Fragen an Evelyn Schels BODY OF TRUTH (2019)


Die in München geborene Autorin und Regisseurin von Dokumentarfilmen entdeckte ihre Liebe zum Film als Studentin in Paris. Dort traf sie den legendären Filmemacher Georg Stefan Troller, von dessen Film-Portraits sie begeistert war und begann, bei ihm zu lernen. Nach ihrem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte war sie Volontärin beim Bayerischen Rundfunk/ARD. Bald zog sie nach Paris und arbeitete für verschiedene Sender der ARD und ARTE. Ihr erstes Film-Portrait war eines über den französischen Star-Regisseur Patrice Chéreau. Filme über Luc Bondy, Per Kirkeby, Amedeo Modigliani, Jean Tinguely, Pola Kinski u.a. folgten. Ihre Dokumentarfilme erzählen die Geschichte einer algerischen Einwandererfamilie in der Banlieue von Paris („Und die Liebe kommt später“, 2007) oder beschreiben die Innenansicht einer türkischen Familie aus Anatolien, die nach Deutschland kam („Salz im Mokka“, 2010). Ihr Dokumentarfilm „Georg Baselitz“ über den weltberühmten deutschen Künstler startete 2013 in den Kinos. Von 2009 bis 2013 war sie Gastdozentin an der Hochschule für Film und Fernsehen München. Sie lebt und arbeitet in Paris und München.

Interview

Wie entstand die Idee zu dem Film BODY OF TRUTH?

Ich habe in Paris sehr viele Modern Dance Aufführungen gesehen, bei denen mich der extreme Umgang der Tänzer mit dem eigenen Körper stark beeindruckte, und ich wollte daraufhin wissen, wie sich das bei der Bildenden Kunst verhält. Schnell bekam ich den Eindruck, dass Frauen in der Kunst sich weitaus intensiver mit ihrem Körper auseinandersetzen als Männer. Das fängt an mit Pionierinnen wie Gina Pane, Hannah Wilke oder Ana Mendieta, die mit ihren Körpern experimentieren, ihn zur Bühne machen und dabei die gesellschaftliche Rolle der Frau hinterfragen. Ihr radikaler und provokativer Umgang mit dem Körper hat mich sehr fasziniert. Diesen entdeckte ich auch bei Marina Abramović, die ihren Körper zum künstlerischen Material werden lässt. Ein von ihr in einem Buch veröffentlichter Brief an Shirin Neshat (Presseheft, Seite 16) offenbarte mir deutlich die Parallelen der beiden Künstlerinnen: beide setzen ihre Erfahrungen und Verwundungen in Kunstwerke um – mit Hilfe ihres persönlichsten Ausdrucksmittels, ihrem Körper. Aber jede der beiden hat eine ganz andere Art, den Körper zum Kunstwerk zu machen, geprägt von ihrer jeweiligen Kultur.

Sie führen vier verschiedene Künstlerinnen in einem Filmprojekt zusammen. Warum haben Sie sich für diese vier Frauen entschieden?

Viele Künstlerinnen beschäftigen sich mit feministischen Positionen – rund um die Frage, wie gesellschaftliche Erwartungen Frauen (ver)formen. Kommen wir als Frauen auf die Welt oder werden wir dazu gemacht? Themen wie Sexualität, Gewalt und Macht in der Gesellschaft werden ausgelotet. Je tiefer ich mich mit den Werken und Biographien dieser vier Künstlerinnen auseinandersetzte, umso mehr kristallisierte sich heraus, dass dem Einsatz des Körpers hier gesellschaftliche und politische Verwundungen vorausgingen. Das war bei allen vier Künstlerinnen sehr greifbar, auch wenn sie aus verschiedenen Kulturen kommen.

War es schwierig, Kontakt zu den Künstlerinnen aufzunehmen?

Durch meine filmische Arbeit ist mir das Kunst-Milieu vertraut und so wusste ich, wie man am Besten mit den Künstlerinnen Kontakt aufnimmt. Marina Abramović und Shirin Neshat waren die ersten, denen ich meine Idee bereits 2013/14 vorstellte und die ich sofort dafür gewinnen konnte. Da die Künstlerinnen selbst manchmal jahrelang an der Verwirklichung von Ideen arbeiten, haben sie sehr gut verstanden, dass auch ein solches Filmprojekt Jahre braucht, um finanziert und realisiert zu werden. Man muss einen sehr langen Atem haben, immer mit der Unsicherheit, dass es vielleicht nie etwas wird. In dem Zusammenhang sagte mir Marina einen wunderbaren, kämpferischen Satz: „ A No is for me just a beginning!“ Den habe ich manchmal verinnerlichen müssen. Katharina Sieverding und Sigalit Landau waren ebenfalls sofort von meiner Idee überzeugt und sagten zu.

