Regisseur Pepe Danquart zu Daniel Richter DANIEL RICHTER (2023)


Aufgewachsen ist Daniel Richter in der Kleinstadt Lütjenburg, Schleswig-Holstein, wo er das erste Mal Menschen mit blauen Haaren aus einem VW Käfer mit Hamburger Kennzeichen aussteigen sah (was ganz selten geschah) und sich sofort für sie interessierte, wie er mir einmal erzählte. Bald darauf war er selbst in Hamburg. Dort begann dann die Punk-Rock-Zeit, sein Interesse an der Musik dieser Szene intensivierte sich. Es wurde seine Zeit in den besetzten Häusern Hamburgs, vornehmlich an dem Ort, wo die Kämpfe am heftigsten waren – in der Hafenstraße. Er wohnte nie in einem der besetzten Häuser und war doch einer der Wortführer der Szene.

Daniel Richter mit zwei Papageien, Foto (c) Marvin Hesse

Spät, so als er 30 wurde, dachte er darüber nach, was er denn noch machen könnte mit seinem Leben, ohne Abitur, ohne Berufsausbildung, nur mit Talent ausgestattet beim Zeichnen von Comics und Plakatentwerfen. Er kam zum listigen Entschluss, Kunst zu studieren. Dazu braucht man kein Abitur und keine Ausbildung. Und es gab Bafög zum Leben. Die Professoren der Aufnahmekommission an der Kunstakademie (HFBK in Hamburg) lehnten ihn ab – bis auf Prof. Werner Büttner (Vertreter der jungen Wilden in den 80er Jahren), der sein Veto gegen diese Entscheidung einlegte und ihn damit aufnahm.

Jonathan Meese beschreibt seinen Künstlerkollegen auf Leinwand, Foto: Daniel Gottschalk

„Beworben hatte ich mich mit Bleistiftzeichnungen, die sich mit den Wahrnehmungsklischees von Sexualität bei Rappern beschäftigten. Der zweite Block waren Zeichnungen, die sich kontrapunktisch mit den Ernsten Gesängen von Hanns Eisler auseinandersetzten. Auf eine Zeichnung war ich sehr stolz, weil sie eine Attacke gegen etablierte männliche Künstler war. Es gibt ein Foto, das Baselitz, Penck und Immendorff zeigt. Das habe ich durchgepaust und drunter geschrieben: ‚Die waschen ihre Schwänze nicht.’ Auf dem Niveau habe ich mich beworben.“ (Daniel Richter)

So kam Daniel in den 90er Jahren an die Hochschule für bildende Künste in Hamburg (HFBK). Er malte erst abstrakt, dann figurativ, malte zunächst Farbschmieren und Farbschlieren und Farbexplosionen, dann verknäulte Menschenmengen, Flüchtende, Demonstrierende, Behelmte, Gebeugte und Nackte mit Edward-Munch-artigen Schreigesichtern, erzielte 824.000 Dollar für ein Gemälde in den 2000er Jahren – und hörte nie auf mit dem Plattensammeln.

Der beinahe abgelehnte Student machte also auf sich aufmerksam, zeigte sein Talent mit Fleiß und Intelligenz. Bald folgten Einzelausstellungen, in der Galerie Ghislaine Hussenot in Paris, der David Zwirner Gallery in New York und 2007 dann – da war Daniel erst 45 Jahre alt – eine Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle. Zwei Jahre später wurde er mit dem Kunstpreis Finkenwerder ausgezeichnet, dem höchstdotierten Kunstpreis Europas. Da waren seine Bilder schon in Dimensionen vorgedrungen, die kaum ein anderer deutscher Künstler erreicht hatte. Er spielte erste Liga.

Heute hängen seine Werke in den öffentlichen Sammlungen des Centre Pompidou in Paris und des Kunstmuseum Den Haag. In Amerika kaufen Hollywood Stars wie Brad Pitt oder Johnny Depp seine Bilder und schmücken ihre Villen damit. Er scheint angekommen zu ein.

„Comics, Illustrationen und Musik haben mein Denken als junger Mensch sicher mehr beeinflusst als Malerei. Später dann habe ich gedacht, dass du die immanenten Probleme, die Frage nach permanenter Veränderung einerseits und Wiedererkennbarkeit andererseits, sowohl in der Musik als auch in der Malerei findest.“ (Daniel Richter)

Pepe Danquart Director’s note

Warum jetzt einen Film über einen zeitgenössischen Maler und warum Daniel Richter?

Und warum fürs Kino? Das waren die Fragen, die mir Filmförderer gestellt haben, zurecht wie ich meine, als ich das erste Gespräch über den geplanten Film suchte. Meine Antwort war klar und schnell: weil Daniel Richter der vielleicht wichtigste deutsche Maler seiner Generation ist, der Generation, die in den 1980er Jahren in den besetzten Häusern tobte, Punkmusik hörte, dazu Pogo tanzte. Die legendären besetzten Häuser in der Hamburger Hafenstraße oder im AJZ im beschaulichen Freiburg waren solche Orte und sie stülpten den klassischen Kulturbegriff vom Kopf auf die Füße. Nix war mehr, wie es vorher war und weil niemand in dieser bewegten Zeit eine Ausbildung machte, besann man sich, als man 30 Jahre alt wurde, was denn noch möglich sei in diesem Leben. Eine Alternative schien Kunst zu sein und so begab sich Daniel Richter zu den inzwischen nicht mehr so jungen Wilden der Malerei (Büttner, Oehlen, Kippenberger), die als Professoren an den Kunstakademien lehrten, und begann selbst Kunst zu studieren.

