Im Gespräch mit Hauptdarsteller Adam Driver ANNETTE (2021)


Seine Schauspielausbildung genoss Adam Driver an der renommierten Juilliard School in New York. Nach Anfängen an New Yorker Theatern erlangte er breitere Berühmtheit durch seine Rolle in der Serie „Girls” von Lena Dunham, die ihm drei Emmy-Nominierungen bescherte. International feierte er schließlich als Kylo Ren in der Sequel-Trilogie der STAR WARS-Reihe seinen Durchbruch. Für seine Rollen in Spike Lees „BlacKkKlansman” und Noah Baumbachs „Marriage Story” wurde er 2019 und 2020 für den Oscar als Bester Nebendarsteller bzw. Bester Hauptdarsteller vorgeschlagen. Driver drehte mit vielen weiteren renommierten Regisseuren wie Martin Scorsese, Steven Spielberg, Ethan und Joel Coen, Jim Jarmusch, Steven Soderbergh und Ridley Scott. Geboren wurde Adam Driver am 19. November 1983 in San Diego, Kalifornien.

Interview

Wie kamen Sie ursprünglich bei ANNETTE an Bord?

Leos nahm Kontakt zu mir auf. Das war vor etwa sieben Jahren. Und das war es eigentlich schon.

Wie war Ihre Reaktion auf das Drehbuch?

Ich fand es aufregend.

Warum wollten Sie bei dem Projekt dabei sein, nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Produzent?

Weil es Leos war. Weil es ein Musical war, das von den Sparks geschrieben wurde. Es gab viele große Sequenzen, die umfassend geprobt und eingeübt werden mussten, große Szenen, viele bewegliche Teile. Vieles klang so, als würde es eine Herausforderung werden, aber dass es das Ergebnis rechtfertigen würde, sich so in dieses Projekt reinzuhängen.

Was steckte in Leos Carax’ vorherigen Arbeiten, dass Sie mit ihm arbeiten wollten? Gibt es einen Film, den Sie besonders mögen oder der Sie inspiriert hat?

Die Schauspieler schienen in den Filmen immer so außergewöhnlich frei. Und die Einstellungen sind unglaublich. Sie verlangen den Menschen, die daran arbeiten, alles ab. Es fällt mir schwer, einen herauszugreifen. In jedem seiner Filme gibt es Momente und Sequenzen, die unvergesslich sind.

Wie haben Sie Leos am Set erlebt?

Das lässt sich schwer auf den Punkt bringen, aber für mich sieht es so aus, als würde er jeden Moment mit seinen Schauspielern und seiner Crew ganz intensiv leben. Er führt nicht an, indem er in ein Megaphon brüllt, sondern weil er so außerordentlich fokussiert ist. Ihm entgeht kein Detail. Er ist großartig beim Ausbalancieren von Momenten kompletter Spontaneität und schwerer Choreographie. Er ist aberwitzig. Ich halte ihn für einen der ganz großen Regisseure unserer Zeit.

Ein Großteil des Dialogs wird gesungen. Wie haben Sie sich auf den musikalischen Aspekt Ihrer Rolle vorbereitet? Wie sahen die Proben aus?

Was die Musik anbetrifft, so habe ich mich mit Michael Raffer getroffen, mit dem ich bereits bei MARRIAGE STORY gearbeitet hatte. Wir haben uns die Songs in einem monatelangen Drill draufgeschafft. Die Sparks und Leos waren sehr klar, was für ein Sound ihnen vorschwebte und dass das Erzählen der Geschichte oberste Priorität genoss. Wir nahmen alles schon einmal auf, zur Sicherheit, aber dann wurde alles vor der Kamera noch einmal live gesungen. Ich weiß nicht, wie hoch die Prozentzahl dessen ist, was man dann auch im Film sieht, aber ich würde denken, dass es klar die Mehrheit ist.

Statement Simon Helberg (Der Dirigent)

Sich auf Leos’ Filmset zu bewegen, war wie in die Kirche zu gehen – leise und tiefgreifend. Er ist ein wilder und brillanter visionärer Mann. Es war eine der freudvollsten Erfahrungen meines Lebens, Teil dieser Vision sein zu dürfen.

Meine Figur, der Dirigent, beginnt als Begleiter, hungrig nach Beachtung und Bestätigung und nicht zuletzt seiner Liebe für Ann. Er ist ein hoffnungsloser Romantiker mit einer jungenhaften Reinheit und einer Integrität, die auf den Prüfstand gestellt wird durch die Verlockungen des Ruhms und seinem Bestreben, eine Verbindung mit Anns Tochter Annette herzustellen.