Über welchen Zeitraum waren Sie mit der Recherche zum Film und dann mit dem Dreh von BODY OF TRUTH befasst? Die vier Künstlerinnen leben in den USA, Israel und Deutschland und sind viel beschäftigt…

Die Idee zu dem Film entstand 2012 und hat sich dann über die Jahre natürlich weiterentwickelt. Auf meine ersten Anfragen erhielt ich nur Absagen seitens verschiedener Produktionen und Förderungen: Kunst und auch noch Frauen – kein Thema, das interessiert. Das war ja alles noch vor #metoo, und die Bereitschaft, sich auf vier Künstlerinnen einzulassen, war einfach noch nicht da. 2015 konnte ich Sonia Otto, Indi Film, für das Projekt gewinnen, an dem wir in engem Austausch intensiv gearbeitet haben. Finanzierungspartner zu finden war ein Prozess, der sehr viel Überzeugungsarbeit erforderte und sich über mehrere Jahre hinzog. Schließlich konnten wir im Februar 2018 mit den Dreharbeiten beginnen, die mit den Künstlerinnen jeweils koordiniert waren. Die Logistik der Dreharbeiten war sehr komplex und damit eine große Herausforderung. Ein Glücksfall war, dass wir Katharina Sieverding bei der Entstehung ihres Großprojekts in Düsseldorf begleiten durften und dass Marina Abramović gerade dabei war, ihre Performances in Alabaster zu verewigen – ein komplizierter, technischer Prozess, den wir beobachten konnten.

Wo sehen Sie die Schnittstellen zwischen den Prägungen und der jeweiligen Kunst der vier Frauen?

Die vier Biographien setzen mit Abramović und Sieverding im Zweiten Weltkrieg ein. Der Faschismus hat – mittelbar über das Leid ihrer Eltern – ebenso das Leben von Sigalit Landau geprägt. Eine zweite Linie: Der Aufstand 1967 in Berlin gegen den Besuch des Schahs war entscheidend für Sieverdings Weg und führt uns nach Teheran zur Islamischen Revolution, die das Leben von Shirin Neshat so grundlegend und schmerzhaft veränderte. Sie macht sie bis heute zur Exilantin, der es dank ihrer Kunst gelang zu überleben. Eine wesentliche Schnittstelle ist natürlich die Arbeit mit dem eigenen Körper, die ja eindrucksvoll unterschiedlich ist. Marina Abramović und Sigalit Landau setzen ihre Körper aus, verletzen sie, fügen sich Schmerz zu mit Rasierklingen und Stacheldraht. Für Katharina Sieverding hingegen ist der Kopf das zentrale Element des Fühlens und Denkens, während Shirin Neshat in Rollen verschleierter Frauen und Gotteskämpferinnen schlüpft und diese Bilder kunstvoll mit Kalligraphie von literarischen Texten in ihrer Muttersprache Farsi ästhetisiert. Wie in der Erotik der islamischen Welt spielt bei ihr der Blick, die Sprache der Augen, die entscheidende Rolle. Der Film stellt einen Dialog her zwischen den Biographien der Künstlerinnen, ihren Werken und der Zeitgeschichte.

Sehen Sie nun nach dem Dreh die Parallelen und Unterschiede zwischen den Künstlerinnen noch einmal anders?

Sehr intensiv wurde das bei der Arbeit im Schneideraum mit Ulrike Tortora. Es ist unglaublich, wie über jede Künstlerin – und über jeden von uns – der Zeitpunkt der Geburt über das Leben entscheidet. Wäre Marina Abramović zehn Jahre später geboren, wäre vieles anders verlaufen. Ihre Eltern haben sich im Krieg unter extremen, lebensbedrohlichen Umständen geliebt. Als der Krieg vorbei war, war es aus mit der Liebe und das bekam Marina zu spüren. Ähnliches gilt für die anderen Künstlerinnen. „Everybody has his bullshit.“ sagt Marina. Wir alle haben unsere Verletzungen, große und kleine. Die Künstlerinnen zeigen uns ihre Verwundbarkeit in ihren Werken. Sie finden dafür eine poetische und präzise Sprache, die jeder versteht – und damit wissen wir, wir sind nicht allein. Das ist tröstlich.

Wenn es um Verletzungen geht, die einem Individuum von einem Regime angetan werden, sind es immer wieder Frauen, die Worte und Formen für das finden, was sie oder andere erlitten haben. Sind es die Frauen, die Geschichte begreifbar machen bzw. ist es insbesondere die Kunst von Frauen, die uns dahingehend berührt?

