Am Montag, 25. August, wäre Hilmar Hoffmann 100 Jahre alt geworden. Der „Grandseigneur“ der Frankfurter Kulturlandschaft war unter anderem 20 Jahre lang Kulturstadtrat, heute Kulturdezernent, in Frankfurt am Main und hat die Stadt und die Bundesrepublik insgesamt nachhaltig geprägt. Durch sein Lebens-Motto „Kultur für alle“ wurde der traditionell-konservative Kulturbegriff aufgebrochen und erweitert. Das Frankfurter Museumsufer würde es ohne Hilmar Hoffmann in der heutigen Form nicht geben. Über ihn, seine Verdienste, die Parallelen und Unterschiede zur aktuellen Frankfurter Kulturpolitik spricht Kulturdezernentin Ina Hartwig im Interview.
Interview
Hilmar Hoffmann war 20 Jahre lang Kulturdezernent in Frankfurt am Main. Am 25. August 2025 wäre er 100 Jahre alt geworden. Frau Hartwig, Sie kannten Hilmar Hoffmann noch persönlich. Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht? Was war Hilmar Hoffmann für ein Mensch?
Ina Hartwig: Ich bin mir sicher, dass er ein hochkomplexer Mensch war. Er hat mich tief beeindruckt. Im Übrigen gehörte er einer Generation an, die meine eigene Generation sehr geprägt hat. Eine Generation, von der wir, die in den 1960ern Geborenen, erzogen worden sind zur Mündigkeit. Diese Menschen haben uns die Werte der Demokratie mitgegeben. Dafür empfinde ich eine große Dankbarkeit.
Hilmar Hoffmann hat sich von den Nationalsozialisten verführen lassen, er war Hitlerjunge, dann NSDAP-Mitglied. Er hat relativ spät über die Verführungskräfte der nationalsozialistischen Propaganda geschrieben, hat sich dieses unerfreuliche Stück der eigenen Biographie vom Leib geschrieben. Er wollte, denke ich, die Ereignisse für sich begreifen, abarbeiten, loswerden. Er wusste, dass er hineingeraten war in eine Verführung zum Bösen.
Und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als das Begreifen und Umdenken allmählich losging, gehörte er zu denjenigen, die die richtigen Schlüsse aus der Menschheitskatastrophe gezogen haben. Er hatte den Wunsch, eine freiheitliche, offene, tolerante Demokratie, eine pluralistische Demokratie mit aufzubauen, in der Menschen nicht mehr ausgegrenzt werden sollten. Und diese Aufbruchsstimmung hat er stark mitgeprägt. Als ich ihn kennengelernt habe, war er schon sehr alt und pflegebedürftig. Er hatte eine große Nahbarkeit, eine seelische Zartheit. Das hat mich überrascht und nachhaltig berührt. Schließlich hatte er diese stattliche, fast goethische Gestalt!
Hilmar Hoffmann ist in der Frankfurter Kulturlandschaft ein großer Name. Er hat Regie studiert, liebte das Theater und auch das Medium Film und hat in Oberhausen die Internationalen Kurzfilmtage gegründet. Von 1970 bis 1990 war er in Frankfurt Kulturstadtrat – also in der Funktion in der Sie heute als Kulturdezernentin tätig sind. Was sind seine besonderen Verdienste aus dieser Zeit?
Ina Hartwig: Vor der Stabilität seiner Lebensleistung habe ich den allergrößten Respekt. So viele Jahre konsequent Kulturpolitik zu machen – das muss ihm erst einmal jemand nachmachen, das kann man überhaupt nicht nachmachen. Er gab, zusammen mit dem Nürnberger Kulturdezernenten Hermann Glaser, Impulse für die ganze Republik. Und ich vermute, dass diese enorme Kraft auch aus der negativen Erfahrung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs herrührte. Er war ja später auch noch Präsident des Goethe-Instituts in München, nachdem er bereits Jahrzehnte lang als Kulturdezernent in zwei großen Städten in Deutschland gearbeitet hat. Das ist wirklich eine enorme Lebensleistung.
Und für Frankfurt gilt: Das Museumsufer wäre ohne ihn nicht das, was es heute ist. Das war eine genialische Eingebung, die er hatte, neben dem Städel’schen Kunstinstitut, dem Städel Museum, das ja schon lange dort am südlichen Mainufer steht, eine Kette anderer Museen zu bauen und damit auch neue architektonische Höhepunkte zu setzen. Hier haben Architekten wie Richard Meier, Günter Behnisch, Oswald Mathias Ungers gewirkt – oder, nördlich des Mains, Hans Hollein. Das sind klingende Namen, es sind Häuser entstanden, die die Stadtlandschaft bis heute aufs Schönste prägen.
Er war außerdem extrem innovativ: Es gab noch kein jüdisches Museum in Deutschland, bevor er es in Frankfurt geschaffen hat. Es gab kein Filmmuseum, es gab kein Architekturmuseum. Das sind Themenbereiche, die im klassischen, konservativen Kulturbegriff bis dahin nicht vorgekommen waren; der Kanon der spezialisierten Museen hat sich unter Hilmar Hoffmann also erweitert.
