Nathan Grossman, Absolvent der Stockholmer Kunsthochschule, ist ein schwedischer Dokumentarfilmer und Fotograf, der sich oft mit Umweltschutzthemen befasst. Bevor er sich aufs Filmemachen konzentrierte, begann er seine Karriere als Fotograf für den „Rolling Stone Indien“. Weltweite Aufmerksamkeit erlangte Nathan Grossman mit seinem Kurzfilm THE TOASTER CHALLENGE (2015), den mehr als 15 Millionen Menschen bei YouTube sahen. 2017 vollendete Nathan Grossman „Köttets Lustar“, seine erste TV-Serie für den öffentlich-rechtlichen Sender SVT über den steigenden Fleischkonsum in Schweden. Die Serie war in Schweden für den Kristall-TV-Preis für das beste Informationsprogramm des Jahres nominiert.
Interview
Es ist unglaublich mitanzusehen, wie sich Greta von einer einsamen, schwedischen Demonstrantin zu einer globalen Ikone entwickelt hat. Wann haben Sie zum ersten Mal von ihr gehört?
Ein Freund von mir hatte die Thunbergs getroffen, und sie erzählten ihm, dass Greta einen Sitzstreik gegen den Klimawandel plante, weil sie das Gefühl hatte, niemand würde irgendwas tun. Die Wahlen zum Schwedischen Reichstag standen bevor, und sie wollte zeigen, wie wichtig dieses Thema ist. Wir blieben im Hintergrund und dachten, wir könnten ein, zwei Tage filmen und gucken, was passiert. Ich sah sie dann dort mit dem Plakat sitzen und fragte sie, ob ich ihr ein Mikrofon anstecken und ihr durch den Tag folgen dürfte. Ich sagte zu ihr: „Weißt Du, wir wissen nicht, was passiert. Vielleicht drehen wir einen Kurzfilm oder eine Serie mit anderen jugendlichen Aktivisten und Du wärst eine davon.“ Und dann entwickelten sich die Dinge so schnell. Schon während des ersten Tages blieben Leute stehen und stellten Fragen, und Greta artikulierte sich sehr gut. Nach drei Wochen entschied Greta, ihren Sitzstreik nach den Wahlen fortzuführen – und zwar an jedem Freitag. Plötzlich wurde auch in anderen Teilen Schwedens gestreikt, dann in Finnland und in Dänemark. Wir hatten seit einem Monat gefilmt. Ich sagte, ich wolle mit ihr die gesamte Zeit arbeiten und sehen, ob es ein Film über die Bewegung und über sie wird. Ich war total an Greta und ihrer persönlichen Geschichte interessiert.
War es schwierig, so direkten Zugang zu Greta und ihrer Familie zu bekommen?
Ich bin Dokumentarfilmemacher und von Hause aus Fotograf. Während der ersten Woche war ich so fasziniert von ihrer Ausdrucksweise, dass ich am liebsten die Kamera vom Stativ genommen und mich zu ihr gesetzt hätte. Das machten wir auch – und wir hatten viele Diskussionen. Greta war zwar sehr schüchtern, aber ich verstand: So lange wir über Themen redeten, die sie interessierten, wollte sie mitmachen, es war ok für sie. Sie und ihr Vater stellten fest, dass wir dieselben Ansichten bezüglich des Klimawandels hatten – und so begann unsere Freundschaft. Als die beiden anfingen, in andere Länder zu reisen, sagte ich, dass ich mitkommen wollte. Und sie stellten wohl fest, dass ich jemand bin, mit dem man ganz gut zusammen sein kann.
Hatten Sie ein Filmteam dabei, oder waren Sie allein?
Die Aufnahmen habe ich zu 99 Prozent selbst gemacht, und ich würde sagen, auch der Ton stammt zu 95 Prozent von mir. Ich war eine Art Ein-Mann-Band. Anfangs gab es kein Budget, und insbesondere am Beginn des Projekts wollte ich nicht zu viele Leute involvieren. Es ging so schnell los, also habe ich entschieden, weiterhin allein zu drehen, sogar als viel los war, und das Tempo schneller und schneller wurde. Es war aber hart, Regisseur, Kamera- und Tonmann in einem zu sein.