Statement Caroline Champetier (Kamerafrau)

Freude an der Herstellung

Die zwei Jahre, die wir mit der Herstellung von ANNETTE verbracht haben, waren eine Erfahrung, wie man sie jedem Mitglied einer Filmcrew nur wünschen kann. Zunächst einmal konnten wir die gesamte Zeit mit Liedern verbringen, die uns immer ein bisschen vom Boden abheben ließen.

Die technischen Herausforderungen jeder einzelnen Sequenz waren nur zu bewältigen mit einem Höchstmaß an Zusammenarbeit und Präzision. Es entstand eine Art gegenseitige Abhängigkeit. Leos Carax war unser Anführer, ein Anführer jedoch, der niemals dominant war, dafür aber oft witzig und erfüllt von einer unfassbar entschlossenen Einfallskraft.
Wir haben alles ausprobiert, wir experimentierten – dieser immer zweifelnde heilige Thomas glaubte nur, was er sah.

Unsere Aufgabe war es, zu erfinden: eine Wellenwand, einen Strand im Mondlicht, einen Geist, ein Kind von der Geburt hin zum sechsten Lebensjahr, einen rauchenden Würfel, einen richtigen Wald hinter dem eisernen Vorhang eines Theaters, ein verrücktes Stadion…

In der Vorstadt, wo wir den Film vorbereiteten, hatte jedes Gewerk seine eigene Werkstatt. Dort errichteten wir eine Black Maria (diesen Spitznamen hatten die Angestellten Thomas Edisons dem ersten Studio in der Geschichte des Kinos in West Orange, New Jersey gegeben), eingehüllt in schwarzen Stoff, wo wir die Beweise unseres Fortschritts filmisch festhielten. Wenn es funktionierte, waren wir erfüllt von tiefer Freude und Zufriedenheit. Unbeirrbar hatten wir den Weg von Lumière zu Méliès zurückgelegt.

Im Gespräch mit Sparks

Wo liegen die Ursprünge von ANNETTE?

2009 wurden wir vom Swedish National Radio angesprochen, ob wir nicht ein Musicaldrama fürs Radio machen wollten. Die einzige Auflage war, dass wir einen schwedischen Aspekt würden einbauen müssen. So kamen wir auf die Idee zu „The Seduction of Ingmar Bergman”, eine Musicalfantasie darüber, was wohl passieren hätte können, wenn man Ingmar Bergman von seiner schwedischen Heimat hätte weglocken können, nach Hollywood, wo mehr Geld und Ruhm auf ihn warten würden, wofür er potenziell aber seine kreative Seele an die Traumfabrik hätte verkaufen müssen. Der Erfolg dieses Projekts half uns zu verstehen, dass wir uns in musikalische Formen strecken könnten, die über das Format eines dreiminütigen Popsongs hinausgehen, wie wir sie mit unserer Band Sparks seit Jahrzehnten spielen.

2011 verspürten wir wieder den Reiz, uns mit einem weiteren narrativen Projekt herauszufordern. Daraus ergab sich die Geburt von ANNETTE. Zunächst war ANNETTE angedacht als neues Album der Sparks. Allerdings sollte darin eine Geschichte erzählt werden mit drei Hauptfiguren, ein Ensemble, das klein genug wäre, um diese „Oper” auch live auf Tour präsentieren zu können. Wir beide hätten zwei der Hauptfiguren spielen können, Henry McHenry und den Dirigenten. Wir hätten also nur eine Frau zusätzlich in unsere tourende Entourage aufnehmen müssen, die Ann spielen würde.

Die Musik, die Geschichte und das Album wurden fertiggestellt und waren bereit zur Veröffentlichung. An diesem Punkt nimmt die Geschichte allerdings eine große Umleitung. Im Jahr 2013 besuchten wir das Festival de Cannes und wurden Leos Carax vorgestellt, der ein Lied der Sparks, „How Are You Getting Home”, in seinem jüngsten Film, HOLY MOTORS, verwendet hatte.

Wir spürten nach unserem Treffen eine innige Verwandtschaft mit Leos. Als wir von Cannes nach L.A. zurückkehrten, hatten wir die Eingebung, ANNETTE an Leox zu schicken. Das war mit keinerlei Erwartung verbunden. Wir wollten ihm nur zeigen, was die Sparks gerade machen. Aber sieh an, Leos meldete sich und teilte uns mit, wie gut ihm ANNETTE gefiel und dass er sich den Stoff gut als sein nächstes Filmprojekt vorstellen könnte. Er erbat sich noch ein paar Wochen Bedenkzeit, aber sagte uns dann, dass ANNETTE sein nächster Film werden sollte. Wir waren erstaunt und erfreut, freudig erregt von dieser Entwicklung.