In seiner Amtszeit ist das Frankfurter Museumsufer entstanden. Innerhalb weniger Jahre sind viele neue Museen gebaut worden, spektakuläre Neubauten, die auch für internationale Debatten gesorgt haben. Wie ist ihm das gelungen? Wie konnten in so wenigen Jahren so viele neue Bauten realisiert werden?
Ina Hartwig: Was Hilmar Hoffmann ganz offensichtlich blendend geschafft hat, war, mit den jeweiligen Oberbürgermeistern gut zusammenzuarbeiten. Das ist ganz wichtig in der Kulturpolitik. Man braucht, egal in welcher Stadt, einen Oberbürgermeister, der die Bedeutung der Kultur für eine Stadt versteht und unterstützt. Das Zweite ist, dass er gute Kontakte zum Kämmerer hatte. Da gab es in Frankfurt damals ein geradezu kongeniales Dreieck: Hilmar Hoffmann als Kulturdezernent, Walter Wallmann als Oberbürgermeister und Ernst Gerhardt als Kämmerer. Ein Trio infernale, sage ich mal augenzwinkernd das über Parteigrenzen hinaus das Wohl der Stadt im Blick hatte und die Kultur voranbringen wollte. Und es waren andere Zeiten, auch das ist wahr. Eine Baugenehmigung zu bekommen, war ganz gewiss weniger komplex als heute. Auch die EU-Vorschriften, Brandschutz oder Arbeitsstättenrichtlinien galten noch nicht in dem Maße wie heute. In dieser Hinsicht waren es sicher leichtere Zeiten. Aber politisch war es gewiss auch zu Hilmar Hoffmanns Zeiten eine Herausforderung, große Projekte durchzusetzen.
Menschen, die ihn kannten, sprechen auch von seiner besonders charmanten Art. Er war SPD-Mann, galt aber auch als parteiübergreifender Brückenbauer. War das auch ein Teil seines Erfolgs?
Ina Hartwig: Davon bin ich zutiefst überzeugt. Er war fleißig, diszipliniert, charmant und muss dazu noch sehr geschickt gewesen sein. Er hatte einen starken Drive, wie man heute sagen würde. Es gehört eine Menge Überzeugungsarbeit dazu, wenn man so viel Geld auf die Straße bringt, wie er das geschafft hat. Und er muss gut mit Konflikten umgegangen sein, denn Konflikte bleiben nicht aus. Er muss schlicht und ergreifend überzeugend gewesen sein, und das in verschiedenen politischen Lagern. Und diese Vermittlung verschiedener Perspektiven, das war, denke ich, sein Erfolgsrezept. Wenn man so viele Jahre im Amt ist und wechselnde Regierungen übersteht, dann spricht das dafür, dass man einen großen Sinn für Common sense hat. Dass man einen gesunden Menschenverstand hat, aber auch Visionen.
Hilmar Hoffmann ist auch bekannt geworden für sein Lebensmotto „Kultur für alle“ was für ein komplett neues Kulturverständnis gesorgt hat. Was muss man sich darunter vorstellen?
Ina Hartwig: Ein grandioses Credo! „Kultur für alle“ muss man natürlich im historisch politischen Kontext der 1970er Jahre verstehen. Nach der 68er Revolte und dem Aufbrechen alter Verkrustungen ist nicht nur in der Pädagogik, sondern auch in der Kulturpolitik sehr viel passiert. Der Begriff der Hochkultur, der bürgerlichen Kultur, ist aufgebrochen worden. Die Vorstellung, dass Kultur etwas Wunderschönes ist, aber nur eine bestimmte Gesellschaftsschicht anspricht – diese Vorstellung hat man über Bord geworfen und den Kulturbegriff erneuert, modernisiert, geöffnet. Damit einher ging auch eine Öffnung der Künste selbst. Sie sind experimenteller und politischer geworden. Dafür steht der Begriff der „freien Szene“, die zuvor so gar nicht existierte. Den alten, konservativen Kulturbegriff haben Hilmar Hoffmann und die vielen Mitstreiter seiner Generation also dauerhaft aufgebrochen.
Welche Bedeutung hat das Thema kulturelle Bildung auch heute noch aus Ihrer Sicht? Gibt es den kulturpolitischen Anspruch, „Kultur für alle“ zu ermöglichen, nach wie vor? Hat sich da was verändert?
Ina Hartwig: Hilmar Hoffmann hat mit seinem Credo „Kultur für alle“ wirklich einen Coup gelandet. Dieser Anspruch hat seine Gültigkeit überhaupt nicht verloren, er wirkt nicht veraltet und wird heute meiner Einschätzung nach weitgehend überall praktiziert. Man muss das Programm „Kultur für alle“ natürlich neu interpretieren. Denn die Gesellschaft hat sich doch sehr verändert. Frankfurt hat sich verändert. Die Stadt ist größer, voller, migrantischer, internationaler, diverser und jünger geworden.