Welche Herausforderungen mussten Sie meistern?
Nun, zunächst war da das Problem sich vorzustellen, in welche Richtung ich die Geschichte erzählen wollte. Zunächst war es schwer zu sagen, ob Greta eine führende Rolle innerhalb der Protestbewegung einnehmen würde, oder ob der Film eher von der Bewegung als solcher handeln sollte. Aber ich hatte das Gefühl, dass sich meine Kamera zu Greta hingezogen fühlte – Problem gelöst. Greta hat diese spezielle Sicht auf die Welt. Sie hatte kein Interesse daran, Dinge nett zu umschreiben und höflich zu sein. Sich in diese Treffen mit Spitzenpolitikern zu begeben, war nochmal eine andere Herausforderung. Und das alles, ohne zu fliegen (außer aus den USA nach Hause – ein Segeltörn über den Atlantik hat mir gereicht). Es hat so viel Zeit gekostet, mit Elektroautos und Zügen zu reisen, oft, ohne zu wissen, ob wir die jeweilige Veranstaltung nicht erst an ihrem Ende erreichen würden.
Unglaublich. Sie überquerten mit Greta sogar den Atlantik nach New York City.
Als sie mir von ihrer Einladung nach New York erzählte, sagte ich, dass ich sie sehr gern begleiten würde. Ich wusste, das wäre das ultimative Ende der Geschichte. Ich wollte meine Kamera auf dem Boot haben. Dennoch war es keine leichte Entscheidung für mich, denn der Segeltörn würde einige Wochen dauern und heftig werden. Ich hatte zwar Angst, wusste aber gleichzeitig, dass der Film es wert wäre.
Einige Momente im Film sind kaum auszuhalten, etwa wenn Greta zum Ende der Atlantiküberquerung wegen einiger Hasskommentare auf Social Media eine schwere Zeit hat. Warum dachten Sie, dass diese Szenen wichtig sind für den Film?
Ich war sehr beeindruckt von Greta, aber natürlich mussten wir das gesamte Spektrum ihres Aktivismus zeigen, da gibt es eben gute und schlechte Tage. Das ist ein wichtiger Teil des Films – und ich habe mit Greta darüber geredet. Ich sagte: „Ich muss auch dabei sein, wenn es nicht angenehm ist. Klar, Du kannst sagen, ,wir wollen aufhören zu drehen‘ oder ,geh weg, verlass den Raum‘.“ Aber ich wollte erfassen, was es bedeutet, Greta zu sein, eine Aktivistin zu sein, die mit krassen Problemen umgehen muss.
Hat Greta den Film gesehen?
Ja. Sie reagierte heftig darauf, sich selbst auf der Leinwand zu sehen – und fand das total seltsam. Das kann ich absolut verstehen. Sie war nicht beim Filmprojekt dabei, weil sie prominent werden wollte, sie machte mit, um ihre Sicht auf den Klimawandel und ihre Botschaft zu verbreiten. Greta erzählte mir einmal, dass sie Angst hatte, sich im Film nicht wiederzuerkennen und ich sie in eine andere Person verwandeln würde. Aber als sie den Film gesehen hat, erkannte sie sich darin wieder. Das war der entscheidende Moment, als sie das sagte. Ich hatte das erreicht, worauf Greta hoffte – ein Porträt dieses verrückten Jahres zu drehen, das sich wahrhaftig und echt für sie anfühlte.
Was hat Greta an sich, dass Menschen überall auf der Welt auf sie so stark reagieren?