Das ist schwer zu beantworten. Frauen bringen Kinder auf die Welt, sind Mütter, werden aber auch schneller Opfer von sexueller Gewalt und Missbrauch. Sie scheinen verletzlicher und sind ja physisch tatsächlich schwächer. Wir assoziieren vielleicht unbewusst immer noch, dass es sich um das schwächere Geschlecht handelt und sind deshalb besonders berührt.

Sind Ihrer Meinung nach Kunst und Politik nicht zu trennen? Wie politisch und aktuell ist Ihr Film?

Kunst hat mich immer auch als Seismograph politischer Verhältnisse und gesellschaftlicher Entwicklungen interessiert. Die Werke der vier Künstlerinnen sind dafür beispielhaft. Sie spiegeln die politische Realität, erspüren Stimmungen, die sie vorwegnehmen wie beispielsweise Katharina Sieverding mit „Deutschland wird deutscher“. Sie weist bereits in den 90er Jahren auf den wachsenden Rechtspopulismus hin, der heute nicht nur in Deutschland eine Gefahr darstellt. Shirin Neshat hat in der aktuellen Irankrise keinerlei Aussicht, ihr Heimatland, ihre Familie zu besuchen. Sie muss weiter im Exil leben. Sigalit Landau steht ohnmächtig vor dem Nahost-Konflikt und will die Wunden heilen, indem sie den Stacheldraht im Toten Meer in glitzernde, kristalline Gebilde verwandelt. Und Marina Abramović hat großartige Bilder geschaffen, die symbolisch für Krieg, Flucht und Vertreibung sind. Werke wie „Balkan Baroque“ stehen für die ganz großen Probleme unserer Zeit – wie der seit Jahren nicht enden wollende Syrienkrieg, der Tausende von Menschen zu Flüchtenden macht, wie der Bau hoher Grenzmauern in den USA, der die Flüchtlingsströme stoppen soll, wie die Gewalt, die Frauen in allen Gesellschaften angetan wird und auf die u.a. #metoo eine Reaktion ist. Ihre Werke stehen auch für die Angst vor einer immer unübersichtlicher werdenden Welt, die von unheimlichen wirtschaftlichen Mächten regiert wird.

Welche Momente und Erfahrungen während des Drehs bleiben Ihnen besonders in Erinnerung, erzählen Sie doch ein wenig aus dem Nähkästchen….?

Sehr eindrucksvoll war es, Sigalit Landau bei ihrer Suche am Toten Meer zu begleiten. Sie zeigte so offen ihre Unsicherheit, ihre Suche, dass sie einfach noch nicht weiß, ob es ihr gelingen würde, ihre eher vage Idee umzusetzen. Das machte mir die Fragilität der künstlerischen Schaffensprozesse so fühlbar. Die Irrwege, die man auch beschreiten muss, um seinen Weg zu finden. Ein sehr inniger Moment war die Begegnung von Marina und Shirin, die sich schon sehr lange kennen, sich aber sehr selten sehen. Sie freuten sich beide, dass der Film dazu Gelegenheit bot und sie noch dazu sprichwörtlich in einem Boot über den sehr bewegten Hudson fahren konnten. Man spürte auf diese Weise die große Zuneigung zwischen den beiden. Es war alles wie selbstverständlich.

Regisseurin Evelyn Schels (r.) mit Team (Thomas Funk, Helge Haack, Börres Weiffenbach, Malik Bellamy, v.l.n.r.) bei den Dreharbeiten in New York. Foto (c) Börres Weiffenbach

www.evelynschels.com

FILMOGRAPHIE (AUSWAHL)
Kino
GEORG BASELITZ
Kinostart 2013 im Verleih von Alamode Film 103’

Dokumentarfilme (Auswahl):
SALZ IM MOKKA
Innenansicht einer türkischen Einwandererfamilie in Deutschland
90’ BR 2010
UND DIE LIEBE KOMMT SPÄTER
Geschichte einer algerischen Familie in Frankreich
90’ BR 2007 PRIX CIRCOM
ABER DIE SEHNSUCHT BLEIBT
Drei Frauen-Generationen einer ungarischen Familie
75’ BR 2004
ZEIT DER HOFFNUNGEN
Drei Frauen-Generationen einer portugiesischen Familie
82’ BR 2003

Film-Portraits (Auswahl):
ZURÜCK VOM TERROR – DER EX-DSCHIHADIST IRFAN PECI
45’ BR 2017
POLA KINSKI – DIE BERÜHRTE
45’ BR 2014
PER KIRKEBY – DER NATUR AUF DER SPUR
45’ BR/ARTE 2014
CORINNA PONTO – FÜR MICH WIRD ES NIE VORBEI SEIN
45’ BR 2013
AMEDEO MODIGLIANI – EIN ITALIENER IN PARIS
45’ BR/ARTE 2009
JEAN TINGUELY – ICH BIN EIN KÜNSTLER DER BEWEGUNG
45’ BR/ARTE 2007

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