Aber ich kenne kein Haus, das sich noch als geschlossene, abgeschlossene Einheit begreift. Entscheidend ist, dass man Angebote macht, dass man die Menschen möglichst aller Gesellschaftsschichten und Altersgruppen auch in die Häuser holt. Dazu gehört der freie Eintritt, den Hilmar Hoffmann eingeführt hat und den ich für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren wieder eingeführt habe.
Dazu gehören aber auch Angebote der kulturellen Bildung. Seit Hilmar Hoffmanns Zeiten ist hier viel Neues passiert. Inzwischen sind es ja nicht nur die jungen Menschen, an die wir denken müssen. Wir leben in einer alternden Gesellschaft und die ältere Bevölkerungsgruppe ist eben auch sehr diversifiziert inzwischen. Unser Anspruch im Sinne der Teilhabe ist es, dass möglichst viele Menschen die Möglichkeit bekommen, von unseren Angeboten zu profitieren. Dafür muss man sehr gezielte Angebote machen, da ist die Stadt Frankfurt am Main wirklich ganz glänzend aufgestellt.
Hilmar Hoffmann hat sich auch von stadtplanerischen Ideen leiten lassen, die, wie etwas beim Museumsufer, das heutige Frankfurt nachhaltig prägen und die Attraktivität der Stadt erhöhen. Sie selbst sind nun auch schon neun Jahre Kulturdezernentin dieser Stadt. Gibt es etwas Vergleichbares, eine Vision, die daran anknüpft?
Ina Hartwig: Frankfurt ist eine dynamische Stadt und glücklicherweise auch eine wirtschaftsstarke Stadt. Allein in meiner Amtszeit ist der Neubau des Jüdischen Museums eröffnet worden. Das Historische Museum mit seinem Neubau ist eröffnet worden. Das Romantikmuseum ist eröffnet worden. Wir werden eine Dependance des Weltkulturen Museums in der Hochhausstadt in Kürze eröffnen. Es passiert also sehr viel: Die Museumslandschaft erweitert sich und wird immer reicher und vielfältiger. Hinzu kommt ein großes visionäres Projekt, das wir die „Kulturmeile“ nennen: Das Museumsufer muss man sich ja eher horizontal vorstellen, orientiert am Main. Wir sind jetzt dabei, stadtplanerisch eine vertikale Meile am Rande der Wallanlage auszubauen, zwischen dem Jüdischen Museum und der Alten Oper. Dort gibt es schon die Dependance des Museums für Moderne Kunst (MMK Tower) in einem Hochhausturm, eine Dependance des Weltkulturen Museums, ich sagte es schon, ist im Entstehen. Das English Theater zählt ebenfalls zur Kulturmeile.
Im Moment planen wir intensiv den Neubau der Städtischen Bühnen, Oper und Schauspiel. Denn die alte Theaterdoppelanlage ist baufällig. Die Stadtverordneten haben die kluge Entscheidung getroffen, das Schauspiel eben am Rande der Wallanlage neu zu bauen, während die Oper am angestammten Willy-Brandt-Platz neu gebaut wird. Sodass sich dann die Kulturmeile ergibt, von Süd nach Nord, eine vertikale kulturelle Meile, die das horizontale Museumsufer durch die neu gestaltete Kulturmeile an der Wallanlage ergänzt. Hilmar Hoffmann hat vorgemacht, was es heißt, den Stadtraum durch kulturelle Bauten zu verändern, aufzuwerten und schöner zu machen. Wir haben hier interessante Voraussetzungen: Der Fluss, die Wallanlage, die Hochhäuser, mit denen die Frankfurter sich identifizieren, und dazwischen die Kulturbauten. Das ist eine Mischung, die einzigartig ist für Frankfurt und die wir ganz gezielt weiterentwickeln.
Eine Frage zum Abschluss. Was wünschen Sie sich für die kommenden Jahre als Kulturdezernentin? Was sind Ihre Wünsche, Hoffnungen, Pläne für die nächste Zeit?
Ina Hartwig: Wir haben schwierige Jahre hinter uns. Die Kriege, die ganzen Preissteigerungen. Wir haben insbesondere die freie Szene auch sehr unterstützen müssen in der Corona-Zeit.
Ich wünsche mir, dass die Zeiten wieder ein bisschen entspannter und heiterer werden. Im Moment sehe ich da allerdings nicht allzu viel Licht am Ende des Tunnels. Deshalb wünsche ich mir, dass die Stadt Frankfurt so zuversichtlich und kraftvoll, so selbstbewusst bleibt, wie sie ist. Und dass wir hier zusammenhalten und unsere kulturellen Projekte weiter so gut und produktiv voranbringen. Ganz im Sinne von Hilmar Hoffmann.
Interview: Hanna Immich
Meldung: Presseinfo der Stadt Frankfurt am Main (pia)