Und dann geschah, was niemand erwartete – er wurde ziemlich schnell ziemlich berühmt. Ähnlich schnell wie Neo Rauch auf der anderen Seite der Mauer. Und als diese fiel wurden beide – aus unterschiedlichen Gründen – DIE Vertreter (ihrer Generation) der deutschen Malerei in der Welt.

Daniel und ich kennen uns nun schon länger, schätzen uns gegenseitig und beschlossen bei einem gemeinsamen Abendessen einen Film zu machen über ihn, über Malerei, über Kunst und über die Frage, wie politisch kann ein Künstler in einem Umfeld des kapitalistischen Luxuswarenhandels überhaupt sein? Kluge Fragen, die dann ja im Film von Daniel – inzwischen mittendrin im Zentrum des Internationalen Kunstmarktes – eloquent beantwortet werden.

Ein grundsätzlich anderer Filmansatz als nur ein Porträt über einen berühmten, wenn auch widerständigen Künstler. Und weil im Thema und den genannten Akteuren so viel Potential steckt, soviel Visualität (von mir aus auch Vitalität), genau wie in der experimentellen Kunstaktion, der abstrakten Malerei oder dem künstlerischen Bewegtbild, brauchte es die Kinoleinwand im anamorphotischen Verfahren, anders ausgedrückt: ein Seitenverhältnis von 1:2,35, kurz „Cinema Scope“ genannt, um adäquat abgebildet zu werden. Ein Format, das sich der Malerei eigentlich entzieht und doch Platz bietet, um Raum und Aktion und Zeit darin unterzubringen. Möglichkeiten also für die Gleichzeitigkeit von Ergebnis und Aktion, Landschaftstotalen als Zäsurelemente im Narrativ, Spiegelungen von (Groß)Stadtansichten, die sich an den abstrakt-figurativen Gemälden Richters orientieren und on top Punkkonzerte in Hamburg und New York, die begleitend zu Vernissagen mit jungem Publikum stattfinden, das man sonst nicht findet in den Galerien dieser Welt.

Weitere Gründe diesen Film zu machen war die ungebrochene Originalität der Malerei von Daniel Richter. Sie hat eine Energie, die besonders junge Menschen in die Ausstellungsräume ziehen kann. Er ist ein Künstler, der sich permanent neu erfindet, nicht das immer Gleiche, wenn auch Erfolgreiche perpetuiert. Der neugierig bleibt und auf Risiko geht, der damit scheitern könnte und es doch nicht tut. Der sich langweilt, wenn er sich selbst wiederholt oder das Gefühl hat, dass er in seiner Malerei alles im Griff hat. So bleibt es spannend, wie es weitergeht mit ihm, er, der in der Mitte seiner Karriere verortet wird und da noch viel Luft nach oben ist, auch wenn das kaum möglich scheint.

Das alles war verbunden mit der Frage: was macht eine solche Karriere mit einem, der sich zu Anfang derselben mit der Gestaltung von Plattencover und Punk-Plakaten beschäftigte, der die Stadt damit zupflasterte, an Häuserwände sprühte und die Mechanismen des kapitalistischen Verwertungsprozesses anprangerte, die er im Übrigen auch heute noch genau kennt. Der sich jedoch auch heute nicht wegduckt, wenn die Frage aufkommt zum eigenen Verhältnis genau dieser Mechanismen, sich den Widersprüchen stellt und sich manchmal dennoch nicht den Verführungen des Ruhmes erwehren kann.

Die Galeristin zu Besuch im Atelier auf der Suche nach neuen Bildern

Wann also wenn nicht jetzt seine Bilder filmisch in den Fokus rücken, wo die erste Welt und seine Bewohner sich über neoliberalistisches Konsumverhalten definieren, in der rechtspopulistisch orientierte Regime überall auf der Welt an die Macht drängen, Krieg plötzlich wieder in der Luft liegt bzw. stattfindet und Daniel Richter genau jetzt mit Tusche und Feder und dem Motiv einer Feldpostkarte aus dem 1. Weltkrieg künstlerisch neben seiner Malerei sich dem Publikum zuwendet, als ein kleines Zeichen gegen diese Strömungen der gesellschaftlichen Verrohung.

Seine aktuellen Collagen, die immer auch entstehen im breit angelegten künstlerischen Prozess und ausgestellt werden, thematisieren unter anderem den Missbrauch männlicher Dominanz über den weiblichen Körper, ja Körper überhaupt, die Gewalt und Sexualität thematisieren, die Theweleit’schen „Männerphantasien“ aktualisieren in einer, nein seiner, spezifischen Montageform, die zurückgeht auf Heartfield und andere und von vielen heute bereits als wertlos bezeichnet wird. Im Gegensatz zu ihm. Auch das zeigt der Film.

Wir sind, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, wieder in den „Roaring Twenties“ den Zwanziger Jahren, ein Jahrhundert nach der Weimarer Republik, die kurz danach mit entarteter Kunst und Bücherverbrennung ein dunkles Kapitel der Menschheit einleitete. Ein Schelm, der keine Parallelitäten sieht.

Aus all den oben genannten Gründen kam für mich die Dringlichkeit, jetzt einen Film mit einem politischen Künstler zu drehen und nicht von ungefähr. Oder vielleicht auch nur deshalb, weil es sich für mich so anfühlte. Im Übrigen sind alle meine Filme so entstanden, immer nur in jener Zeit, in der sie entstanden, waren sie möglich. Nicht vorher oder später. Pepe Danquart 

Quelle: Weltkino Filmverleih GmbH

Siehe auch: DANIEL RICHTER, Regie: Pepe Danquart (BRD) Experimentierfeld, das sich nur vage am Horizont andeutet – Künstler und internationale Kunstszene reichen sich die Hand

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