Fragen an Dror Moreh KULISSEN DER MACHT (Frankreich/ Israel/ Deutschland 2023)


Was war Ihre Motivation, „Kulissen der Macht“ zu machen? Gab es einen bestimmten Auslöser?

Der Auslöser für den Film waren die Bilder, die aus Syrien nach dem schrecklichen chemischen Angriff auf Ghouta kamen. Es hat mich zutiefst schockiert, kleine Babys zu sehen, die auf die schrecklichste Art und Weise an einem Nervengas sterben, und das, nachdem Präsident Obama erklärt hatte, dass es für ihn eine „rote Linie“ wäre, wenn chemische Waffen eingesetzt würden. Und dann nichts? Keine militärische Reaktion? Warum? Wie kann das sein? Die Frage, warum man beschließt, an einem Ort einzugreifen, um Menschenleben zu retten wie etwa in Libyen, und an einem anderen nicht, wurde für mich immer wichtiger und entscheidender.

Die Vorbereitung, die Recherche und die Suche nach Protagonist* innen waren enorm herausfordernd. Können Sie uns ein wenig über den Prozess erzählen?

Zunächst mussten wir die Konflikte erfassen, jeden Ort, an dem ein Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattgefunden haben. Bosnien, Ruanda, Kosovo, Irak, Libyen und Syrien. Als Erstes mussten wir also verstehen, was in den einzelnen Konflikten vor Ort geschah und wie man in Washington darauf reagierte. Daraus haben wir ein detailliertes Verzeichnis für jeden der Konflikte erstellt mit so vielen Zitaten der Hauptakteur*innen wie möglich, die zu dieser Zeit in Washington dienten und mit dem jeweiligen Konflikt zu tun hatten. Das erste Interview für das Projekt war mit der ehemaligen Außenministerin Madeline Albright im November 2014. Sie ist inzwischen verstorben und konnte den Film nicht sehen. Einige unserer Protagonisten sind seit dem Interview verstorben, Colin Powell, Henry Kissinger, George Shultz, Sandy Berger. Ich fühle mich immer noch privilegiert, weil ich mit all diesen Menschen sprechen konnte, die Entscheidungen getroffen haben, die die Welt, in der wir leben, geprägt haben.

Ihre Protagonist*innen sind Teil der politischen Elite der USA. Einige von ihnen sind noch im Dienst. Wie ist es Ihnen gelungen, diesen Menschen so nahe zu kommen und ihr Vertrauen zu gewinnen? Warum, glauben Sie, haben sie sich Ihnen geöffnet?

Filmposter

Ich hatte bei den Interviews das Gefühl, dass sie sprechen und erklären wollten, warum eine Entscheidung getroffen wurde. Ich bin sicher, dass einige ihrer Entscheidungen sie auch heute noch heimsuchen, da sie ihre Auswirkungen sehen. Präsident Clinton zum Beispiel und all die Leute, die während des Völkermords in Ruanda im Amt waren, hadern noch immer mit sich, weil sie nicht interveniert haben. Ich bin nicht zu den Interviews gekommen, um sie zu beschuldigen, sondern um zuzuhören und zu verstehen. Ich kam sehr gut vorbereitet, und das ermöglichte es ihnen und mir, ein offenes Gespräch zu führen. Das schuf eine entspanntere Atmosphäre und ermöglichte es ihnen, sich mehr als sonst zu öffnen.

Wir haben beschlossen, die Zuschauer*innen vor einigen sehr drastischen Archivbildern zu warnen. Könnten Sie erklären, warum es für Sie wichtig war, diese in Ihrem Film zu verwenden?

Das Archivrechercheteam und ich haben uns Hunderte von Stunden schrecklicher Bilder angesehen, die zeigen, wozu die menschliche Spezies fähig ist. Was der Zuschauer im Film zu sehen bekommt, ist nur ein Bruchteil dessen, was in all diesen Konflikten vor Ort geschah. Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen sehen müssen, wie es aussieht, um etwas von dem Schrecken zu spüren, um zu erfahren, was es buchstäblich bedeutet. Außerdem wollte ich den Kontrast zwischen den sauberen Entscheidungsräumen und den brutalen Bildern von den Geschehnissen vor Ort herstellen.

Der Einsatz von CGI ist zu Ihrem Markenzeichen geworden. In „Kulissen der Macht“ haben Sie alle Interviews mit Greenscreen gedreht. Auch für das Archivmaterial und die Fotos haben Sie eine sehr eindrucksvolle, hochmoderne VFX-Technik verwendet. Warum ist das für Ihre Arbeit so wichtig?

Ich bin Filmemacher und die visuelle Seite des Films ist mir sehr wichtig. Wir haben für dieses Projekt fast 60 Protagonisten interviewt, und es gab keine Möglichkeit, eine kohärente visuelle Sprache zu schaffen, ohne zu kontrollieren, wie der Hintergrund der Protagonisten aussehen würde. Deshalb habe ich mich entschieden, mit Greenscreen zu arbeiten und den Hintergrund jedes einzelnen in der Postproduktion zu erstellen. Da die einzigen Bilder, die wir bekommen konnten, um zu beschreiben, was in den Entscheidungsräumen passierte, Standfotos waren, brauchte ich eine Methode, um die Wirkung dieser Standfotos zu verstärken. VFX ist ein Mittel zum Zweck, es steht nicht für sich allein. In „Kulissen der Macht“ half es mir, die notwendige Intensität der Ereignisse zu erreichen.

Sie haben 2013 mit der Entwicklung begonnen. Nun ist es elf Jahre später. Wie erlaubt uns Ihr Film, die Welt von heute zu verstehen?

Ihre Frage ist schwer zu beantworten: Können wir die Welt von heute wirklich verstehen? Ich glaube nicht. Für mich wird sie jeden Tag beängstigender und verrückter. Wenn es etwas gibt, das wir aus der Vergangenheit lernen sollten, dann ist es, dass wir die gleichen Fehler nicht immer wiederholen sollen. Und doch scheint es, dass wir entschlossen sind, nicht zu lernen und den Weg des Wahnsinns weiterzugehen.

Was war für Sie selbst die wichtigste Erkenntnis bei der Arbeit an diesem Film? 

Manchmal machen die intelligentesten Menschen die schrecklichsten Fehler, die den Verlust von Millionen von Menschenleben verursachen können. Samantha Power, die Hauptprotagonistin des Films, sagt am Ende des Films: „George Bernard Shaw hat einmal geschrieben: Der vernünftige Mensch passt sich der Welt an. Der unvernünftige besteht auf dem Versuch, die Welt sich anzupassen. Deshalb hängt aller Fortschritt von unvernünftigen Menschen ab.“ Ich glaube, dass wir manchmal aus vielen Gründen unvernünftig sein müssen, vor allem, um zu versuchen, das Versprechen von „Never Again“ zu erfüllen.

Was wünschen Sie sich, dass die Zuschauer*innen aus Ihrem Film mitnehmen?

Dass wir eine Verantwortung haben, dass jeder von uns dazu beitragen muss, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen, zu einem Ort, an dem niemand wegen seiner Hautfarbe, seines Glaubens oder seines Geschlechts Angst haben oder leiden muss. Wenn wir, jeder Einzelne von uns, nicht versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, wird sie nicht von selbst zu einem solchen werden.

Fragen: FILMS THAT MATTER

Siehe auch: KULISSEN DER MACHT Regie: Dror Moreh