Interview mit Regisseur Aritz Moreno DIE OBSKUREN GESCHICHTEN EINES ZUGREISENDEN (2019)


Seitdem das Branchenblatt Variety 2013 im Rahmen des Cannes Filmfestivals den Regisseur Aritz Moreno als einen der zehn wichtigsten neuen Talente nannte, gehört der Spanier zu den neuen Stars des spanischen Kinos. Er wurde 1980 in San Sebastián geboren und begann seine berufliche Karriere beim Fernsehen. Sein erster Kurzfilm PORTAL MORTAL lief auf 90 nationalen und internationalen Filmfestivals und gewann 23 Auszeichnungen. Seitdem realisierte er weitere Kurzfilme und Musikvideos. Parallel arbeitete er für die Kulturplattform Donostia Kultura, das Internationale Filmfestival von San Sebastián, das baskische Filmarchiv Filmoteca Vasca oder die Verkehrsbetriebe von San Sebastián Dbus. Drei seiner Kurzfilme wurden für den renommierten Kimuak-Katalog ausgewählt und haben wichtige Preise gewonnen, z.B. erhielt COTTON CANDY den Silbernen Mèliés als Bester Europäischer Fantastischer Kurzfilm sowie den Großen Preis der Jury auf dem Kurzfilmfestival in New York. 2011 gewann Moreno den Preis Bester Filminute für seinen Kurzfilm BUCLE. Es war der erste spanische Kurzfilm, der dieses internationale Festival der besten einminütigen Filme gewonnen hat.

Sein letzter Kurzfilm CÓLERA, in dem Luis Tosar (GUN CITY, 2018) die Hauptrolle spielt, wurde von mehr als 300 internationalen Filmfestivals rund um die Welt ausgewählt, u.a. vom Austin Film Festival, London Film Festival und dem Sitges Film Festival des fantastischen Films. CÓLERA wurde mit dem ehrwürdigen Staff Pick Pass auf Vimeo ausgezeichnet. DIE OBSKUREN GESCHICHTEN EINES ZUGREISENDEN ist Aritz Morenos erster Spielfilm. Sechs Jahre hat er in den Film investiert, der 2018 für den Berlinale Co-Production Market ausgewählt wurde.

Interview

Wie sind Sie auf den Roman von Antonio Orejudo gestoßen, der die Vorlage für den Film bildet?

Leire Apellaniz, einer der ausführenden Produzentin des Films, las den Roman und brachte ihn dann mit zu uns ins Büro. Sie sagte: ‚Du musst das lesen. Ich denke, es ist unmöglich den Roman fürs Kino zu adaptieren, aber lies es.‘ Und es hat mich umgehauen. Als ich den Roman gelesen hatte, konnte ich den Film genau in meinem Kopf sehen.

Was hat Sie an dieser Geschichte gereizt?

Hauptsächlich die Herausforderung, die die Geschichte an sich dar- stellte. Es ist eine sehr komplexe Erzählstruktur, der sich fließend durch verschiedene Genres bewegt. Diese Mischung von Genres fand ich sehr attraktiv. Surrealistische Filme haben eine lange Tradition im Kino – angefangen von EIN ANDALUSISCHER HUND (1928) bis zu MAGNOLIA (1998) oder PARASITE (2019). Sie sind immer sehr erfolgreich an der Kinokasse.

Was macht für Sie die Faszination surrealer Filme aus?

Die Freiheit und die Möglichkeiten, die sie bieten, um sehr kraftvolle und unvergessliche visuelle Momente zu schaffen. Die Klinge, die in EIN ANDALUSISCHER HUND das Auge schneidet, oder der Krötenregen von MAGNOLIA sind gute Beispiele. Sie gehören zu den Filmen, die man mag oder nicht, wenn man sie gesehen hat, aber sie bleiben für immer im Kopf.

Was waren die Hauptreferenzen für Ihren Film? Hat das surrealistische Kino Ihre Filme stark beeinflusst?

Die wichtigste Referenz, mit der wir gearbeitet haben, war MAGNOLIA. Aufgrund der Mischung der Genres, über die wir gesprochen haben, ist die Liste der Referenzen sehr vielfältig und ziemlich verrückt. Eine weitere sehr wichtige Referenz war David Finchers FIGHT CLUB und das gesamte Universum von Wes Anderson sowie das koreanische Kino der
2000er Jahre.

Der Film ist eine Demonstration der Macht von Fiktion. Wie wichtig war Ihnen das?

Der Film ist ein Fest der Fiktion. Ohne Einschränkung. Diese Philosophie und Herangehensweise sind eine, mit der ich mich sehr wohlfühle und sehr identifiziere. Ich verstehe die Suche nach der ‚Wahrheit‘ nicht, vor allem nicht in Filmen. Wir müssen versuchen, glaubwürdig und nicht realistisch zu sein.

Ihr Film ist eine Überhöhung der Fiktionalität. Warum glauben Sie, ist eine Auseinandersetzung mit der Kraft der Narration und Fiktion so wichtig im Moment?

Alles ist Fiktion, wir sind selbst Fiktion. Wir sind das, was wir anderen sagen, was wir sind. Alles um uns herum wird durch einen Filter geleitet, der es automatisch zur Fiktion macht. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man auf eine Weise damit umgehen.

Welche Strategien der Narration hatten Sie?

Die Hauptstrategie bestand darin, den Kontrapunkt zu verfolgen. Die lustigsten Momente wurden gedreht, als wäre es ein Thriller, und zu den schrecklichsten Momenten haben wir einige leichte Elemente hinzugefügt, wie zum Beispiel die Musik.

War es in einem Film mit so vielen Ebenen und so vielen Geschichten schwierig, ein Gleichgewicht zu finden? Was war die größte Herausforderung für Sie als Regisseur?

Nein, diese Struktur von Schichten und Ebenen ist ein Erbe des Rom- ans. Die größte Herausforderung bestand darin, das Gleichgewicht der Tonalität für jedes der Genres zu finden, aus denen der Film besteht. Auf natürliche Weise von der Komödie zum Horror und wieder zurück. Das war die größte Herausforderung, bei der mir die Schauspieler sehr geholfen haben. Es war ein Privileg, mit ihnen zu arbeiten.

Welche Art von Filmen möchten Sie noch machen und warum?

Ich habe Genrefilme immer gemocht und würde gerne so etwas machen können. Horror, Science Fiction… so etwas in der Art. Alles, was mit Zeitreisen zu tun hat, reizt mich ungemein.

Was waren Ihre überzeugendsten Argumente für die Produzenten, den Film zu realisieren?

Ich verstehe immer noch nicht, dass der Film jemals gedreht wurde, also weiß ich es nicht.

Filmografie

2019 DIE OBSKUREN GESCHICHTEN EINES ZUGREISENDEN
2013 CÓLERA – Kurzfilm
2011 BUCLE – Kurzfilm
2010 ¿POR QUÉ TE VAS? – Kurzfilm
2009 COTTON CANDY – Kurzfilm
2004 PORTAL MORTAL – Kurzfilm

Quelle: Neue Visionen Filmverleih

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