder zusammenkommen… Eine Freundschaft wie die zwischen Anne und Guillaume besteht aus viel subtileren kleinen Dingen. Der Zuschauer muss nicht sehen, dass sie sich küssen, sich beim Vornamen nennen oder auf die Schulter klopfen, um zu verstehen, wie sehr sie sich gegenseitig dabei helfen, neues Selbstvertrauen zu finden.

Quelle: Verleih Happy Entertainment

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