Die Zeit ist reif. Ich denke, die Welt hat auf jemanden gewartet, der die Frustration ausdrückt, die sich beim Thema Klimawandel über so lange Zeit aufgestaut hat. Nichts ist passiert, die Panik wächst. Wie man im Film sieht, hat Greta einen Weg gefunden, auszudrücken, auf welchem Stand der Klimawandel momentan ist. All diese Jahre konstruktiven, kreativen und glücklichen Denkens…wir erlebten diese Jahre und wir hatten Zahlen vorliegen. Inzwischen befinden wir uns in einer Zeit, in der die Situation nicht mehr so unkompliziert aussieht. Außerdem gibt es ihren persönlichen Hintergrund und ihre Asperger-Diagnose. Ich denke, die Menschen können so eine Bindung zu ihr aufbauen.
Was sollen Zuschauer*innen sonst noch über I AM GRETA wissen?
Der Film ist nicht so sehr ein Porträt über Greta, sondern er dokumentiert dieses ‚verrückte Jahr‘, wie sie es nannte. Dieser Film bringt dich ins Auge des Hurrikans. Gretas Einfluss und die rasant wachsende Jugendbewegung in nur einem Jahr – das ist wirklich ziemlich verrückt und historisch einmalig, glaube ich. Ich bin wirklich glücklich, dass ich die Zuschauer*innen mit auf diese Greta-Reise nehmen kann – an öffentliche und private Orte, nach Schweden und Europa und über den Atlantischen Ozean. Weil ich mit Greta auf Augenhöhe sein wollte, bin ich zwei Jahre lang „krumm“ gelaufen, habe mich kleiner gemacht. Der Blickwinkel der Zuschauerinnen und Zuschauer ist ihrer, und es sind ihre eigenen Worte, die wir hören. Soweit es mir möglich war, habe ich den Film aus ihrer Perspektive gedreht.
Was denken Sie, welchen Einfluss Covid-19 auf Greta und #FridaysForFuture hat?
Sicher hat das einen Effekt auf die Bewegung, wenn man nicht streiken kann. Greta und ihre Gruppen folgen sehr eifrig den wissenschaftlichen Ratschlägen und haben deshalb nicht physisch demonstriert. In Bezug auf den Umgang mit Covid-19 stellen die Jugendlichen aber nun fest, dass die Politik auf diese Krise reagiert, dass Regierungen Milliarden von Euros und Dollars locker machen – nachdem es jahrelang hieß, Maßnahmen gegen den Klimawandel seien zu teuer und zu schwer umzusetzen. Nochmal: Das politische System zeigt, dass es kurzfristig arbeitet und künftige Generation betrügt, so dass die Reaktionen der Aktivisten in Zukunft wohl weitaus harscher ausfallen können.
Was werden Zuschauer*innen aus dem Film mitnehmen? Worauf hoffen Sie?
Der Film dreht sich mehr um Greta als um den Klimawandel. Sie entwickelte sich sehr in diesem Jahr und öffnete sich. Ich glaube, manchmal ist es gut, die Welt in schwarz und weiß zu sehen, weil du so erst wirklich feststellen kannst, was faul ist. Ich hoffe wirklich, dass Zuschauer*innen nach dem Film für jene Menschen, die anders sind und Probleme benennen statt unter den Teppich zu kehren, mehr Respekt aufbringen. Wir sollten diese Menschen umarmen, weil wir sie brauchen, um zu sehen, was falsch läuft. Es ist großartig, dass Greta mit ihrer Asperger-Diagnose und ihrer unverblümten Art zu dieser Ikone geworden ist. Außerdem zeigt der Film die größer werdende Kluft zwischen der Verschärfung der klimatischen Einflüsse und den Warnungen der Wissenschaftler auf der einen Seite und den Worten und Taten von Staatschefs auf der anderen Seite. Greta und die anderen Jugendlichen fordern von den Politikern eine sichere Zukunft und ein offenes Ohr für die Wissenschaft – anstatt sich leere Worte von Politikern auf diesen Konferenzen anzuhören oder gar Morddrohungen von Einzelnen zu bekommen. Das ist die Quelle von Gretas Frustration. Und ich hoffe, die Zuschauer*innen werden den Film mit der gleichen Frustration verlassen.
Quelle: Filmwelt Verleihagentur