Interview mit dem Hauptdarsteller Oliver Masucci SCHACHNOVELLE (2020)


Der deutsche Schauspieler Oliver Masucci wuchs in Bonn auf. Das Schauspielstudium absolvierte er an der Universität der Künste in Berlin und startete danach eine erfolgreiche Theaterkarriere: Von Basel (1995) über das Schauspielhaus Hamburg (1996–2002), die Münchener Kammerspiele (2001), das Schauspiel Hannover (2000–2005), das Schauspielhaus Bochum (2003–2005), das Schauspielhaus Zürich (2005-2009) und die Salzburger Festspiele (1999 und 2007) gelangte er an das Wiener Burgtheater. Hier war Masucci von 2009 bis 2015 festes Ensemblemitglied.

Seinen Kinodurchbruch hatte der charismatische Schauspieler 2015 in der satirischen Rolle als Adolf Hitler in der Bestsellerverfilmung Er ist wieder da von David Wnendt. Nicht nur an den Kinokassen feierte die Komödie Erfolge, auch Kritiker lobten den Film, und Oliver Masucci konnte sich über eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis freuen.

Aktuell sieht man Masucci in Oskar Roehlers neuem Film „Enfant Terrible“ als Fassbinder in den deutschen Kinos. Ein Jahr zuvor war er in Caroline Links erfolgreicher Jugendbuchverfilmung Als Hitler das rosa Kaninchen stahl (2019) zu sehen. Und zuvor spielte er neben Tom Schilling, Paula Beer und Sebastian Koch in dem oscarnominierten Drama Werk ohne Autor (2018) von Florian Henckel von Donnersmarck. Zeitgleich war er außerdem in den Kinofilmen Spielemacher (2018) von Timon Modersohn mit Frederick Lau und Antje Traue sowie in HERRliche Zeiten (2018) von Oskar Roehler, wofür er abermals für den Deutschen Filmpreis nominiert wurde.

Im Fernsehen übernahm Masucci 2016 die Rolle des Ugly Joey in Phillip Stölzls aufwändiger dreiteiliger Winnetou-Neuauflage „Winnetou – Der Mythos lebt“ und war in Sherry Hormanns zweiteiligem Politthriller „Tödliche Geheimnisse“ zu sehen. Für die preisgekrönte deutsche Fernsehserie „4 Blocks“ (2017-) stand er 2017 und 2018 vor der Kamera. Seit 2017 begeistert Masucci die Serien-Fans als einer der Hauptdarsteller in „Dark“ von Baran bo Odar, der ersten deutschen Netflix-Serie. Später spielte Masucci u.a. in dem ZDF-Dreiteiler „Preis der Freiheit“ (2019) neben Nadja Uhl, Barbara Auer und Nicolette Krebitz, in dem Fernsehfilm „Play“ (2019) von Philip Koch, und übernahm eine Episoden-Hauptrolle in der erfolgreichen Serie „Schuld“ (2015-2019) mit Moritz Bleibtreu. Zuletzt stand Masucci für die Netflix-Serie „Tribes Of Europa“ vor der Kamera. 

Interview

Beschreiben Sie bitte kurz die Zusammenarbeit mit Philipp Stölzl. Er soll ja ein Regisseur auf Augenhöhe sein. War das sehr inspirierend?

Total. Philipp ist ein ganz feiner Mensch und ein sehr emphatischer Regisseur. Man fühlt sich von ihm respektiert und getragen. Er schaut sich alles ganz genau an und macht dann einen konkreten Plan. Andererseits lässt er sich auch von neuen Ideen beeindrucken und inspirieren. Er ist sehr genau, sehr offen, sehr warm. Für den Film habe ich das ehrlich gesagt auch gebraucht. Ich habe eigentlich schon beim ersten Casting überlegt, ob ich mich wirklich mit Schizophrenie beschäftigen möchte. Es gibt ja manchmal Dinge, in die will man persönlich gar nicht so genau eindringen. Als Schauspieler versuche ich die Figur, die ich spiele zu durchleben und ihre Gefühle und Nöte für den Zuschauer erfahrbar zu machen. Und da hatte ich bei diesem Film in Philipp einen großen Beschützer, den ich auch brauchte. Philipp hat eine ganz große und genaue Vision von dem, was er tut. Das ganze Drehbuch war aufgezeichnet. Ich habe es ein Dreivierteljahr vor Drehstart bekommen und wusste genau, wie der Film in jeder Einstellung aussehen soll. Das hatte ich so noch nie bei einem Film. Und trotzdem kann er sich auch davon lösen und geht andere Wege mit. Manche Sachen haben sich als wahnsinnig gut herausgestellt und bei anderen hat es so nicht funktioniert. Aber es war sehr detailliert und genau ausgearbeitet.

Die Rolle des Dr. Bartok wurde für den Film auch ein wenig weiterentwickelt. Waren Sie hier beteiligt?

Ich vertiefe mich eigentlich in meine Rollen immer erst, wenn die erste Klappe fällt. Ich muss mich selbst davor schützen, nicht zu früh einzusteigen, weil man dann schwer wieder rauskommt. Ich nenne es Selbsthypnose. In dem Moment, in dem man in eine Rolle einsteigt, betrachtet man alles um sich herum von der Perspektive dieser Figur heraus. Und diese Perspektive ist in diesem Film ziemlich heftig, weil der Mann sehr viel durchleidet. Es ist ein Schmerzensweg, den er da geht. Das war etwas, mit dem ich mich nicht zu lange beschäftigen wollte. Die vier Monate Drehzeit haben mich sehr mitgenommen. Dazu kam noch das Abnehmen, weil meine Figur im Film sehr abmagert. Ich war ehrlich gesagt ein wenig froh, als es vorbei war.