Wir waren Fans von Leos’ Filmen. Die Vorstellung, dass ausgerechnet er eine unserer Ideen verfilmen wollte, war mehr als nur die Erfüllung eines Traums.

Wie sah die Zusammenarbeit mit Leos Carax aus? Erklären Sie den kreativen Prozess…

Die nächsten sieben Jahren trafen wir uns regelmäßig mit Leos in Paris und Los Angeles und feilten an den Elementen der Geschichte und der Musik. Es war ein langwieriger Prozess, aber sowohl Leos’ wie auch unsere Motivation waren so stark, ANNETTE in die Tat umzusetzen, dass wir uns unsere transatlantische Arbeitsgemeinschaft durch nichts verderben ließen. Wenn es unsere Terminkalender nicht erlaubten, dass wir uns von Angesicht zu Angesicht trafen, schickten wir uns Daten und Files hin und her und hielten uns so immer auf dem Stand der Dinge. Als Leos das Projekt dann Adam Driver gezeigt und er ganz begeistert reagiert hatte, waren wir alle überzeugt, dass wir dem Ziel, einen tollen Film zu machen, ein entscheidendes Stück nähergekommen waren.

Was für eine Art von Musik hatten Sie im Sinn?

Wir glauben fest daran, dass es frische und neue Wege gibt, wie man ein Musical macht. Wir hatten uns für ANNETTE immer einen naturalistischen Ton vorgestellt. Bewegung konnte schon auch stilisiert umgesetzt werden, aber wir wollten auf jeden Fall weg von der Tanzchoreographie, wie man sie aus traditionellen Musicals kennt. Der Film sollte ein Drama sein, und doch würden die Figuren mehr in einer Art Plauderton singen. Wir lagen da voll und ganz auf einer Wellenlänge mit Leos.

Wie liefen die Aufnahmen ab?

Zunächst wurden alle Aufnahmen in Los Angeles von uns selbst abgewickelt. Russell spielte die Figur des Henry McHenry, während Ron sich die Figur des Dirigenten/Begleiters vornahm. Bei den ursprünglichen Aufnahmen hatten wir außerdem eine Opernsängerin aus L.A. als Ann mit dabei. Wenn sie gerade keine Zeit für eine Session hatte, übernahm Russell auch noch ihren Part. Wir haben ganze Jahre mit verschiedenen Fassungen der Stücke verbracht, mit entweder Ron oder Russell in den verschiedenen Rollen.

Als Adam an Bord kam, um Henry McHenry zu spielen, trafen wir uns mit ihm in Los Angeles, um uns mit ihm über den Ton des Gesangs zu unterhalten. Auch hier waren wir sofort einer Meinung, wie der Gesangsstil für den Film sein sollte.

Was für ein Kitzel es war, Adam die Passagen singen zu hören, die davor Jahre lang Russell gesungen hatte. Es war alles und mehr, als wir uns erhofft hatten. Wir sind überzeugt, dass Leos es genauso sieht.

Und Marion Cotillard brachte auch etwas Frisches und Aufregendes mit, als sie sich an Ann versuchte.

Später kam dann noch Simon Helberg dazu und übernahm die Rolle des Dirigenten/Begleiters, die zunächst Ron übernommen hatte. Er hat ebenfalls einen wunderbaren Job gemacht, diese Figur mit Leben zu erfüllen. Und dann natürlich noch der Beitrag von Leos, der das Projekt mit seiner künstlerischen Vision wirklich auf ein ganz anderes Niveau hob.

Welche Rolle spielt Ihrer Ansicht nach Musik in einem Film?

Wir denken, dass es heutzutage viele großartige Filmkomponisten gibt. Allerdings muss man einen ganz anderen Teil seines Gehirns bemühen, wenn man sich an die Musik und die Geschichte eines Filmmusicals macht. Die Figuren leben und atmen durch die Sensibilität, den Ton und die Texte der Musik. In ANNETTE war es unser Ziel, dass tatsächlich der komplette Dialog gesungen wurde. Das war eine gewaltige Herausforderung. Aber wir sind ungeheuer stolz auf das Ergebnis.

Quelle: Alamode Film

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