Was treibt Ihrer Meinung nach Dr. Bartok im Film an?

Er wollte sich dem Ganzen nicht beugen. Es ist ein Schachspiel gegen seine Peiniger, die Nazis. Und es geht darum, zu gewinnen. Und gewinnen kann er nur, wenn er in den Wahnsinn abgleitet. Alles spielt sich im Kopf ab. Im Gehirn eines Menschen, der im Prinzip noch versucht diesem System etwas entgegenzusetzen. Und nicht, weil er ein großer Revolutionär ist, gar nicht. Bartok ist ein Bonvivant aus der Wiener Gesellschaft. Am Anfang des Films auch ein wenig unsympathisch und überheblich. Er denkt, Österreich wird die Annektierung schon verhindern. Dann gerät er in die Fänge von etwas, was er sich gar nicht vorstellen konnte und versucht dagegenzuhalten. Es wird zu einem Duell zwischen ihm und seinem Peiniger. Er hält aber nicht dagegen, weil er revolutionär ist, sondern weil die Nazis ihm wahnsinnig auf den Keks gehen. Er geht diesen Schmerzensweg, weil er die Nazis einfach scheiße findet und sich vor denen nicht beugen will. Und nun hält er gegen seinen Peiniger stand und flüchtet sich in den Wahnsinn. Das ist auch das Autobiografische zu Stefan Zweig, dass ihn die Umstände wahnsinnig gemacht haben oder depressiv. Wenn die Gesellschaft so ist, dass man in ihr nicht mehr leben kann, dann spaltet sich das Individuum auf. Und diese Figur, die sich in diesem Zwiespalt befindet, die gegen sich selbst kämpft bis zur Schizophrenie, ist wahnsinnig spannend. 20

Welche Szene war für Sie am schlimmsten zu spielen?

Das Aufsagen der Schachzüge und die Situation, die sich dahinter verbirgt: Dieser Mann, ganz allein mit sich und der Erkenntnis des Wahnsinns. Das ist sehr leidvoll. Ich war fast in jeder Bildeinstellung, weil der ganze Film aus der Perspektive meiner Figur erzählt. Das verlangt viel Konzentration, und diese dauerhaft zu halten war sehr anstrengend. Dazu eben dieses Leid. Wie kann man nur anderen Menschen so ein Leid zufügen? Diese Freiheitsberaubung, bis man nicht mehr weiß, wer man ist. Bis die Zeit aufhört zu ticken und man nichts mehr einordnen kann. Diese vollkommene Entfremdung von sich selbst. Und trotzdem das Dagegenhalten, irgendwie noch ein Fünkchen von sich zu behalten, während das Ego immer kleiner wird. Einen Menschen zu spielen, dem so Gewalt angetan wird, war nicht einfach. Und eben diese 20 Schachzüge herunterrattern. Für einen Schachspieler ist das wahrscheinlich einfach. Oh mein Gott. Das müssen spezielle Menschen sein.

Sie haben Albrecht Schuch, der im Film Ihren Peiniger spielt, erst zu den Dreharbeiten kennengelernt. Wie war die Zusammenarbeit?

Sehr gut. Ich schätze Albrecht sehr. Er ist ein toller Schauspieler, und es hat mich sehr gefreut, mit ihm zu spielen. Wenn man auf jemanden trifft, der die Kraft und die schauspielerische Gewalt von Albrecht Schuch hat, ist das herrlich. Der ganze Film ist ein einziges Duell zwischen Albrecht Schuch und Oliver Masucci. Das macht natürlich total Spaß.

Was meinen Sie, warum besitzt die „Schachnovelle“ auch heute noch weltweit so eine literarische Kraft?

Die Nazizeit spielt sich hier mehr im Kopf ab und nicht in der Abbildung des Schreckens. Man nimmt das Furchtbare im Kopf wahr. Jeder kann sich an die Novelle erinnern. Sie spricht einfach eine Urangst an: Ein Mensch ist in einem Raum isoliert und eingesperrt. Es ist ja noch einmal anders als Gefängnis. Man ist allein mit sich und seinem Wahnsinn. Einige können sich vielleicht noch am Rand der Normalität entlang hangeln und andere fallen hinunter. Das zeigt, wie schnell man als Mensch gebrochen werden kann. Ich kenne eigentlich keinen, der sich nicht an diese Geschichte erinnern kann. Vielleicht auch, weil sie so kompakt und schnell erzählt ist.

Sehen Sie aktuelle Bezüge in der Novelle?

Stefan Zweig ging daran zugrunde, dass er dachte, die Nazis gewinnen den Krieg. Diese Vorstellung ist natürlich schrecklich. Heute gibt es wieder solche Strömungen. Dieser Rechtsdruck, den wir gerade erleben, ist enorm. Und er ist alles andere als gut.

Filmografie (Auszug): 2020 – SCHACHNOVELLE, Phillip Stölzl – Enfant Terrible, Oskar Roehler; 2019 – Als Hitler das rosa Kaninchen stahl, Caroline Link; 2018 – Werk ohne Autor, Florian Henckel von Donnersmarck – HERRliche Zeiten, Oskar Röhler – Spielmacher, Timon Modersohn – Lysis, Rick Ostermann; 2015 – Er ist wieder da, David Wnendt

Quelle: Studiocanal

Siehe auch:  SCHACHNOVELLE (2020)
Siehe auch:  Interview mit dem Regisseur Philipp Stölzl

Print Friendly, PDF & Email